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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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hat, welche Zerstörungen verschiedene niedere Krebse, Würmer,
Arachniden, Schnecken und andere Feinde an den Weichtheilen
der Polypenstöckchen anrichten. Besässen diese Polypen nicht
die Fähigkeit, immer wieder neue Köpfchen, d. h. Einzelthiere
hervorsprossen zu lassen, wenn die alten abgefressen sind, so
würde ihre ganze Kolonie bald absterben müssen aus Mangel
an ernährenden Personen. Dass dies in so ausgiebigem Maasse
möglich ist, ist theilweise wenigstens eine Folge der Aggre-
gation von Personen zu der höheren Individualitätsstufe des
Stockes. Denn diese gewährt den Vortheil fortdauernder Er-
nährung, solange nicht geradezu alle Einzelthiere des Stockes
den Feinden zum Opfer gefallen sind, und begünstigt so das
Hervorwachsen neuer Knospen.

Ähnlich verhält es sich bei manchen Bryozoen oder
Mooskorallen. Bei vielen von ihnen ist die normale Knospung
eine ganz gesetzmässige; die Stelle, an welcher sich die nächste
Knospe bilden wird, ist im Voraus anzugeben, und darauf beruht
hier wie bei den Hydroidpolypen die charakteristische Gestalt der
Stöckchen bei den verschiedenen Arten, die bald wie ein Laubbaum,
bald wie eine Tanne, oder eine Feder u. s. w. verzweigt sind. Hier
also müssen bestimmte Zellen im Voraus mit Knospungs-Keim-
plasma ausgerüstet sein, und es muss keines andern Anstosses
als der gewöhnlichen Ernährung bedürfen, um sie zur Knospen-
bildung zu veranlassen. Die Zellfolgen, welche zu diesen
Knospungszellen hinführen, würden als Haupt-Keimbahnen im
Sinne von de Vries zu bezeichnen sein. Nun giebt es aber
bei manchen Bryozoen, z. B. bei Pedicellina, nach den Unter-
suchungen von Seeliger auch andere Knospungsstellen, als die
gewöhnlichen. Wenn eine Pedicellina ihr Köpfchen verliert, so
dass nur ein Stumpf des Stieles übrig bleibt, so wachsen am
Stielende neue Köpfchen hervor, und die Knospung geht
hier von den platten specifischen Epithelzellen des

hat, welche Zerstörungen verschiedene niedere Krebse, Würmer,
Arachniden, Schnecken und andere Feinde an den Weichtheilen
der Polypenstöckchen anrichten. Besässen diese Polypen nicht
die Fähigkeit, immer wieder neue Köpfchen, d. h. Einzelthiere
hervorsprossen zu lassen, wenn die alten abgefressen sind, so
würde ihre ganze Kolonie bald absterben müssen aus Mangel
an ernährenden Personen. Dass dies in so ausgiebigem Maasse
möglich ist, ist theilweise wenigstens eine Folge der Aggre-
gation von Personen zu der höheren Individualitätsstufe des
Stockes. Denn diese gewährt den Vortheil fortdauernder Er-
nährung, solange nicht geradezu alle Einzelthiere des Stockes
den Feinden zum Opfer gefallen sind, und begünstigt so das
Hervorwachsen neuer Knospen.

Ähnlich verhält es sich bei manchen Bryozoen oder
Mooskorallen. Bei vielen von ihnen ist die normale Knospung
eine ganz gesetzmässige; die Stelle, an welcher sich die nächste
Knospe bilden wird, ist im Voraus anzugeben, und darauf beruht
hier wie bei den Hydroidpolypen die charakteristische Gestalt der
Stöckchen bei den verschiedenen Arten, die bald wie ein Laubbaum,
bald wie eine Tanne, oder eine Feder u. s. w. verzweigt sind. Hier
also müssen bestimmte Zellen im Voraus mit Knospungs-Keim-
plasma ausgerüstet sein, und es muss keines andern Anstosses
als der gewöhnlichen Ernährung bedürfen, um sie zur Knospen-
bildung zu veranlassen. Die Zellfolgen, welche zu diesen
Knospungszellen hinführen, würden als Haupt-Keimbahnen im
Sinne von de Vries zu bezeichnen sein. Nun giebt es aber
bei manchen Bryozoen, z. B. bei Pedicellina, nach den Unter-
suchungen von Seeliger auch andere Knospungsstellen, als die
gewöhnlichen. Wenn eine Pedicellina ihr Köpfchen verliert, so
dass nur ein Stumpf des Stieles übrig bleibt, so wachsen am
Stielende neue Köpfchen hervor, und die Knospung geht
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[286/0310] hat, welche Zerstörungen verschiedene niedere Krebse, Würmer, Arachniden, Schnecken und andere Feinde an den Weichtheilen der Polypenstöckchen anrichten. Besässen diese Polypen nicht die Fähigkeit, immer wieder neue Köpfchen, d. h. Einzelthiere hervorsprossen zu lassen, wenn die alten abgefressen sind, so würde ihre ganze Kolonie bald absterben müssen aus Mangel an ernährenden Personen. Dass dies in so ausgiebigem Maasse möglich ist, ist theilweise wenigstens eine Folge der Aggre- gation von Personen zu der höheren Individualitätsstufe des Stockes. Denn diese gewährt den Vortheil fortdauernder Er- nährung, solange nicht geradezu alle Einzelthiere des Stockes den Feinden zum Opfer gefallen sind, und begünstigt so das Hervorwachsen neuer Knospen. Ähnlich verhält es sich bei manchen Bryozoen oder Mooskorallen. Bei vielen von ihnen ist die normale Knospung eine ganz gesetzmässige; die Stelle, an welcher sich die nächste Knospe bilden wird, ist im Voraus anzugeben, und darauf beruht hier wie bei den Hydroidpolypen die charakteristische Gestalt der Stöckchen bei den verschiedenen Arten, die bald wie ein Laubbaum, bald wie eine Tanne, oder eine Feder u. s. w. verzweigt sind. Hier also müssen bestimmte Zellen im Voraus mit Knospungs-Keim- plasma ausgerüstet sein, und es muss keines andern Anstosses als der gewöhnlichen Ernährung bedürfen, um sie zur Knospen- bildung zu veranlassen. Die Zellfolgen, welche zu diesen Knospungszellen hinführen, würden als Haupt-Keimbahnen im Sinne von de Vries zu bezeichnen sein. Nun giebt es aber bei manchen Bryozoen, z. B. bei Pedicellina, nach den Unter- suchungen von Seeliger auch andere Knospungsstellen, als die gewöhnlichen. Wenn eine Pedicellina ihr Köpfchen verliert, so dass nur ein Stumpf des Stieles übrig bleibt, so wachsen am Stielende neue Köpfchen hervor, und die Knospung geht hier von den platten specifischen Epithelzellen des

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/310>, abgerufen am 19.04.2024.