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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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ding. Er ist das in sich Wahre, Schöne und Gu-
te, alles Daseyns Schöpfer, alles Lebens, aller
Liebe Vater, der Geist der Geister ... der Alleinige
selbst, das en a1F50;to des Platon!

Das ganze Weben und Wirken der Seele auf
dieser Welt bezieht sich auf jene ewige Sehnsucht.
Je lebhafter diese ist, desto mehr befreyt die Seele
sich von der Herrschaft des Körpers, desto besser ist
sie, desto näher der Gottheit. Ohne diese Sehn-
sucht wäre das Universum ein Traum.

Der Körper schließt den Geist in seine Hülle,
wie der Blumentopf die wachsende, keimende Wur-
zel. Jmmer reicher, saftiger und voller wird der
Keim und drängt sich am Ende siegend aus dem
engen Topfe.

Der Körper ist wie ein Spiegel, durch den
die Seele alles beschauen und erkennen kann, aber
nicht unmittelbar, nicht rein und ganz. Einst
wird sie, wenn sie frey ist, die Dinge schauen, wie
sie sind,
ohne Hülle, nicht nur an der Oberfläche,
durch und durch.

Auch in der Bildung des Körpers offenbarte
sich der schaffende göttliche Verstand. Er ist das

ding. Er iſt das in ſich Wahre, Schoͤne und Gu-
te, alles Daſeyns Schoͤpfer, alles Lebens, aller
Liebe Vater, der Geiſt der Geiſter … der Alleinige
ſelbſt, das ἑν α1F50;τω des Platon!

Das ganze Weben und Wirken der Seele auf
dieſer Welt bezieht ſich auf jene ewige Sehnſucht.
Je lebhafter dieſe iſt, deſto mehr befreyt die Seele
ſich von der Herrſchaft des Koͤrpers, deſto beſſer iſt
ſie, deſto naͤher der Gottheit. Ohne dieſe Sehn-
ſucht waͤre das Univerſum ein Traum.

Der Koͤrper ſchließt den Geiſt in ſeine Huͤlle,
wie der Blumentopf die wachſende, keimende Wur-
zel. Jmmer reicher, ſaftiger und voller wird der
Keim und draͤngt ſich am Ende ſiegend aus dem
engen Topfe.

Der Koͤrper iſt wie ein Spiegel, durch den
die Seele alles beſchauen und erkennen kann, aber
nicht unmittelbar, nicht rein und ganz. Einſt
wird ſie, wenn ſie frey iſt, die Dinge ſchauen, wie
ſie ſind,
ohne Huͤlle, nicht nur an der Oberflaͤche,
durch und durch.

Auch in der Bildung des Koͤrpers offenbarte
ſich der ſchaffende goͤttliche Verſtand. Er iſt das

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[56/0056] ding. Er iſt das in ſich Wahre, Schoͤne und Gu- te, alles Daſeyns Schoͤpfer, alles Lebens, aller Liebe Vater, der Geiſt der Geiſter … der Alleinige ſelbſt, das ἑν α1F50;τω des Platon! Das ganze Weben und Wirken der Seele auf dieſer Welt bezieht ſich auf jene ewige Sehnſucht. Je lebhafter dieſe iſt, deſto mehr befreyt die Seele ſich von der Herrſchaft des Koͤrpers, deſto beſſer iſt ſie, deſto naͤher der Gottheit. Ohne dieſe Sehn- ſucht waͤre das Univerſum ein Traum. Der Koͤrper ſchließt den Geiſt in ſeine Huͤlle, wie der Blumentopf die wachſende, keimende Wur- zel. Jmmer reicher, ſaftiger und voller wird der Keim und draͤngt ſich am Ende ſiegend aus dem engen Topfe. Der Koͤrper iſt wie ein Spiegel, durch den die Seele alles beſchauen und erkennen kann, aber nicht unmittelbar, nicht rein und ganz. Einſt wird ſie, wenn ſie frey iſt, die Dinge ſchauen, wie ſie ſind, ohne Huͤlle, nicht nur an der Oberflaͤche, durch und durch. Auch in der Bildung des Koͤrpers offenbarte ſich der ſchaffende goͤttliche Verſtand. Er iſt das

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/56>, abgerufen am 24.04.2024.