Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674.

Bild:
<< vorherige Seite

Von den Moral. Eigenschafften Das IX.
die nechsten und gewissesten ein bequemes Kennzeichen/ zum Unterscheid
des Dinges unter allen andern Dingen/ welches die Schul-Lehrer die
Essentz oder das förmliche Wesen des Dinges nennen/ nicht daß man
das gantze Wesen eines Dinges daraus alsobald vollkömlich abnehmen
und verstehen solte können/ sondern daß man es dadurch nur voran be-
deuten/ und damit zu dessen würcklicher Erforschung den Anfang ma-
chen wolle. Also ist die Achtbarkeit/ dadurch ein Mensch vor eine Mo-
ralische Person gerechnet wird/ die Essentz derselben/ als eines lebendi-
gen Gliedes der Gemeine. Die übrigen Benennungen und Eigen-
schafften/ ob sie gleich dem Ding eben so nahe als die vorigen verwandt/
werden sie doch Lehrens halber nur vor Anhängigkeiten angenommen/
und zustehende/ oder zufällige Eigenschafften genennet/ als daß eine
solche Person mächtig sey/ wohlverdient/ from und dergleichen.

§. 3. Wiewohl man nun bey den Zahlen/ weil sie an und vor
sich gar klar sind/ alles was zu ihren so wohl effential Eigenschafften
als Anhängigkeiten gehöret/ iedes auff einmahl gleichsam übersehen
kan; so muß man doch bey andern Sachen/ und insonderheit auch bey
den Moralischen Dingen/ zur vernünfftigen Betrachtung einer ieden
Eigenschafft zwey Gedenck-Grad setzen/ und zum ersten Grad die Ei-
genschafft nur also bloß und überhaupt betrachten/ als ein blosse Benen-
nung des Dinges/ dadurch es nur so oder so zum Exempel/ gültig/
zu seyn/ benennet werden kan: Hernach und zum andern Grad so be-
trachtet man eben dieselbe Eigenschafft genau/ nach ihrem Maß/ wie-
viel davon dem Dinge zukomme/ zum Exempel/ daß es so und so viel
gelte/ eines Thalers werth sey/ etc.

§. 4. Wann die Eigenschafften nach ienem Grad betrachtet
werden/ heissen sie des Dinges seine Qualitäten und Beschaffenhei-
ten; aber wann sie nach diesem/ nemlich dem andern Grad/ betrachtet
werden/ heist es eine Quantität/ wie sehr nemlich ein Ding so und
so sey. Dahero man sie die Sehrsamkeit heissen könte. Jst
also die Sehrsamkeit/ oder die Quantität/ in der That allezeit mit ihren
Qualitäten ein Ding/ und bedeutet eines eben was das andere bedeu-
tet/ nur daß die blossen Qualitäten es oben hin/ überhaupt; die Sehr-
samkeit und Quantität aber scharff und genau/ bedeuten/ darnach
man sich richten/ und die Sache richtig und gemessen/ als was gewisses/
zum effect also darstellen kan. Welches wann man es in Schulen

ehe

Von den Moral. Eigenſchafften Das IX.
die nechſten und gewiſſeſten ein bequemes Kennzeichen/ zum Unterſcheid
des Dinges unter allen andern Dingen/ welches die Schul-Lehrer die
Eſſentz oder das foͤrmliche Weſen des Dinges nennen/ nicht daß man
das gantze Weſen eines Dinges daraus alſobald vollkoͤmlich abnehmen
und verſtehen ſolte koͤnnen/ ſondern daß man es dadurch nur voran be-
deuten/ und damit zu deſſen wuͤrcklicher Erforſchung den Anfang ma-
chen wolle. Alſo iſt die Achtbarkeit/ dadurch ein Menſch vor eine Mo-
raliſche Perſon gerechnet wird/ die Eſſentz derſelben/ als eines lebendi-
gen Gliedes der Gemeine. Die uͤbrigen Benennungen und Eigen-
ſchafften/ ob ſie gleich dem Ding eben ſo nahe als die vorigen verwandt/
werden ſie doch Lehrens halber nur vor Anhaͤngigkeiten angenommen/
und zuſtehende/ oder zufaͤllige Eigenſchafften genennet/ als daß eine
ſolche Perſon maͤchtig ſey/ wohlverdient/ from und dergleichen.

§. 3. Wiewohl man nun bey den Zahlen/ weil ſie an und vor
ſich gar klar ſind/ alles was zu ihren ſo wohl effential Eigenſchafften
als Anhaͤngigkeiten gehoͤret/ iedes auff einmahl gleichſam uͤberſehen
kan; ſo muß man doch bey andern Sachen/ und inſonderheit auch bey
den Moraliſchen Dingen/ zur vernuͤnfftigen Betrachtung einer ieden
Eigenſchafft zwey Gedenck-Grad ſetzen/ und zum erſten Grad die Ei-
genſchafft nur alſo bloß und uͤberhaupt betrachten/ als ein bloſſe Benen-
nung des Dinges/ dadurch es nur ſo oder ſo zum Exempel/ guͤltig/
zu ſeyn/ benennet werden kan: Hernach und zum andern Grad ſo be-
trachtet man eben dieſelbe Eigenſchafft genau/ nach ihrem Maß/ wie-
viel davon dem Dinge zukomme/ zum Exempel/ daß es ſo und ſo viel
gelte/ eines Thalers werth ſey/ ꝛc.

§. 4. Wann die Eigenſchafften nach ienem Grad betrachtet
werden/ heiſſen ſie des Dinges ſeine Qualitaͤten und Beſchaffenhei-
ten; aber wann ſie nach dieſem/ nemlich dem andern Grad/ betrachtet
werden/ heiſt es eine Quantitaͤt/ wie ſehr nemlich ein Ding ſo und
ſo ſey. Dahero man ſie die Sehrſamkeit heiſſen koͤnte. Jſt
alſo die Sehrſamkeit/ oder die Quantitaͤt/ in der That allezeit mit ihren
Qualitaͤten ein Ding/ und bedeutet eines eben was das andere bedeu-
tet/ nur daß die bloſſen Qualitaͤten es oben hin/ uͤberhaupt; die Sehr-
ſamkeit und Quantitaͤt aber ſcharff und genau/ bedeuten/ darnach
man ſich richten/ und die Sache richtig und gemeſſen/ als was gewiſſes/
zum effect alſo darſtellen kan. Welches wann man es in Schulen

ehe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0062" n="52"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von den Moral. Eigen&#x017F;chafften Das <hi rendition="#aq">IX.</hi></hi></fw><lb/>
die nech&#x017F;ten und gewi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten ein bequemes Kennzeichen/ zum Unter&#x017F;cheid<lb/>
des Dinges unter allen andern Dingen/ welches die Schul-Lehrer die<lb/>
E&#x017F;&#x017F;entz oder das fo&#x0364;rmliche We&#x017F;en des Dinges nennen/ nicht daß man<lb/>
das gantze We&#x017F;en eines Dinges daraus al&#x017F;obald vollko&#x0364;mlich abnehmen<lb/>
und ver&#x017F;tehen &#x017F;olte ko&#x0364;nnen/ &#x017F;ondern daß man es dadurch nur voran be-<lb/>
deuten/ und damit zu de&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rcklicher Erfor&#x017F;chung den Anfang ma-<lb/>
chen wolle. Al&#x017F;o i&#x017F;t die Achtbarkeit/ dadurch ein Men&#x017F;ch vor eine Mo-<lb/>
rali&#x017F;che Per&#x017F;on gerechnet wird/ die E&#x017F;&#x017F;entz der&#x017F;elben/ als eines lebendi-<lb/>
gen Gliedes der Gemeine. Die u&#x0364;brigen Benennungen und Eigen-<lb/>
&#x017F;chafften/ ob &#x017F;ie gleich dem Ding eben &#x017F;o nahe als die vorigen verwandt/<lb/>
werden &#x017F;ie doch Lehrens halber nur vor Anha&#x0364;ngigkeiten angenommen/<lb/>
und zu&#x017F;tehende/ oder zufa&#x0364;llige Eigen&#x017F;chafften genennet/ als daß eine<lb/>
&#x017F;olche Per&#x017F;on ma&#x0364;chtig &#x017F;ey/ wohlverdient/ from und dergleichen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 3. Wiewohl man nun bey den Zahlen/ weil &#x017F;ie an und vor<lb/>
&#x017F;ich gar klar &#x017F;ind/ alles was zu ihren &#x017F;o wohl <hi rendition="#aq">effential</hi> Eigen&#x017F;chafften<lb/>
als Anha&#x0364;ngigkeiten geho&#x0364;ret/ iedes auff einmahl gleich&#x017F;am u&#x0364;ber&#x017F;ehen<lb/>
kan; &#x017F;o muß man doch bey andern Sachen/ und in&#x017F;onderheit auch bey<lb/>
den Morali&#x017F;chen Dingen/ zur vernu&#x0364;nfftigen Betrachtung einer ieden<lb/>
Eigen&#x017F;chafft zwey Gedenck-Grad &#x017F;etzen/ und zum er&#x017F;ten Grad die Ei-<lb/>
gen&#x017F;chafft nur al&#x017F;o bloß und u&#x0364;berhaupt betrachten/ als ein blo&#x017F;&#x017F;e Benen-<lb/>
nung des Dinges/ dadurch es nur &#x017F;o oder &#x017F;o zum Exempel/ <hi rendition="#fr">gu&#x0364;ltig/</hi><lb/>
zu &#x017F;eyn/ benennet werden kan: Hernach und zum andern Grad &#x017F;o be-<lb/>
trachtet man eben die&#x017F;elbe Eigen&#x017F;chafft genau/ nach ihrem Maß/ wie-<lb/>
viel davon dem Dinge zukomme/ zum Exempel/ daß es &#x017F;o und &#x017F;o viel<lb/>
gelte/ eines Thalers werth &#x017F;ey/ &#xA75B;c.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#i">§.</hi> 4. Wann die Eigen&#x017F;chafften nach ienem Grad betrachtet<lb/>
werden/ hei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie des Dinges &#x017F;eine <hi rendition="#fr">Qualita&#x0364;ten</hi> und Be&#x017F;chaffenhei-<lb/>
ten; aber wann &#x017F;ie nach die&#x017F;em/ nemlich dem andern Grad/ betrachtet<lb/>
werden/ hei&#x017F;t es eine Quantita&#x0364;t/ wie &#x017F;ehr nemlich ein Ding &#x017F;o und<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ey. Dahero man &#x017F;ie die <hi rendition="#fr">Sehr&#x017F;amkeit</hi> hei&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nte. J&#x017F;t<lb/>
al&#x017F;o die Sehr&#x017F;amkeit/ oder die Quantita&#x0364;t/ in der That allezeit mit ihren<lb/>
Qualita&#x0364;ten ein Ding/ und bedeutet eines eben was das andere bedeu-<lb/>
tet/ nur daß die blo&#x017F;&#x017F;en Qualita&#x0364;ten es oben hin/ u&#x0364;berhaupt; die Sehr-<lb/>
&#x017F;amkeit und Quantita&#x0364;t aber &#x017F;charff und genau/ bedeuten/ darnach<lb/>
man &#x017F;ich richten/ und die Sache richtig und geme&#x017F;&#x017F;en/ als was gewi&#x017F;&#x017F;es/<lb/>
zum <hi rendition="#aq">effect</hi> al&#x017F;o dar&#x017F;tellen kan. Welches wann man es in Schulen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ehe</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0062] Von den Moral. Eigenſchafften Das IX. die nechſten und gewiſſeſten ein bequemes Kennzeichen/ zum Unterſcheid des Dinges unter allen andern Dingen/ welches die Schul-Lehrer die Eſſentz oder das foͤrmliche Weſen des Dinges nennen/ nicht daß man das gantze Weſen eines Dinges daraus alſobald vollkoͤmlich abnehmen und verſtehen ſolte koͤnnen/ ſondern daß man es dadurch nur voran be- deuten/ und damit zu deſſen wuͤrcklicher Erforſchung den Anfang ma- chen wolle. Alſo iſt die Achtbarkeit/ dadurch ein Menſch vor eine Mo- raliſche Perſon gerechnet wird/ die Eſſentz derſelben/ als eines lebendi- gen Gliedes der Gemeine. Die uͤbrigen Benennungen und Eigen- ſchafften/ ob ſie gleich dem Ding eben ſo nahe als die vorigen verwandt/ werden ſie doch Lehrens halber nur vor Anhaͤngigkeiten angenommen/ und zuſtehende/ oder zufaͤllige Eigenſchafften genennet/ als daß eine ſolche Perſon maͤchtig ſey/ wohlverdient/ from und dergleichen. §. 3. Wiewohl man nun bey den Zahlen/ weil ſie an und vor ſich gar klar ſind/ alles was zu ihren ſo wohl effential Eigenſchafften als Anhaͤngigkeiten gehoͤret/ iedes auff einmahl gleichſam uͤberſehen kan; ſo muß man doch bey andern Sachen/ und inſonderheit auch bey den Moraliſchen Dingen/ zur vernuͤnfftigen Betrachtung einer ieden Eigenſchafft zwey Gedenck-Grad ſetzen/ und zum erſten Grad die Ei- genſchafft nur alſo bloß und uͤberhaupt betrachten/ als ein bloſſe Benen- nung des Dinges/ dadurch es nur ſo oder ſo zum Exempel/ guͤltig/ zu ſeyn/ benennet werden kan: Hernach und zum andern Grad ſo be- trachtet man eben dieſelbe Eigenſchafft genau/ nach ihrem Maß/ wie- viel davon dem Dinge zukomme/ zum Exempel/ daß es ſo und ſo viel gelte/ eines Thalers werth ſey/ ꝛc. §. 4. Wann die Eigenſchafften nach ienem Grad betrachtet werden/ heiſſen ſie des Dinges ſeine Qualitaͤten und Beſchaffenhei- ten; aber wann ſie nach dieſem/ nemlich dem andern Grad/ betrachtet werden/ heiſt es eine Quantitaͤt/ wie ſehr nemlich ein Ding ſo und ſo ſey. Dahero man ſie die Sehrſamkeit heiſſen koͤnte. Jſt alſo die Sehrſamkeit/ oder die Quantitaͤt/ in der That allezeit mit ihren Qualitaͤten ein Ding/ und bedeutet eines eben was das andere bedeu- tet/ nur daß die bloſſen Qualitaͤten es oben hin/ uͤberhaupt; die Sehr- ſamkeit und Quantitaͤt aber ſcharff und genau/ bedeuten/ darnach man ſich richten/ und die Sache richtig und gemeſſen/ als was gewiſſes/ zum effect alſo darſtellen kan. Welches wann man es in Schulen ehe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/62
Zitationshilfe: Weigel, Erhard: Arithmetische Beschreibung der Moral-Weißheit von Personen und Sachen Worauf das gemeine Wesen bestehet. Jena, 1674, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weigel_moralweissheit_1674/62>, abgerufen am 28.03.2024.