Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.Gange. Vielleicht - nicht sicher. Zunächst traten Ansätze Nehmen wir an, das änderte sich, so muß man sich nach dem Gange. Vielleicht – nicht ſicher. Zunächſt traten Ansätze Nehmen wir an, das änderte ſich, ſo muß man ſich nach dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="47"/> Gange. Vielleicht – nicht ſicher. Zunächſt traten Ansätze<lb/> zu neuen Arten von Parteiapparaten auf. Erſtens Amateur-<lb/> apparate. Beſonders oft vertreten durch Studenten der ver-<lb/> ſchiedenen Hochſchulen, die einem Mann, dem ſie Führer-<lb/> qualitäten zuſchreiben, ſagen: wir wollen für Sie die nötige<lb/> Arbeit verſehen, führen Sie ſie aus. Zweitens geſchäftsmänniſche<lb/> Apparate. Es kam vor, daß Leute zu Männern kamen, denen<lb/> ſie Führerqualitäten zuſchrieben, und ſich erboten, gegen feſte<lb/> Beträge für jede Wahlſtimme die Werbung zu übernehmen. –<lb/> Wenn Sie mich ehrlich fragen würden, welchen von dieſen beiden<lb/> Apparaten ich unter rein techniſch-politiſchen Geſichtspunkten<lb/> für verläßlicher halten wollte, ſo würde ich, glaube ich, den<lb/> letzteren vorziehen. Aber beides waren ſchnell aufſteigende<lb/> Blaſen, die raſch wieder verſchwanden. Die vorhandenen<lb/> Apparate ſchichteten ſich um, arbeiteten aber weiter. Jene<lb/> Erſcheinungen waren nur ein Symptom dafür, daß die neuen<lb/> Apparate ſich vielleicht ſchon einſtellen würden, wenn nur –<lb/> die Führer da wären. Aber ſchon die techniſche Eigentümlichkeit<lb/> des Verhältniswahlrechts ſchloß deren Hochkommen aus. Nur<lb/> ein paar Diktatoren der Straße entſtanden und gingen wieder<lb/> unter. Und nur die Gefolgſchaft der Straßendiktatur iſt in<lb/> feſter Disziplin organiſiert: daher die Macht dieſer verſchwindenden<lb/> Minderheiten.</p><lb/> <p>Nehmen wir an, das änderte ſich, ſo muß man ſich nach dem<lb/> früher Geſagten klarmachen: die Leitung der Parteien durch<lb/> plebiszitäre Führer bedingt die „Entſeelung“ der Gefolgſchaft,<lb/> ihre geiſtige Proletariſierung, könnte man ſagen. Um für den<lb/> Führer als Apparat brauchbar zu ſein, muß ſie blind ge-<lb/> horchen, Maſchine im amerikaniſchen Sinne ſein, nicht geſtört<lb/> durch Honoratioreneitelkeit und Prätenſionen eigener Anſichten.<lb/> Lincolns Wahl war nur durch dieſen Charakter der Partei-<lb/> organiſation möglich, und bei Gladſtone trat, wie erwähnt,<lb/> das gleiche im <hi rendition="#aq">Caucus</hi> ein. Es iſt das eben der Preis, wo-<lb/> mit man die Leitung durch Führer zahlt. Aber es gibt nur<lb/> die Wahl: Führerdemokratie mit „Maſchine“ oder führerloſe<lb/> Demokratie, das heißt: die Herrſchaft der „Berufspolitiker“<lb/> ohne Beruf, ohne die inneren, charismatiſchen Qualitäten, die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0047]
Gange. Vielleicht – nicht ſicher. Zunächſt traten Ansätze
zu neuen Arten von Parteiapparaten auf. Erſtens Amateur-
apparate. Beſonders oft vertreten durch Studenten der ver-
ſchiedenen Hochſchulen, die einem Mann, dem ſie Führer-
qualitäten zuſchreiben, ſagen: wir wollen für Sie die nötige
Arbeit verſehen, führen Sie ſie aus. Zweitens geſchäftsmänniſche
Apparate. Es kam vor, daß Leute zu Männern kamen, denen
ſie Führerqualitäten zuſchrieben, und ſich erboten, gegen feſte
Beträge für jede Wahlſtimme die Werbung zu übernehmen. –
Wenn Sie mich ehrlich fragen würden, welchen von dieſen beiden
Apparaten ich unter rein techniſch-politiſchen Geſichtspunkten
für verläßlicher halten wollte, ſo würde ich, glaube ich, den
letzteren vorziehen. Aber beides waren ſchnell aufſteigende
Blaſen, die raſch wieder verſchwanden. Die vorhandenen
Apparate ſchichteten ſich um, arbeiteten aber weiter. Jene
Erſcheinungen waren nur ein Symptom dafür, daß die neuen
Apparate ſich vielleicht ſchon einſtellen würden, wenn nur –
die Führer da wären. Aber ſchon die techniſche Eigentümlichkeit
des Verhältniswahlrechts ſchloß deren Hochkommen aus. Nur
ein paar Diktatoren der Straße entſtanden und gingen wieder
unter. Und nur die Gefolgſchaft der Straßendiktatur iſt in
feſter Disziplin organiſiert: daher die Macht dieſer verſchwindenden
Minderheiten.
Nehmen wir an, das änderte ſich, ſo muß man ſich nach dem
früher Geſagten klarmachen: die Leitung der Parteien durch
plebiszitäre Führer bedingt die „Entſeelung“ der Gefolgſchaft,
ihre geiſtige Proletariſierung, könnte man ſagen. Um für den
Führer als Apparat brauchbar zu ſein, muß ſie blind ge-
horchen, Maſchine im amerikaniſchen Sinne ſein, nicht geſtört
durch Honoratioreneitelkeit und Prätenſionen eigener Anſichten.
Lincolns Wahl war nur durch dieſen Charakter der Partei-
organiſation möglich, und bei Gladſtone trat, wie erwähnt,
das gleiche im Caucus ein. Es iſt das eben der Preis, wo-
mit man die Leitung durch Führer zahlt. Aber es gibt nur
die Wahl: Führerdemokratie mit „Maſchine“ oder führerloſe
Demokratie, das heißt: die Herrſchaft der „Berufspolitiker“
ohne Beruf, ohne die inneren, charismatiſchen Qualitäten, die
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Zitationshilfe: | Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/47>, abgerufen am 20.08.2022. |