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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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werth, daß sie zu Grunde gehen, und sie sich selbst überlassen
heißt im Wege der allmählichen Abparzellierung existenzunfähige
slavische Hungerkolonien entstehen lassen. Und nicht nur das
Jnteresse an der Hemmung der slavischen Flut ruft nach der
Ueberführung bedeutender Teile des östlichen Bodens in die Hand
des Staates, sondern auch die vernichtende Kritik, welche die Grund-
besitzer selbst an dem Fortbestand ihres Privateigentums üben
durch das Verlangen, in Gestalt des Getreidemonopols und einer
Kontribution von 1/2 Milliarde jährlich ihnen das Risiko, die
Selbstverantwortlichkeit für ihren Besitz, seinen einzigen Recht-
fertigungsgrund, abzunehmen1). -

Allein, wie gesagt, nicht diese praktische Frage der preußi-

1) Jene Forderung stellt jetzt in dem gleichen Gedankenzu-
sammenhang insbesondere auch Professor Schmoller in seinem Jahr-
buch. Jn der That ist derjenige Teil des Großgrundbesitzerstandes,
dessen Erhaltung als landwirtschaftlicher Betriebsleiter staatlich von
Wert ist, vielfach nur als Domänenpächter, nicht als Eigentümer
zu halten. Allerdings bin ich der Ansicht, daß der Bodenankauf nur
in organischer Verbindung mit einer Kolonisation geeigneter Domänen
einen dauernden Sinn hat, derart also, daß ein Teil des östlichen
Bodens die Hände des Staates durchläuft und während er sich in
diesen befindet, eine energische Meliorationskur mit staatlichen Krediten
durchmacht. Die Schwierigkeit, mit welcher die Ansiedlungskommission
zu ringen hat, ist abgesehen von der Belastung mit der "Nachkur"
der angesetzten Kolonisten, welche nebst ihren Stundungsgesuchen
nach einiger Zeit besser dem etwas hartherzigeren gewöhnlichen Fiskus
überantwortet würden, darin begründet, daß die angekauften Güter
zum großen Teil besser erst ein Jahrzehnt sich in einer solchen Kur
in der Hand von Domönenpächtern befänden. Jetzt muß die Melio-
ration Hals über Kopf im Wege der Administration mit großen
Verlusten ausgeführt werden, während sicherlich zahlreiche Domänen
zur alsbaldigen Kolonisation geeignet wären. Die durch diese
Schwierigkeiten veranlaßte Langsamkeit des Verfahrens rechtfertigt

werth, daß ſie zu Grunde gehen, und ſie ſich ſelbſt überlaſſen
heißt im Wege der allmählichen Abparzellierung exiſtenzunfähige
ſlaviſche Hungerkolonien entſtehen laſſen. Und nicht nur das
Jntereſſe an der Hemmung der ſlaviſchen Flut ruft nach der
Ueberführung bedeutender Teile des öſtlichen Bodens in die Hand
des Staates, ſondern auch die vernichtende Kritik, welche die Grund-
beſitzer ſelbſt an dem Fortbeſtand ihres Privateigentums üben
durch das Verlangen, in Geſtalt des Getreidemonopols und einer
Kontribution von ½ Milliarde jährlich ihnen das Riſiko, die
Selbſtverantwortlichkeit für ihren Beſitz, ſeinen einzigen Recht-
fertigungsgrund, abzunehmen1). –

Allein, wie geſagt, nicht dieſe praktiſche Frage der preußi-

1) Jene Forderung ſtellt jetzt in dem gleichen Gedankenzu-
ſammenhang inſbeſondere auch Profeſſor Schmoller in ſeinem Jahr-
buch. Jn der That iſt derjenige Teil des Großgrundbeſitzerſtandes,
deſſen Erhaltung als landwirtſchaftlicher Betriebſleiter ſtaatlich von
Wert iſt, vielfach nur als Domänenpächter, nicht als Eigentümer
zu halten. Allerdings bin ich der Anſicht, daß der Bodenankauf nur
in organiſcher Verbindung mit einer Koloniſation geeigneter Domänen
einen dauernden Sinn hat, derart alſo, daß ein Teil des öſtlichen
Bodens die Hände des Staates durchläuft und während er ſich in
dieſen befindet, eine energiſche Meliorationskur mit ſtaatlichen Krediten
durchmacht. Die Schwierigkeit, mit welcher die Anſiedlungskommiſſion
zu ringen hat, iſt abgeſehen von der Belaſtung mit der „Nachkur“
der angeſetzten Koloniſten, welche nebſt ihren Stundungsgeſuchen
nach einiger Zeit beſſer dem etwas hartherzigeren gewöhnlichen Fiſkus
überantwortet würden, darin begründet, daß die angekauften Güter
zum großen Teil beſſer erſt ein Jahrzehnt ſich in einer ſolchen Kur
in der Hand von Domönenpächtern befänden. Jetzt muß die Melio-
ration Hals über Kopf im Wege der Adminiſtration mit großen
Verluſten ausgeführt werden, während ſicherlich zahlreiche Domänen
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Schwierigkeiten veranlaßte Langſamkeit des Verfahrens rechtfertigt
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[14/0020] werth, daß ſie zu Grunde gehen, und ſie ſich ſelbſt überlaſſen heißt im Wege der allmählichen Abparzellierung exiſtenzunfähige ſlaviſche Hungerkolonien entſtehen laſſen. Und nicht nur das Jntereſſe an der Hemmung der ſlaviſchen Flut ruft nach der Ueberführung bedeutender Teile des öſtlichen Bodens in die Hand des Staates, ſondern auch die vernichtende Kritik, welche die Grund- beſitzer ſelbſt an dem Fortbeſtand ihres Privateigentums üben durch das Verlangen, in Geſtalt des Getreidemonopols und einer Kontribution von ½ Milliarde jährlich ihnen das Riſiko, die Selbſtverantwortlichkeit für ihren Beſitz, ſeinen einzigen Recht- fertigungsgrund, abzunehmen 1). – Allein, wie geſagt, nicht dieſe praktiſche Frage der preußi- 1) Jene Forderung ſtellt jetzt in dem gleichen Gedankenzu- ſammenhang inſbeſondere auch Profeſſor Schmoller in ſeinem Jahr- buch. Jn der That iſt derjenige Teil des Großgrundbeſitzerſtandes, deſſen Erhaltung als landwirtſchaftlicher Betriebſleiter ſtaatlich von Wert iſt, vielfach nur als Domänenpächter, nicht als Eigentümer zu halten. Allerdings bin ich der Anſicht, daß der Bodenankauf nur in organiſcher Verbindung mit einer Koloniſation geeigneter Domänen einen dauernden Sinn hat, derart alſo, daß ein Teil des öſtlichen Bodens die Hände des Staates durchläuft und während er ſich in dieſen befindet, eine energiſche Meliorationskur mit ſtaatlichen Krediten durchmacht. Die Schwierigkeit, mit welcher die Anſiedlungskommiſſion zu ringen hat, iſt abgeſehen von der Belaſtung mit der „Nachkur“ der angeſetzten Koloniſten, welche nebſt ihren Stundungsgeſuchen nach einiger Zeit beſſer dem etwas hartherzigeren gewöhnlichen Fiſkus überantwortet würden, darin begründet, daß die angekauften Güter zum großen Teil beſſer erſt ein Jahrzehnt ſich in einer ſolchen Kur in der Hand von Domönenpächtern befänden. Jetzt muß die Melio- ration Hals über Kopf im Wege der Adminiſtration mit großen Verluſten ausgeführt werden, während ſicherlich zahlreiche Domänen zur alsbaldigen Koloniſation geeignet wären. Die durch dieſe Schwierigkeiten veranlaßte Langſamkeit des Verfahrens rechtfertigt

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/20>, abgerufen am 28.03.2024.