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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Das steht zu dir, versetzte Caton.

Jch hielt ungefähr folgende Rede:

Die Seele, meine Lieben, ist unsterblich! Jede
Kraft, die durch sich selbst wirkt und ohne eine
fremde regelnde Kraft sich selbst bewegt, ist unsterb-
lich. Denn sie bewegt sich ewig und wird nie von
sich selbst verlassen. Dagegen jeder Körper sterblich
ist, der nur durch eine fremde Kraft, von aussen,
Bewegung und eine Art von Leben erhält, weil
jene fremde Kraft ja aufhören kann, auf den Kör-
per zu wirken.

So lehrt uns der göttliche Platon.

Vernichtung ist Auflösung eines zusammenge-
setzten Körpers in so viele Theile, daß die Sinne
sie nicht mehr bemerken können. Die völlige
Vernichtung aber eines Körpers ist nicht
denkbar.
Die Theile bleiben, wenn sie auch
nicht mehr bemerkbar sind, ewig im Raume. Die
Seele aber ist eine reine, einfache, geistige Kraft,
die durch sich selbst Bewegung und Leben erhält.
Sie hat keine Theile, ist ein unzertrennbares Gan-
zes. Wie könnte sie also aufgelöst, zernichtet wer-

Das ſteht zu dir, verſetzte Caton.

Jch hielt ungefaͤhr folgende Rede:

Die Seele, meine Lieben, iſt unſterblich! Jede
Kraft, die durch ſich ſelbſt wirkt und ohne eine
fremde regelnde Kraft ſich ſelbſt bewegt, iſt unſterb-
lich. Denn ſie bewegt ſich ewig und wird nie von
ſich ſelbſt verlaſſen. Dagegen jeder Koͤrper ſterblich
iſt, der nur durch eine fremde Kraft, von auſſen,
Bewegung und eine Art von Leben erhaͤlt, weil
jene fremde Kraft ja aufhoͤren kann, auf den Koͤr-
per zu wirken.

So lehrt uns der goͤttliche Platon.

Vernichtung iſt Aufloͤſung eines zuſammenge-
ſetzten Koͤrpers in ſo viele Theile, daß die Sinne
ſie nicht mehr bemerken koͤnnen. Die voͤllige
Vernichtung aber eines Koͤrpers iſt nicht
denkbar.
Die Theile bleiben, wenn ſie auch
nicht mehr bemerkbar ſind, ewig im Raume. Die
Seele aber iſt eine reine, einfache, geiſtige Kraft,
die durch ſich ſelbſt Bewegung und Leben erhaͤlt.
Sie hat keine Theile, iſt ein unzertrennbares Gan-
zes. Wie koͤnnte ſie alſo aufgeloͤſt, zernichtet wer-

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[53/0053] Das ſteht zu dir, verſetzte Caton. Jch hielt ungefaͤhr folgende Rede: Die Seele, meine Lieben, iſt unſterblich! Jede Kraft, die durch ſich ſelbſt wirkt und ohne eine fremde regelnde Kraft ſich ſelbſt bewegt, iſt unſterb- lich. Denn ſie bewegt ſich ewig und wird nie von ſich ſelbſt verlaſſen. Dagegen jeder Koͤrper ſterblich iſt, der nur durch eine fremde Kraft, von auſſen, Bewegung und eine Art von Leben erhaͤlt, weil jene fremde Kraft ja aufhoͤren kann, auf den Koͤr- per zu wirken. So lehrt uns der goͤttliche Platon. Vernichtung iſt Aufloͤſung eines zuſammenge- ſetzten Koͤrpers in ſo viele Theile, daß die Sinne ſie nicht mehr bemerken koͤnnen. Die voͤllige Vernichtung aber eines Koͤrpers iſt nicht denkbar. Die Theile bleiben, wenn ſie auch nicht mehr bemerkbar ſind, ewig im Raume. Die Seele aber iſt eine reine, einfache, geiſtige Kraft, die durch ſich ſelbſt Bewegung und Leben erhaͤlt. Sie hat keine Theile, iſt ein unzertrennbares Gan- zes. Wie koͤnnte ſie alſo aufgeloͤſt, zernichtet wer-

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/53>, abgerufen am 29.03.2024.