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Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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vergrößerte Jahresrente entschädigt werden. Es ist wahr dem Hause fehlte Alles, was auch äußerlich die Kirchenkassenverwaltung vor übler Nachrede schützen konnte. Während ringsum Ziegeldächer das träumerische Strohdachansehen der alten Häuser zu verwischen strebten, während die Mauerwände weiß getüncht und die Einfriedigungen der Gärten durch moderne Holz- oder Eisenzäune verdrängt wurden, während ganz Hedeper im sichtlichen Verjüngungsprozeß begriffen war, beharrte das uralte Pfarrwittwenhaus in seiner zweihundertjährigen Zusammengesunkenheit und machte jedem vorbeikommenden Handwerksburschen und jedem durch Hedeper passirenden Fremden die entsetzlichsten Einsturzgrimassen. Selbst der visitierende Herr Consistorialrath hatte seit manchem Jahre sich nicht tiefer als auf den Hausflur des mürrischen Baues gewagt, so wenig traute er dem bedrohlich überhängenden Giebel, an welchen sich noch obendrein ganze Waldungen wilden Weinlaubs festgeklammert hatten, unverständigen Kindern gleich, die eine Ehre darin suchen, Gefahren sich auszusetzen, von denen sich Erwachsene fern halten. Auch der Wolfenbütteler Kandidat, welcher nach Antritt und bald darauf erfolgter Erkrankung des neuen Pfarrers vier Wochen lang allsonntäglich die Kanzel zu St. Gertrauden bestiegen und seine Beköstigung in dem Wittwenpfarrhause zu beanspruchen gehabt hatte, war nur einmal in Hedeper geblieben, die anderen Male aber unter allerlei Vorwänden der bedrohlichen geistlichen Herberge ausgewichen. Freilich hatte die Wolfenbütteler

vergrößerte Jahresrente entschädigt werden. Es ist wahr dem Hause fehlte Alles, was auch äußerlich die Kirchenkassenverwaltung vor übler Nachrede schützen konnte. Während ringsum Ziegeldächer das träumerische Strohdachansehen der alten Häuser zu verwischen strebten, während die Mauerwände weiß getüncht und die Einfriedigungen der Gärten durch moderne Holz- oder Eisenzäune verdrängt wurden, während ganz Hedeper im sichtlichen Verjüngungsprozeß begriffen war, beharrte das uralte Pfarrwittwenhaus in seiner zweihundertjährigen Zusammengesunkenheit und machte jedem vorbeikommenden Handwerksburschen und jedem durch Hedeper passirenden Fremden die entsetzlichsten Einsturzgrimassen. Selbst der visitierende Herr Consistorialrath hatte seit manchem Jahre sich nicht tiefer als auf den Hausflur des mürrischen Baues gewagt, so wenig traute er dem bedrohlich überhängenden Giebel, an welchen sich noch obendrein ganze Waldungen wilden Weinlaubs festgeklammert hatten, unverständigen Kindern gleich, die eine Ehre darin suchen, Gefahren sich auszusetzen, von denen sich Erwachsene fern halten. Auch der Wolfenbütteler Kandidat, welcher nach Antritt und bald darauf erfolgter Erkrankung des neuen Pfarrers vier Wochen lang allsonntäglich die Kanzel zu St. Gertrauden bestiegen und seine Beköstigung in dem Wittwenpfarrhause zu beanspruchen gehabt hatte, war nur einmal in Hedeper geblieben, die anderen Male aber unter allerlei Vorwänden der bedrohlichen geistlichen Herberge ausgewichen. Freilich hatte die Wolfenbütteler

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[0027] vergrößerte Jahresrente entschädigt werden. Es ist wahr dem Hause fehlte Alles, was auch äußerlich die Kirchenkassenverwaltung vor übler Nachrede schützen konnte. Während ringsum Ziegeldächer das träumerische Strohdachansehen der alten Häuser zu verwischen strebten, während die Mauerwände weiß getüncht und die Einfriedigungen der Gärten durch moderne Holz- oder Eisenzäune verdrängt wurden, während ganz Hedeper im sichtlichen Verjüngungsprozeß begriffen war, beharrte das uralte Pfarrwittwenhaus in seiner zweihundertjährigen Zusammengesunkenheit und machte jedem vorbeikommenden Handwerksburschen und jedem durch Hedeper passirenden Fremden die entsetzlichsten Einsturzgrimassen. Selbst der visitierende Herr Consistorialrath hatte seit manchem Jahre sich nicht tiefer als auf den Hausflur des mürrischen Baues gewagt, so wenig traute er dem bedrohlich überhängenden Giebel, an welchen sich noch obendrein ganze Waldungen wilden Weinlaubs festgeklammert hatten, unverständigen Kindern gleich, die eine Ehre darin suchen, Gefahren sich auszusetzen, von denen sich Erwachsene fern halten. Auch der Wolfenbütteler Kandidat, welcher nach Antritt und bald darauf erfolgter Erkrankung des neuen Pfarrers vier Wochen lang allsonntäglich die Kanzel zu St. Gertrauden bestiegen und seine Beköstigung in dem Wittwenpfarrhause zu beanspruchen gehabt hatte, war nur einmal in Hedeper geblieben, die anderen Male aber unter allerlei Vorwänden der bedrohlichen geistlichen Herberge ausgewichen. Freilich hatte die Wolfenbütteler

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

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Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/27>, abgerufen am 29.03.2024.