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Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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klar geworden war! Verlegenheit, Bedrängniß, Noth wohl gar in dem Hause Derjenigen, deren goldene Hafergarben noch ungedroschen auf dem Boden der Küsterei lagen und die Mäuse über seinem Kopfe bei guter Laune erhielten! Abermals entfaltete seine Einbildungkraft ihre ungemessenen Flügel. Er sah nicht nur das Giebelhaus versteigern, auch den Hausrath, auch den Bücherschrank des seligen Herrn, seine Meerschaumpfeifen, seine drei Brillen, die goldumrahmten Confirmandenwünsche, die im Glasschrank aufgestapelten Weihnachtsstickereien seiner ersten und seiner zweiten Gattin, die mit Geburtstagsgedichten bedruckten Atlasbänder -- die eigenen darunter wußte der Küster noch auswendig -- das Gypspantheon über dem Kachelofen mit lädirten Statuen der Diana, Apoll's und einer namenlosen Muse, den lackirten Papierkorb, von dessen Inhalt die Heizung der Sakristei in milden Wintern bestritten wurde, die zwei Bronzeleuchter, die einzigen in Hedeper, in denen überdies noch die vor zehn Jahren während der Trauung benutzten Wachskerzen prangten, die aufgenagelten falschen Geldstücke, auf die der selige Herr bei Privatreprimanden gern bildlichen Bezug nahm, die in der Gemeinde confiscirten ungestempelten Spielkarten, eine Sanduhr, ein Todtenkopf, ein Hahnenschweifwedel -- draußen krähte der stattliche Hahn, und von fern antwortete der melancholische Einsiedler der Küsterei; Herr Habermus konnte des alten Kameraden Stimme deutlich erkennen. Er fuhr mit der Hand über die Augen, und als er fand, daß kein Traum ihn be-

klar geworden war! Verlegenheit, Bedrängniß, Noth wohl gar in dem Hause Derjenigen, deren goldene Hafergarben noch ungedroschen auf dem Boden der Küsterei lagen und die Mäuse über seinem Kopfe bei guter Laune erhielten! Abermals entfaltete seine Einbildungkraft ihre ungemessenen Flügel. Er sah nicht nur das Giebelhaus versteigern, auch den Hausrath, auch den Bücherschrank des seligen Herrn, seine Meerschaumpfeifen, seine drei Brillen, die goldumrahmten Confirmandenwünsche, die im Glasschrank aufgestapelten Weihnachtsstickereien seiner ersten und seiner zweiten Gattin, die mit Geburtstagsgedichten bedruckten Atlasbänder — die eigenen darunter wußte der Küster noch auswendig — das Gypspantheon über dem Kachelofen mit lädirten Statuen der Diana, Apoll's und einer namenlosen Muse, den lackirten Papierkorb, von dessen Inhalt die Heizung der Sakristei in milden Wintern bestritten wurde, die zwei Bronzeleuchter, die einzigen in Hedeper, in denen überdies noch die vor zehn Jahren während der Trauung benutzten Wachskerzen prangten, die aufgenagelten falschen Geldstücke, auf die der selige Herr bei Privatreprimanden gern bildlichen Bezug nahm, die in der Gemeinde confiscirten ungestempelten Spielkarten, eine Sanduhr, ein Todtenkopf, ein Hahnenschweifwedel — draußen krähte der stattliche Hahn, und von fern antwortete der melancholische Einsiedler der Küsterei; Herr Habermus konnte des alten Kameraden Stimme deutlich erkennen. Er fuhr mit der Hand über die Augen, und als er fand, daß kein Traum ihn be-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

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Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/40>, abgerufen am 25.04.2024.