Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite
werth gewordenen Klassengenossen ausgeübt, zu züchtigen; wir
können es zu allerletzt, um unseren schuldbeladenen Schüler zu
hindern, den nämlichen demoralisirenden Einfluß auf seine noch
unberührt gebliebenen Klassengenossen auszuüben. Wir können
es -- und der, meine Herren Collegen, möchte der schwerwiegendste
sein -- aus dem jedwelchen Einwand niederschlagenden Grunde nicht,
weil wir unsere Anstalt vor den Verheerungen einer Selbstmord-
Epidemie
zu schützen haben, wie sie bereits an verschiedenen
Gymnasien zum jähen Ausbruch gelangt und bis heute noch allen
Mitteln, den Gymnasiasten an seine durch seine Heranbildung
zum Gebildeten gebildeten Existenzbedingungen zu fesseln, gespottet
hat. -- -- Sollte einer der Herren Collegen noch etwas zu
bemerken haben?
Knüppeldick. Ich kann mich nicht länger der Ueber-
zeugung verschließen, daß es endlich an der Zeit wäre -- irgendwo
ein Fenster zu öffnen.
Knochenbruch. Ich schließe mich Ihrer Ansicht an, Herr
Collega.
Zungenschlag. Es herrscht hier nämlich eine A-A-Athmo-
sphäre wie in den unterirdischen Kata-Katakomben der ewigen
Stadt -- wie unter den Bleidächern Ve-Ve-Ve-Venedigs -- wie
in den A-Aktensälen des weiland Wetzlarer Ka-Ka-Ka-Ka-Kammer-
gerichtes.
Sonnenstich. Habebald!
Habebald. Befehlen, Herr Rektor!
Sonnenstich. Oeffnen Sie ein Fenster! -- Wir haben,
Gott sei Dank, Atmosphäre genug in Gottes freier Natur. -- --
Sollte einer der Herren Collegen noch sonst etwas zu bemerken
haben?
Fliegentod. Wenn meine Herren Collegen ein Fenster
öffnen lassen wollen, so habe ich meinerseits nichts dagegen ein-
4*
werth gewordenen Klaſſengenoſſen ausgeübt, zu züchtigen; wir
können es zu allerletzt, um unſeren ſchuldbeladenen Schüler zu
hindern, den nämlichen demoraliſirenden Einfluß auf ſeine noch
unberührt gebliebenen Klaſſengenoſſen auszuüben. Wir können
es — und der, meine Herren Collegen, möchte der ſchwerwiegendſte
ſein — aus dem jedwelchen Einwand niederſchlagenden Grunde nicht,
weil wir unſere Anſtalt vor den Verheerungen einer Selbſtmord-
Epidemie
zu ſchützen haben, wie ſie bereits an verſchiedenen
Gymnaſien zum jähen Ausbruch gelangt und bis heute noch allen
Mitteln, den Gymnaſiaſten an ſeine durch ſeine Heranbildung
zum Gebildeten gebildeten Exiſtenzbedingungen zu feſſeln, geſpottet
hat. — — Sollte einer der Herren Collegen noch etwas zu
bemerken haben?
Knüppeldick. Ich kann mich nicht länger der Ueber-
zeugung verſchließen, daß es endlich an der Zeit wäre — irgendwo
ein Fenſter zu öffnen.
Knochenbruch. Ich ſchließe mich Ihrer Anſicht an, Herr
Collega.
Zungenſchlag. Es herrſcht hier nämlich eine A-A-Athmo-
ſphäre wie in den unterirdiſchen Kata-Katakomben der ewigen
Stadt — wie unter den Bleidächern Ve-Ve-Ve-Venedigs — wie
in den A-Aktenſälen des weiland Wetzlarer Ka-Ka-Ka-Ka-Kammer-
gerichtes.
Sonnenſtich. Habebald!
Habebald. Befehlen, Herr Rektor!
Sonnenſtich. Oeffnen Sie ein Fenſter! — Wir haben,
Gott ſei Dank, Atmoſphäre genug in Gottes freier Natur. — —
Sollte einer der Herren Collegen noch ſonſt etwas zu bemerken
haben?
Fliegentod. Wenn meine Herren Collegen ein Fenſter
öffnen laſſen wollen, ſo habe ich meinerſeits nichts dagegen ein-
4*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <sp who="#SON">
            <p><pb facs="#f0067" n="51"/>
werth gewordenen Kla&#x017F;&#x017F;engeno&#x017F;&#x017F;en ausgeübt, zu züchtigen; wir<lb/>
können es zu allerletzt, um un&#x017F;eren &#x017F;chuldbeladenen Schüler zu<lb/>
hindern, den nämlichen demorali&#x017F;irenden Einfluß auf &#x017F;eine noch<lb/>
unberührt gebliebenen Kla&#x017F;&#x017F;engeno&#x017F;&#x017F;en auszuüben. Wir können<lb/>
es &#x2014; und der, meine Herren Collegen, möchte der &#x017F;chwerwiegend&#x017F;te<lb/>
&#x017F;ein &#x2014; aus dem jedwelchen Einwand nieder&#x017F;chlagenden Grunde nicht,<lb/>
weil wir un&#x017F;ere An&#x017F;talt vor den Verheerungen einer <hi rendition="#g">Selb&#x017F;tmord-<lb/>
Epidemie</hi> zu &#x017F;chützen haben, wie &#x017F;ie bereits an ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Gymna&#x017F;ien zum jähen Ausbruch gelangt und bis heute noch allen<lb/>
Mitteln, den Gymna&#x017F;ia&#x017F;ten an &#x017F;eine durch &#x017F;eine Heranbildung<lb/>
zum Gebildeten gebildeten Exi&#x017F;tenzbedingungen zu fe&#x017F;&#x017F;eln, ge&#x017F;pottet<lb/>
hat. &#x2014; &#x2014; Sollte einer der Herren Collegen noch etwas zu<lb/>
bemerken haben?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#KNU">
            <speaker><hi rendition="#g">Knüppeldick</hi>.</speaker>
            <p>Ich kann mich nicht länger der Ueber-<lb/>
zeugung ver&#x017F;chließen, daß es endlich an der Zeit wäre &#x2014; irgendwo<lb/>
ein Fen&#x017F;ter zu öffnen.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#KNO">
            <speaker><hi rendition="#g">Knochenbruch</hi>.</speaker>
            <p>Ich &#x017F;chließe mich Ihrer An&#x017F;icht an, Herr<lb/>
Collega.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#ZUN">
            <speaker><hi rendition="#g">Zungen&#x017F;chlag</hi>.</speaker>
            <p>Es herr&#x017F;cht hier nämlich eine A-A-Athmo-<lb/>
&#x017F;phäre wie in den unterirdi&#x017F;chen Kata-Katakomben der ewigen<lb/>
Stadt &#x2014; wie unter den Bleidächern Ve-Ve-Ve-Venedigs &#x2014; wie<lb/>
in den A-Akten&#x017F;älen des weiland Wetzlarer Ka-Ka-Ka-Ka-Kammer-<lb/>
gerichtes.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#SON">
            <speaker><hi rendition="#g">Sonnen&#x017F;tich</hi>.</speaker>
            <p>Habebald!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#HAB">
            <speaker><hi rendition="#g">Habebald</hi>.</speaker>
            <p>Befehlen, Herr Rektor!</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#SON">
            <speaker><hi rendition="#g">Sonnen&#x017F;tich</hi>.</speaker>
            <p>Oeffnen Sie ein Fen&#x017F;ter! &#x2014; Wir haben,<lb/>
Gott &#x017F;ei Dank, Atmo&#x017F;phäre genug in Gottes freier Natur. &#x2014; &#x2014;<lb/>
Sollte einer der Herren Collegen noch &#x017F;on&#x017F;t etwas zu bemerken<lb/>
haben?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#FLI">
            <speaker><hi rendition="#g">Fliegentod</hi>.</speaker>
            <p>Wenn meine Herren Collegen ein Fen&#x017F;ter<lb/>
öffnen la&#x017F;&#x017F;en wollen, &#x017F;o habe ich meiner&#x017F;eits nichts dagegen ein-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4*</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0067] werth gewordenen Klaſſengenoſſen ausgeübt, zu züchtigen; wir können es zu allerletzt, um unſeren ſchuldbeladenen Schüler zu hindern, den nämlichen demoraliſirenden Einfluß auf ſeine noch unberührt gebliebenen Klaſſengenoſſen auszuüben. Wir können es — und der, meine Herren Collegen, möchte der ſchwerwiegendſte ſein — aus dem jedwelchen Einwand niederſchlagenden Grunde nicht, weil wir unſere Anſtalt vor den Verheerungen einer Selbſtmord- Epidemie zu ſchützen haben, wie ſie bereits an verſchiedenen Gymnaſien zum jähen Ausbruch gelangt und bis heute noch allen Mitteln, den Gymnaſiaſten an ſeine durch ſeine Heranbildung zum Gebildeten gebildeten Exiſtenzbedingungen zu feſſeln, geſpottet hat. — — Sollte einer der Herren Collegen noch etwas zu bemerken haben? Knüppeldick. Ich kann mich nicht länger der Ueber- zeugung verſchließen, daß es endlich an der Zeit wäre — irgendwo ein Fenſter zu öffnen. Knochenbruch. Ich ſchließe mich Ihrer Anſicht an, Herr Collega. Zungenſchlag. Es herrſcht hier nämlich eine A-A-Athmo- ſphäre wie in den unterirdiſchen Kata-Katakomben der ewigen Stadt — wie unter den Bleidächern Ve-Ve-Ve-Venedigs — wie in den A-Aktenſälen des weiland Wetzlarer Ka-Ka-Ka-Ka-Kammer- gerichtes. Sonnenſtich. Habebald! Habebald. Befehlen, Herr Rektor! Sonnenſtich. Oeffnen Sie ein Fenſter! — Wir haben, Gott ſei Dank, Atmoſphäre genug in Gottes freier Natur. — — Sollte einer der Herren Collegen noch ſonſt etwas zu bemerken haben? Fliegentod. Wenn meine Herren Collegen ein Fenſter öffnen laſſen wollen, ſo habe ich meinerſeits nichts dagegen ein- 4*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/67
Zitationshilfe: Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wedekind_erwachen_1891/67>, abgerufen am 25.04.2024.