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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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durch politische Beherrschung vor allem von Kommunalver-
waltungen - auch hier des wichtigsten Ausbeutungsobjektes -
erstreben. Möglich war diese Struktur des Parteilebens in-
folge der hochgradigen Demokratie der Vereinigten Staaten
als eines "Neulandes". Dieser Zusammenhang nun be-
dingt, daß dies System im langsamen Absterben begriffen ist.
Amerika kann nicht mehr nur durch Dilettanten regiert werden.
Von amerikanischen Arbeitern bekam man noch vor 15 Jahren
auf die Frage, warum sie sich so von Politikern regieren ließen,
die sie selbst zu verachten erklärten, die Antwort: "Wir haben
lieber Leute als Beamte, auf die wir spucken, als wie bei
euch eine Beamtenkaste, die auf uns spuckt." Das war der
alte Standpunkt amerikanischer "Demokratie": die Sozialisten
dachten schon damals völlig anders. Der Zustand wird nicht
mehr ertragen. Die Dilettantenverwaltung reicht nicht mehr
aus, und die Civil Service Reform schafft lebenslängliche
pensionsfähige Stellen in stets wachsender Zahl und be-
wirkt so, daß auf der Universität geschulte Beamte, genau so
unbestechlich und tüchtig wie die unsrigen in die Ämter kommen.
Rund 100 000 Ämter sind schon jetzt nicht mehr im Wahl-
turnus Beuteobjekt, sondern pensionsfähig und an Qualifikations-
nachweis geknüpft. Das wird das spoil system langsam mehr
zurücktreten lassen, und die Art der Parteileitung wird sich
dann wohl ebenfalls umbilden, wir wissen nur noch nicht, wie.

Jn Deutschland waren die entscheidenden Bedingungen
des politischen Betriebes bisher im wesentlichen folgende. Erstens:
Machtlosigkeit der Parlamente. Die Folge war: daß kein Mensch,
der Führerqualität hatte, dauernd hineinging. Gesetzt den Fall,
man wollte hineingehen, - was konnte man dort tun? Wenn eine
Kanzleistelle frei wurde, konnte man dem betreffenden Ver-
waltungschef sagen: ich habe in meinem Wahlkreis einen sehr
tüchtigen Mann, der wäre geeignet, nehmen sie den doch. Und
das geschah gern. Das war aber so ziemlich alles, was ein
deutscher Parlamentarier für die Befriedigung seiner Macht-
instinkte erreichen konnte, - wenn er solche hatte. Dazu trat
- und dies zweite Moment bedingte das erste -: die ungeheure
Bedeutung des geschulten Fachbeamtentums in Deutschland.

durch politiſche Beherrſchung vor allem von Kommunalver-
waltungen – auch hier des wichtigſten Ausbeutungsobjektes –
erſtreben. Möglich war dieſe Struktur des Parteilebens in-
folge der hochgradigen Demokratie der Vereinigten Staaten
als eines „Neulandes“. Dieſer Zuſammenhang nun be-
dingt, daß dies Syſtem im langſamen Abſterben begriffen iſt.
Amerika kann nicht mehr nur durch Dilettanten regiert werden.
Von amerikaniſchen Arbeitern bekam man noch vor 15 Jahren
auf die Frage, warum ſie ſich ſo von Politikern regieren ließen,
die ſie ſelbſt zu verachten erklärten, die Antwort: „Wir haben
lieber Leute als Beamte, auf die wir ſpucken, als wie bei
euch eine Beamtenkaſte, die auf uns ſpuckt.“ Das war der
alte Standpunkt amerikaniſcher „Demokratie“: die Sozialiſten
dachten ſchon damals völlig anders. Der Zuſtand wird nicht
mehr ertragen. Die Dilettantenverwaltung reicht nicht mehr
aus, und die Civil Service Reform ſchafft lebenslängliche
penſionsfähige Stellen in ſtets wachſender Zahl und be-
wirkt ſo, daß auf der Univerſität geſchulte Beamte, genau ſo
unbeſtechlich und tüchtig wie die unſrigen in die Ämter kommen.
Rund 100 000 Ämter ſind ſchon jetzt nicht mehr im Wahl-
turnus Beuteobjekt, ſondern penſionsfähig und an Qualifikations-
nachweis geknüpft. Das wird das spoil system langſam mehr
zurücktreten laſſen, und die Art der Parteileitung wird ſich
dann wohl ebenfalls umbilden, wir wiſſen nur noch nicht, wie.

Jn Deutſchland waren die entſcheidenden Bedingungen
des politiſchen Betriebes bisher im weſentlichen folgende. Erſtens:
Machtloſigkeit der Parlamente. Die Folge war: daß kein Menſch,
der Führerqualität hatte, dauernd hineinging. Geſetzt den Fall,
man wollte hineingehen, – was konnte man dort tun? Wenn eine
Kanzleiſtelle frei wurde, konnte man dem betreffenden Ver-
waltungſchef ſagen: ich habe in meinem Wahlkreis einen ſehr
tüchtigen Mann, der wäre geeignet, nehmen ſie den doch. Und
das geſchah gern. Das war aber ſo ziemlich alles, was ein
deutſcher Parlamentarier für die Befriedigung ſeiner Macht-
inſtinkte erreichen konnte, – wenn er ſolche hatte. Dazu trat
– und dies zweite Moment bedingte das erſte –: die ungeheure
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[44/0044] durch politiſche Beherrſchung vor allem von Kommunalver- waltungen – auch hier des wichtigſten Ausbeutungsobjektes – erſtreben. Möglich war dieſe Struktur des Parteilebens in- folge der hochgradigen Demokratie der Vereinigten Staaten als eines „Neulandes“. Dieſer Zuſammenhang nun be- dingt, daß dies Syſtem im langſamen Abſterben begriffen iſt. Amerika kann nicht mehr nur durch Dilettanten regiert werden. Von amerikaniſchen Arbeitern bekam man noch vor 15 Jahren auf die Frage, warum ſie ſich ſo von Politikern regieren ließen, die ſie ſelbſt zu verachten erklärten, die Antwort: „Wir haben lieber Leute als Beamte, auf die wir ſpucken, als wie bei euch eine Beamtenkaſte, die auf uns ſpuckt.“ Das war der alte Standpunkt amerikaniſcher „Demokratie“: die Sozialiſten dachten ſchon damals völlig anders. Der Zuſtand wird nicht mehr ertragen. Die Dilettantenverwaltung reicht nicht mehr aus, und die Civil Service Reform ſchafft lebenslängliche penſionsfähige Stellen in ſtets wachſender Zahl und be- wirkt ſo, daß auf der Univerſität geſchulte Beamte, genau ſo unbeſtechlich und tüchtig wie die unſrigen in die Ämter kommen. Rund 100 000 Ämter ſind ſchon jetzt nicht mehr im Wahl- turnus Beuteobjekt, ſondern penſionsfähig und an Qualifikations- nachweis geknüpft. Das wird das spoil system langſam mehr zurücktreten laſſen, und die Art der Parteileitung wird ſich dann wohl ebenfalls umbilden, wir wiſſen nur noch nicht, wie. Jn Deutſchland waren die entſcheidenden Bedingungen des politiſchen Betriebes bisher im weſentlichen folgende. Erſtens: Machtloſigkeit der Parlamente. Die Folge war: daß kein Menſch, der Führerqualität hatte, dauernd hineinging. Geſetzt den Fall, man wollte hineingehen, – was konnte man dort tun? Wenn eine Kanzleiſtelle frei wurde, konnte man dem betreffenden Ver- waltungſchef ſagen: ich habe in meinem Wahlkreis einen ſehr tüchtigen Mann, der wäre geeignet, nehmen ſie den doch. Und das geſchah gern. Das war aber ſo ziemlich alles, was ein deutſcher Parlamentarier für die Befriedigung ſeiner Macht- inſtinkte erreichen konnte, – wenn er ſolche hatte. Dazu trat – und dies zweite Moment bedingte das erſte –: die ungeheure Bedeutung des geſchulten Fachbeamtentums in Deutſchland.

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/44>, abgerufen am 29.03.2024.