lich, der die Entscheidung gab. Durch dieses kollegialische System, welches zu Gutachten, Gegengutachten und motivierten Voten der Mehrheit und Minderheit führte und ferner dadurch, daß er neben den offiziellen höchsten Behörden sich mit rein persön- lichen Vertrauten - dem "Kabinett" - umgab und durch diese seine Entscheidungen auf die Beschlüsse des Staatsrats - oder wie die höchste Staatsbehörde sonst hieß - abgab, suchte der Fürst, der zunehmend in die Lage eines Dilettanten geriet, dem unvermeidlich wachsenden Gewicht der Fachschulung der Beamten sich zu entziehen und die oberste Leitung in der Hand zu behalten: dieser latente Kampf zwischen dem Fach- beamtentum und der Selbstherrschaft bestand überall. Erst gegenüber den Parlamenten und den Machtaspirationen ihrer Parteiführer änderte sich die Lage. Sehr verschieden gelagerte Bedingungen führten doch zu dem äußerlich gleichen Ergebnis. Freilich mit gewissen Unterschieden. Wo immer die Dynastien reale Macht in der Hand behielten - wie namentlich in Deutsch- land -, waren nun die Jnteressen des Fürsten mit denen des Beamtentums solidarisch verknüpft gegen das Parlament und seine Machtansprüche. Die Beamten hatten das Jnter- esse daran, daß auch die leitenden Stellen, also die Minister- posten, aus ihren Reihen besetzt, also Gegenstände des Beamtenavancements, wurden. Der Monarch seinerseits hatte das Jnteresse daran, die Minister nach seinem Ermessen und aus den Reihen der ihm ergebenen Beamten ernennen zu können. Beide Teile aber waren daran interessiert, daß die politische Leitung dem Parlament einheitlich und geschlossen gegenübertrat, also: das Kollegialsystem durch einen einheitlichen Kabinettschef ersetzt wurde. Der Monarch bedurfte überdies, schon um dem Parteikampf und den Parteiangriffen rein formell enthoben zu bleiben, einer ihn deckenden verantwort- lichen, das heißt: dem Parlament Rede stehenden und ihm entgegentretenden, mit den Parteien verhandelnden Einzel- persönlichkeit. Alle diese Jnteressen wirkten hier zusammen in der gleichen Richtung: ein einheitlich führender Beamten- minister entstand. Noch stärker wirkte in der Richtung der Vereinheitlichung die Entwicklung der Parlamentsmacht da,
lich, der die Entſcheidung gab. Durch dieſes kollegialiſche Syſtem, welches zu Gutachten, Gegengutachten und motivierten Voten der Mehrheit und Minderheit führte und ferner dadurch, daß er neben den offiziellen höchſten Behörden ſich mit rein perſön- lichen Vertrauten – dem „Kabinett“ – umgab und durch dieſe ſeine Entſcheidungen auf die Beſchlüſſe des Staatsrats – oder wie die höchſte Staatsbehörde ſonſt hieß – abgab, ſuchte der Fürſt, der zunehmend in die Lage eines Dilettanten geriet, dem unvermeidlich wachſenden Gewicht der Fachſchulung der Beamten ſich zu entziehen und die oberſte Leitung in der Hand zu behalten: dieſer latente Kampf zwiſchen dem Fach- beamtentum und der Selbſtherrſchaft beſtand überall. Erſt gegenüber den Parlamenten und den Machtaſpirationen ihrer Parteiführer änderte ſich die Lage. Sehr verſchieden gelagerte Bedingungen führten doch zu dem äußerlich gleichen Ergebnis. Freilich mit gewiſſen Unterſchieden. Wo immer die Dynaſtien reale Macht in der Hand behielten – wie namentlich in Deutſch- land –, waren nun die Jntereſſen des Fürſten mit denen des Beamtentums ſolidariſch verknüpft gegen das Parlament und ſeine Machtanſprüche. Die Beamten hatten das Jnter- eſſe daran, daß auch die leitenden Stellen, alſo die Miniſter- poſten, aus ihren Reihen beſetzt, alſo Gegenſtände des Beamtenavancements, wurden. Der Monarch ſeinerſeits hatte das Jntereſſe daran, die Miniſter nach ſeinem Ermeſſen und aus den Reihen der ihm ergebenen Beamten ernennen zu können. Beide Teile aber waren daran intereſſiert, daß die politiſche Leitung dem Parlament einheitlich und geſchloſſen gegenübertrat, alſo: das Kollegialſyſtem durch einen einheitlichen Kabinettſchef erſetzt wurde. Der Monarch bedurfte überdies, ſchon um dem Parteikampf und den Parteiangriffen rein formell enthoben zu bleiben, einer ihn deckenden verantwort- lichen, das heißt: dem Parlament Rede ſtehenden und ihm entgegentretenden, mit den Parteien verhandelnden Einzel- perſönlichkeit. Alle dieſe Jntereſſen wirkten hier zuſammen in der gleichen Richtung: ein einheitlich führender Beamten- miniſter entſtand. Noch ſtärker wirkte in der Richtung der Vereinheitlichung die Entwicklung der Parlamentsmacht da,
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[18/0018]
lich, der die Entſcheidung gab. Durch dieſes kollegialiſche Syſtem,
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der Mehrheit und Minderheit führte und ferner dadurch, daß
er neben den offiziellen höchſten Behörden ſich mit rein perſön-
lichen Vertrauten – dem „Kabinett“ – umgab und durch
dieſe ſeine Entſcheidungen auf die Beſchlüſſe des Staatsrats
– oder wie die höchſte Staatsbehörde ſonſt hieß – abgab,
ſuchte der Fürſt, der zunehmend in die Lage eines Dilettanten
geriet, dem unvermeidlich wachſenden Gewicht der Fachſchulung
der Beamten ſich zu entziehen und die oberſte Leitung in der
Hand zu behalten: dieſer latente Kampf zwiſchen dem Fach-
beamtentum und der Selbſtherrſchaft beſtand überall. Erſt
gegenüber den Parlamenten und den Machtaſpirationen ihrer
Parteiführer änderte ſich die Lage. Sehr verſchieden gelagerte
Bedingungen führten doch zu dem äußerlich gleichen Ergebnis.
Freilich mit gewiſſen Unterſchieden. Wo immer die Dynaſtien
reale Macht in der Hand behielten – wie namentlich in Deutſch-
land –, waren nun die Jntereſſen des Fürſten mit denen des
Beamtentums ſolidariſch verknüpft gegen das Parlament
und ſeine Machtanſprüche. Die Beamten hatten das Jnter-
eſſe daran, daß auch die leitenden Stellen, alſo die Miniſter-
poſten, aus ihren Reihen beſetzt, alſo Gegenſtände des
Beamtenavancements, wurden. Der Monarch ſeinerſeits hatte
das Jntereſſe daran, die Miniſter nach ſeinem Ermeſſen und
aus den Reihen der ihm ergebenen Beamten ernennen zu
können. Beide Teile aber waren daran intereſſiert, daß die
politiſche Leitung dem Parlament einheitlich und geſchloſſen
gegenübertrat, alſo: das Kollegialſyſtem durch einen einheitlichen
Kabinettſchef erſetzt wurde. Der Monarch bedurfte überdies,
ſchon um dem Parteikampf und den Parteiangriffen rein
formell enthoben zu bleiben, einer ihn deckenden verantwort-
lichen, das heißt: dem Parlament Rede ſtehenden und ihm
entgegentretenden, mit den Parteien verhandelnden Einzel-
perſönlichkeit. Alle dieſe Jntereſſen wirkten hier zuſammen in
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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/18>, abgerufen am 12.08.2022.
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