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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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seines Wahlkreises und hielt seinerseits, um wiedergewählt zu
werden, Verbindung mit den örtlichen Honoratioren.

Diesem idyllischen Zustand der Herrschaft von Honoratioren-
kreisen und vor allem: der Parlamentarier, stehen nun die modern-
sten Formen der Parteiorganisation scharf abweichend gegenüber.
Sie sind Kinder der Demokratie, des Massenwahlrechts, der
Notwendigkeit der Massenwerbung und Massenorganisation,
der Entwicklung höchster Einheit der Leitung und strengster
Disziplin. Die Honoratiorenherrschaft und die Lenkung durch
die Parlamentarier hört auf. "Hauptberufliche" Politiker
außerhalb der Parlamente nehmen den Betrieb in die
Hand. Entweder als "Unternehmer" - wie der amerikanische
Boss und auch der englische "Election agent" es der Sache
nach waren - oder als fest besoldeter Beamter. Formell
findet eine weitgehende Demokratisierung statt. Nicht mehr
die Parlamentsfraktion schafft die maßgeblichen Programme
und nicht mehr die örtlichen Honoratioren haben die Auf-
stellung der Kandidaten in der Hand, sondern Versammlungen
der organisierten Parteimitglieder wählen die Kandidaten aus
und delegieren Mitglieder in die Versammlungen höherer
Ordnung, deren es bis zum allgemeinen "Parteitag" hinauf
möglicherweise mehrere gibt. Der Tatsache nach liegt aber
natürlich die Macht in den Händen derjenigen, welche kon-
tinuierlich
innerhalb des Betriebes die Arbeit leisten, oder
aber derjenigen, von welchen - z. B. als Mäcenaten oder
Leitern mächtiger politischer Jnteressentenklubs (Tammany-
Hall)
- der Betrieb in seinem Gang pekuniär oder personal
abhängig ist. Das Entscheidende ist, daß dieser ganze Menschen-
apparat - die "Maschine", wie man ihn in den angelsächsischen
Ländern bezeichnenderweise nennt - oder vielmehr diejenigen, die
ihn leiten, den Parlamentariern Schach bieten und ihnen ihren
Willen ziemlich weitgehend aufzuzwingen in der Lage sind.
Und das hat besonders Bedeutung für die Auslese der Füh-
rung
der Partei. Führer wird nun derjenige, dem die
Maschine folgt, auch über den Kopf des Parlaments. Die
Schaffung solcher Maschinen bedeutet, mit anderen Worten,
den Einzug der plebiszitären Demokratie.

ſeines Wahlkreiſes und hielt ſeinerſeits, um wiedergewählt zu
werden, Verbindung mit den örtlichen Honoratioren.

Dieſem idylliſchen Zuſtand der Herrſchaft von Honoratioren-
kreiſen und vor allem: der Parlamentarier, ſtehen nun die modern-
ſten Formen der Parteiorganiſation ſcharf abweichend gegenüber.
Sie ſind Kinder der Demokratie, des Maſſenwahlrechts, der
Notwendigkeit der Maſſenwerbung und Maſſenorganiſation,
der Entwicklung höchſter Einheit der Leitung und ſtrengſter
Disziplin. Die Honoratiorenherrſchaft und die Lenkung durch
die Parlamentarier hört auf. „Hauptberufliche“ Politiker
außerhalb der Parlamente nehmen den Betrieb in die
Hand. Entweder als „Unternehmer“ – wie der amerikaniſche
Boss und auch der engliſche „Election agent“ es der Sache
nach waren – oder als feſt beſoldeter Beamter. Formell
findet eine weitgehende Demokratiſierung ſtatt. Nicht mehr
die Parlamentsfraktion ſchafft die maßgeblichen Programme
und nicht mehr die örtlichen Honoratioren haben die Auf-
ſtellung der Kandidaten in der Hand, ſondern Verſammlungen
der organiſierten Parteimitglieder wählen die Kandidaten aus
und delegieren Mitglieder in die Verſammlungen höherer
Ordnung, deren es bis zum allgemeinen „Parteitag“ hinauf
möglicherweiſe mehrere gibt. Der Tatſache nach liegt aber
natürlich die Macht in den Händen derjenigen, welche kon-
tinuierlich
innerhalb des Betriebes die Arbeit leiſten, oder
aber derjenigen, von welchen – z. B. als Mäcenaten oder
Leitern mächtiger politiſcher Jntereſſentenklubs (Tammany-
Hall)
– der Betrieb in ſeinem Gang pekuniär oder perſonal
abhängig iſt. Das Entſcheidende iſt, daß dieſer ganze Menſchen-
apparat – die „Maſchine“, wie man ihn in den angelsächſiſchen
Ländern bezeichnenderweiſe nennt – oder vielmehr diejenigen, die
ihn leiten, den Parlamentariern Schach bieten und ihnen ihren
Willen ziemlich weitgehend aufzuzwingen in der Lage ſind.
Und das hat beſonders Bedeutung für die Ausleſe der Füh-
rung
der Partei. Führer wird nun derjenige, dem die
Maſchine folgt, auch über den Kopf des Parlaments. Die
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den Einzug der plebiszitären Demokratie.

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[34/0034] ſeines Wahlkreiſes und hielt ſeinerſeits, um wiedergewählt zu werden, Verbindung mit den örtlichen Honoratioren. Dieſem idylliſchen Zuſtand der Herrſchaft von Honoratioren- kreiſen und vor allem: der Parlamentarier, ſtehen nun die modern- ſten Formen der Parteiorganiſation ſcharf abweichend gegenüber. Sie ſind Kinder der Demokratie, des Maſſenwahlrechts, der Notwendigkeit der Maſſenwerbung und Maſſenorganiſation, der Entwicklung höchſter Einheit der Leitung und ſtrengſter Disziplin. Die Honoratiorenherrſchaft und die Lenkung durch die Parlamentarier hört auf. „Hauptberufliche“ Politiker außerhalb der Parlamente nehmen den Betrieb in die Hand. Entweder als „Unternehmer“ – wie der amerikaniſche Boss und auch der engliſche „Election agent“ es der Sache nach waren – oder als feſt beſoldeter Beamter. Formell findet eine weitgehende Demokratiſierung ſtatt. Nicht mehr die Parlamentsfraktion ſchafft die maßgeblichen Programme und nicht mehr die örtlichen Honoratioren haben die Auf- ſtellung der Kandidaten in der Hand, ſondern Verſammlungen der organiſierten Parteimitglieder wählen die Kandidaten aus und delegieren Mitglieder in die Verſammlungen höherer Ordnung, deren es bis zum allgemeinen „Parteitag“ hinauf möglicherweiſe mehrere gibt. Der Tatſache nach liegt aber natürlich die Macht in den Händen derjenigen, welche kon- tinuierlich innerhalb des Betriebes die Arbeit leiſten, oder aber derjenigen, von welchen – z. B. als Mäcenaten oder Leitern mächtiger politiſcher Jntereſſentenklubs (Tammany- Hall) – der Betrieb in ſeinem Gang pekuniär oder perſonal abhängig iſt. Das Entſcheidende iſt, daß dieſer ganze Menſchen- apparat – die „Maſchine“, wie man ihn in den angelsächſiſchen Ländern bezeichnenderweiſe nennt – oder vielmehr diejenigen, die ihn leiten, den Parlamentariern Schach bieten und ihnen ihren Willen ziemlich weitgehend aufzuzwingen in der Lage ſind. Und das hat beſonders Bedeutung für die Ausleſe der Füh- rung der Partei. Führer wird nun derjenige, dem die Maſchine folgt, auch über den Kopf des Parlaments. Die Schaffung ſolcher Maſchinen bedeutet, mit anderen Worten, den Einzug der plebiszitären Demokratie.

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/34>, abgerufen am 19.04.2024.