Wallner, Franz: Der arme Josy. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 147–167. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Weise überhand, daß sich die Behörde zu einer der seltsamsten Maßregeln gezwungen sah. Es wurde nämlich bei Trommelschlag die Verordnung verkündet, welche dem Bürger Agram's das Recht gab, auf jeden Abends nach acht Uhr in seine Wohnung Dringenden scharf zu schießen, wenn ihm derselbe aus dreimaligen Anruf die Antwort schuldig geblieben. Ein Büchsenmacher auf der sogenannten Harmitzen -- einer Vorstadt Agram's -- machte von diesem wunderlichen Privilegium auch schon in der ersten Nacht nach der Publication Gebrauch und schoß einen Kerl bei dem Versuche, durch sein Fenster einzusteigen, mitten durch das Herz. Die Leiche des Getödteten blieb den folgenden Tag in derselben Lage, in die ihn die verhängnißvolle Kugel niedergestreckt, zur Schau liegen, und die zahlreich zuströmenden Neugierigen beschenkten den wackeren Schützen reichlich. Der Getroffene hatte freilich sein Schicksal wohl verdient; denn er war, wie sich später auswies, ein ausgelernter Galgencandidat, welcher bereits im "Schlößlein Munkats" Festungsstrafen überstanden hatte und hier so unverhofft vom Walten des unbeugsamen Fatums ereilt worden war; allein man schaudert, wenn man bedenkt, welches Unglück Willkür und Mißverständniß durch einen so seltsamen Polizeibefehl hervorrufen konnte. Ich meines Theils habe den ganzen Vorfall nur erwähnt, weil ich -- durch Neugier ebenfalls zu dem sonderbaren Schauspiel getrieben -- in dem in seinem Weise überhand, daß sich die Behörde zu einer der seltsamsten Maßregeln gezwungen sah. Es wurde nämlich bei Trommelschlag die Verordnung verkündet, welche dem Bürger Agram's das Recht gab, auf jeden Abends nach acht Uhr in seine Wohnung Dringenden scharf zu schießen, wenn ihm derselbe aus dreimaligen Anruf die Antwort schuldig geblieben. Ein Büchsenmacher auf der sogenannten Harmitzen — einer Vorstadt Agram's — machte von diesem wunderlichen Privilegium auch schon in der ersten Nacht nach der Publication Gebrauch und schoß einen Kerl bei dem Versuche, durch sein Fenster einzusteigen, mitten durch das Herz. Die Leiche des Getödteten blieb den folgenden Tag in derselben Lage, in die ihn die verhängnißvolle Kugel niedergestreckt, zur Schau liegen, und die zahlreich zuströmenden Neugierigen beschenkten den wackeren Schützen reichlich. Der Getroffene hatte freilich sein Schicksal wohl verdient; denn er war, wie sich später auswies, ein ausgelernter Galgencandidat, welcher bereits im „Schlößlein Munkats“ Festungsstrafen überstanden hatte und hier so unverhofft vom Walten des unbeugsamen Fatums ereilt worden war; allein man schaudert, wenn man bedenkt, welches Unglück Willkür und Mißverständniß durch einen so seltsamen Polizeibefehl hervorrufen konnte. Ich meines Theils habe den ganzen Vorfall nur erwähnt, weil ich — durch Neugier ebenfalls zu dem sonderbaren Schauspiel getrieben — in dem in seinem <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0014"/> Weise überhand, daß sich die Behörde zu einer der seltsamsten Maßregeln gezwungen sah. Es wurde nämlich bei Trommelschlag die Verordnung verkündet, welche dem Bürger Agram's das Recht gab, auf jeden Abends nach acht Uhr in seine Wohnung Dringenden scharf zu schießen, wenn ihm derselbe aus dreimaligen Anruf die Antwort schuldig geblieben.</p><lb/> <p>Ein Büchsenmacher auf der sogenannten Harmitzen — einer Vorstadt Agram's — machte von diesem wunderlichen Privilegium auch schon in der ersten Nacht nach der Publication Gebrauch und schoß einen Kerl bei dem Versuche, durch sein Fenster einzusteigen, mitten durch das Herz. Die Leiche des Getödteten blieb den folgenden Tag in derselben Lage, in die ihn die verhängnißvolle Kugel niedergestreckt, zur Schau liegen, und die zahlreich zuströmenden Neugierigen beschenkten den wackeren Schützen reichlich. Der Getroffene hatte freilich sein Schicksal wohl verdient; denn er war, wie sich später auswies, ein ausgelernter Galgencandidat, welcher bereits im „Schlößlein Munkats“ Festungsstrafen überstanden hatte und hier so unverhofft vom Walten des unbeugsamen Fatums ereilt worden war; allein man schaudert, wenn man bedenkt, welches Unglück Willkür und Mißverständniß durch einen so seltsamen Polizeibefehl hervorrufen konnte.</p><lb/> <p>Ich meines Theils habe den ganzen Vorfall nur erwähnt, weil ich — durch Neugier ebenfalls zu dem sonderbaren Schauspiel getrieben — in dem in seinem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Weise überhand, daß sich die Behörde zu einer der seltsamsten Maßregeln gezwungen sah. Es wurde nämlich bei Trommelschlag die Verordnung verkündet, welche dem Bürger Agram's das Recht gab, auf jeden Abends nach acht Uhr in seine Wohnung Dringenden scharf zu schießen, wenn ihm derselbe aus dreimaligen Anruf die Antwort schuldig geblieben.
Ein Büchsenmacher auf der sogenannten Harmitzen — einer Vorstadt Agram's — machte von diesem wunderlichen Privilegium auch schon in der ersten Nacht nach der Publication Gebrauch und schoß einen Kerl bei dem Versuche, durch sein Fenster einzusteigen, mitten durch das Herz. Die Leiche des Getödteten blieb den folgenden Tag in derselben Lage, in die ihn die verhängnißvolle Kugel niedergestreckt, zur Schau liegen, und die zahlreich zuströmenden Neugierigen beschenkten den wackeren Schützen reichlich. Der Getroffene hatte freilich sein Schicksal wohl verdient; denn er war, wie sich später auswies, ein ausgelernter Galgencandidat, welcher bereits im „Schlößlein Munkats“ Festungsstrafen überstanden hatte und hier so unverhofft vom Walten des unbeugsamen Fatums ereilt worden war; allein man schaudert, wenn man bedenkt, welches Unglück Willkür und Mißverständniß durch einen so seltsamen Polizeibefehl hervorrufen konnte.
Ich meines Theils habe den ganzen Vorfall nur erwähnt, weil ich — durch Neugier ebenfalls zu dem sonderbaren Schauspiel getrieben — in dem in seinem
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Zitationshilfe: | Wallner, Franz: Der arme Josy. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 147–167. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallner_josy_1910/14>, abgerufen am 17.04.2021. |