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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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dem Griffel, nachdem man die alte weggeschnitten hat. Die
Zellen dieser Organe sind also nicht für Regeneration angepasst,
sie enthalten keine "Ersatz-Determinanten".

Manche Botaniker werden mir darauf antworten, das käme
davon her, dass diese Zellen sich bereits gestreckt, also ihre
volle histologische Ausbildung erlangt und damit ihre Ver-
mehrungskraft eingebüsst hätten. Dem ist gewiss auch so, nur
liegt darin keine Erklärung in meinem Sinn, ich muss vielmehr
fragen, warum sind diese Zellen nicht mit Ersatz-Determi-
nanten ausgerüstet worden? Dass dies möglich gewesen wäre,
beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen fertige, "gestreckte"
Blatt- oder sonstige Zellen unter Umständen in Vermehrung
eintreten und Knospen bilden können, aus denen ganze Pflanzen
hervorwachsen (Begonie).

Die Antwort liegt darin, dass es für die Pflanze von allzu
geringem Vortheil gewesen wäre, Löcher in ihren Blättern
wieder ausfüllen zu können, da sie ohnehin das Vermögen be-
sitzt, neue Blätter zu treiben. Sie kann an vielen Orten
Knospen zur Entfaltung bringen, und gewinnt dadurch viel
mehr, als durch die Vervollständigung einzelner Blätter für sie
zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration
entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung
besitzt
.

In dieser Thatsache aber des Fehlens des Regenerations-
vermögens bei den höheren Pflanzen, wenigstens in Bezug auf
Blatttheile u. s. w., liegt ein neuer und starker Hinweis auf die
Abhängigkeit der Regeneration von den äussern Umständen, auf
ihre Natur als eine Anpassungserscheinung. Da, wo Defekte
der Pflanze schädlich sein würden, und wo sie nicht durch
Knospenbildung ersetzbar sind, da findet sich auch bei den
Pflanzen echtes Regenerationsvermögen. So wird ein Substanz-
verlust der Rinde eines Baumes durch "Überwellung" und

dem Griffel, nachdem man die alte weggeschnitten hat. Die
Zellen dieser Organe sind also nicht für Regeneration angepasst,
sie enthalten keine „Ersatz-Determinanten“.

Manche Botaniker werden mir darauf antworten, das käme
davon her, dass diese Zellen sich bereits gestreckt, also ihre
volle histologische Ausbildung erlangt und damit ihre Ver-
mehrungskraft eingebüsst hätten. Dem ist gewiss auch so, nur
liegt darin keine Erklärung in meinem Sinn, ich muss vielmehr
fragen, warum sind diese Zellen nicht mit Ersatz-Determi-
nanten ausgerüstet worden? Dass dies möglich gewesen wäre,
beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen fertige, „gestreckte“
Blatt- oder sonstige Zellen unter Umständen in Vermehrung
eintreten und Knospen bilden können, aus denen ganze Pflanzen
hervorwachsen (Begonie).

Die Antwort liegt darin, dass es für die Pflanze von allzu
geringem Vortheil gewesen wäre, Löcher in ihren Blättern
wieder ausfüllen zu können, da sie ohnehin das Vermögen be-
sitzt, neue Blätter zu treiben. Sie kann an vielen Orten
Knospen zur Entfaltung bringen, und gewinnt dadurch viel
mehr, als durch die Vervollständigung einzelner Blätter für sie
zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration
entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung
besitzt
.

In dieser Thatsache aber des Fehlens des Regenerations-
vermögens bei den höheren Pflanzen, wenigstens in Bezug auf
Blatttheile u. s. w., liegt ein neuer und starker Hinweis auf die
Abhängigkeit der Regeneration von den äussern Umständen, auf
ihre Natur als eine Anpassungserscheinung. Da, wo Defekte
der Pflanze schädlich sein würden, und wo sie nicht durch
Knospenbildung ersetzbar sind, da findet sich auch bei den
Pflanzen echtes Regenerationsvermögen. So wird ein Substanz-
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[178/0202] dem Griffel, nachdem man die alte weggeschnitten hat. Die Zellen dieser Organe sind also nicht für Regeneration angepasst, sie enthalten keine „Ersatz-Determinanten“. Manche Botaniker werden mir darauf antworten, das käme davon her, dass diese Zellen sich bereits gestreckt, also ihre volle histologische Ausbildung erlangt und damit ihre Ver- mehrungskraft eingebüsst hätten. Dem ist gewiss auch so, nur liegt darin keine Erklärung in meinem Sinn, ich muss vielmehr fragen, warum sind diese Zellen nicht mit Ersatz-Determi- nanten ausgerüstet worden? Dass dies möglich gewesen wäre, beweisen die zahlreichen Fälle, in welchen fertige, „gestreckte“ Blatt- oder sonstige Zellen unter Umständen in Vermehrung eintreten und Knospen bilden können, aus denen ganze Pflanzen hervorwachsen (Begonie). Die Antwort liegt darin, dass es für die Pflanze von allzu geringem Vortheil gewesen wäre, Löcher in ihren Blättern wieder ausfüllen zu können, da sie ohnehin das Vermögen be- sitzt, neue Blätter zu treiben. Sie kann an vielen Orten Knospen zur Entfaltung bringen, und gewinnt dadurch viel mehr, als durch die Vervollständigung einzelner Blätter für sie zu gewinnen gewesen wäre. Sie konnte der Regeneration entbehren, da sie die weit ausgiebigere Knospung besitzt. In dieser Thatsache aber des Fehlens des Regenerations- vermögens bei den höheren Pflanzen, wenigstens in Bezug auf Blatttheile u. s. w., liegt ein neuer und starker Hinweis auf die Abhängigkeit der Regeneration von den äussern Umständen, auf ihre Natur als eine Anpassungserscheinung. Da, wo Defekte der Pflanze schädlich sein würden, und wo sie nicht durch Knospenbildung ersetzbar sind, da findet sich auch bei den Pflanzen echtes Regenerationsvermögen. So wird ein Substanz- verlust der Rinde eines Baumes durch „Überwellung“ und

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/202>, abgerufen am 25.04.2024.