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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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Der Vortrag, den ich auf Jhren Wunsch zu halten
habe, wird Sie nach verschiedenen Richtungen not-
wendig enttäuschen. Jn einer Rede über Politik als
Beruf werden Sie unwillkürlich eine Stellungnahme zu aktuellen
Tagesfragen erwarten. Das wird aber nur in einer rein for-
malen Art am Schlusse geschehen anläßlich bestimmter Fragen
der Bedeutung des politischen Tuns innerhalb der gesamten
Lebensführung. Ganz ausgeschaltet werden müssen dagegen in
dem heutigen Vortrag alle Fragen, die sich darauf beziehen:
welche Politik man treiben, welche Jnhalte, heißt das, man
seinem politischen Tun geben soll. Denn das hat mit der
allgemeinen Frage: was Politik als Beruf ist und bedeuten
kann, nichts zu tun. - Damit zur Sache!

Was verstehen wir unter Politik? Der Begriff ist außer-
ordentlich weit und umfaßt jede Art selbständig leitender
Tätigkeit. Man spricht von der Devisenpolitik der Banken,
von der Diskontpolitik der Reichsbank, von der Politik einer
Gewerkschaft in einem Streik, man kann sprechen von der
Schulpolitik einer Stadt- oder Dorfgemeinde, von der Politik
eines Vereinsvorstandes bei dessen Leitung, ja schließlich von
der Politik einer klugen Frau, die ihren Mann zu lenken
trachtet. Ein derartig weiter Begriff liegt unseren Betrach-
tungen vom heutigen Abend natürlich nicht zugrunde. Wir
wollen heute darunter nur verstehen: die Leitung oder die Be-
einflussung der Leitung eines politischen Verbandes, heute
also: eines Staates.

Was ist nun aber vom Standpunkt der soziologischen Be-
trachtung aus ein "politischer" Verband? Was ist: ein "Staat"?
Auch er läßt sich soziologisch nicht definieren aus dem Jnhalt
dessen, was er tut. Es gibt fast keine Aufgabe, die nicht ein
politischer Verband hier und da in die Hand genommen hätte,
anderseits auch keine, von der man sagen könnte, daß sie jeder-
zeit, vollends: daß sie immer ausschließlich denjenigen Ver-
bänden, die man als politische, heute: als Staaten, bezeichnet,
oder welche geschichtlich die Vorfahren des modernen Staates
waren, eigen gewesen wäre. Man kann vielmehr den modernen

1*

Der Vortrag, den ich auf Jhren Wunſch zu halten
habe, wird Sie nach verſchiedenen Richtungen not-
wendig enttäuſchen. Jn einer Rede über Politik als
Beruf werden Sie unwillkürlich eine Stellungnahme zu aktuellen
Tagesfragen erwarten. Das wird aber nur in einer rein for-
malen Art am Schluſſe geſchehen anläßlich beſtimmter Fragen
der Bedeutung des politiſchen Tuns innerhalb der geſamten
Lebensführung. Ganz ausgeſchaltet werden müſſen dagegen in
dem heutigen Vortrag alle Fragen, die ſich darauf beziehen:
welche Politik man treiben, welche Jnhalte, heißt das, man
ſeinem politiſchen Tun geben ſoll. Denn das hat mit der
allgemeinen Frage: was Politik als Beruf iſt und bedeuten
kann, nichts zu tun. – Damit zur Sache!

Was verſtehen wir unter Politik? Der Begriff iſt außer-
ordentlich weit und umfaßt jede Art ſelbſtändig leitender
Tätigkeit. Man ſpricht von der Deviſenpolitik der Banken,
von der Diſkontpolitik der Reichsbank, von der Politik einer
Gewerkſchaft in einem Streik, man kann ſprechen von der
Schulpolitik einer Stadt- oder Dorfgemeinde, von der Politik
eines Vereinsvorſtandes bei deſſen Leitung, ja ſchließlich von
der Politik einer klugen Frau, die ihren Mann zu lenken
trachtet. Ein derartig weiter Begriff liegt unſeren Betrach-
tungen vom heutigen Abend natürlich nicht zugrunde. Wir
wollen heute darunter nur verſtehen: die Leitung oder die Be-
einfluſſung der Leitung eines politiſchen Verbandes, heute
alſo: eines Staates.

Was iſt nun aber vom Standpunkt der ſoziologiſchen Be-
trachtung aus ein „politiſcher“ Verband? Was iſt: ein „Staat“?
Auch er läßt ſich ſoziologiſch nicht definieren aus dem Jnhalt
deſſen, was er tut. Es gibt faſt keine Aufgabe, die nicht ein
politiſcher Verband hier und da in die Hand genommen hätte,
anderſeits auch keine, von der man ſagen könnte, daß ſie jeder-
zeit, vollends: daß ſie immer ausſchließlich denjenigen Ver-
bänden, die man als politiſche, heute: als Staaten, bezeichnet,
oder welche geſchichtlich die Vorfahren des modernen Staates
waren, eigen geweſen wäre. Man kann vielmehr den modernen

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[3/0003] Der Vortrag, den ich auf Jhren Wunſch zu halten habe, wird Sie nach verſchiedenen Richtungen not- wendig enttäuſchen. Jn einer Rede über Politik als Beruf werden Sie unwillkürlich eine Stellungnahme zu aktuellen Tagesfragen erwarten. Das wird aber nur in einer rein for- malen Art am Schluſſe geſchehen anläßlich beſtimmter Fragen der Bedeutung des politiſchen Tuns innerhalb der geſamten Lebensführung. Ganz ausgeſchaltet werden müſſen dagegen in dem heutigen Vortrag alle Fragen, die ſich darauf beziehen: welche Politik man treiben, welche Jnhalte, heißt das, man ſeinem politiſchen Tun geben ſoll. Denn das hat mit der allgemeinen Frage: was Politik als Beruf iſt und bedeuten kann, nichts zu tun. – Damit zur Sache! Was verſtehen wir unter Politik? Der Begriff iſt außer- ordentlich weit und umfaßt jede Art ſelbſtändig leitender Tätigkeit. Man ſpricht von der Deviſenpolitik der Banken, von der Diſkontpolitik der Reichsbank, von der Politik einer Gewerkſchaft in einem Streik, man kann ſprechen von der Schulpolitik einer Stadt- oder Dorfgemeinde, von der Politik eines Vereinsvorſtandes bei deſſen Leitung, ja ſchließlich von der Politik einer klugen Frau, die ihren Mann zu lenken trachtet. Ein derartig weiter Begriff liegt unſeren Betrach- tungen vom heutigen Abend natürlich nicht zugrunde. Wir wollen heute darunter nur verſtehen: die Leitung oder die Be- einfluſſung der Leitung eines politiſchen Verbandes, heute alſo: eines Staates. Was iſt nun aber vom Standpunkt der ſoziologiſchen Be- trachtung aus ein „politiſcher“ Verband? Was iſt: ein „Staat“? Auch er läßt ſich ſoziologiſch nicht definieren aus dem Jnhalt deſſen, was er tut. Es gibt faſt keine Aufgabe, die nicht ein politiſcher Verband hier und da in die Hand genommen hätte, anderſeits auch keine, von der man ſagen könnte, daß ſie jeder- zeit, vollends: daß ſie immer ausſchließlich denjenigen Ver- bänden, die man als politiſche, heute: als Staaten, bezeichnet, oder welche geſchichtlich die Vorfahren des modernen Staates waren, eigen geweſen wäre. Man kann vielmehr den modernen 1*

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/3>, abgerufen am 24.04.2024.