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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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der Ontogenese theilen, ob mütterliche und väterliche Ide stets
gleichzeitig zusammenwirken und zu einer Kraft-Resultante sich
verbinden, oder ob etwa stets nur die eine Gruppe aktiv ist
und die andere passiv sich verhält. Durch Beobachtung der
Kernsubstanzen selbst lässt sich eine Antwort darauf für jetzt
wenigstens nicht gewinnen, es sind einzig und allein die Ver-
erbungserscheinungen, welche zusammengehalten mit dem, was
wir über die Zusammensetzung des amphimixotischen Idio-
plasma's wissen, zu einer Antwort führen können. Es gilt also
eine möglichst genaue und tief reichende Analyse derselben
auszuführen.

Wir gehen dabei von der bisher gewonnenen Grundlage
aus, von dem Satz, dass die Keimzellen eines Individuums ihrem
Vererbungsgehalt nach unter sich nicht gleich, sondern ungleich
sind, dass die Mischung väterlicher und mütterlicher Ide in den-
selben eine äusserst mannigfaltige ist, und dass durch die Ver-
bindung der Keimzellen zweier Individuen in der Amphimixis
diese Mannigfaltigkeit noch um das Vielfache erhöht wird. Die
erfahrungsgemäss bestehende Verschiedenheit der Kinder eines
Elternpaares beim Menschen erklärt sich daraus ohne Weiteres.
Sie führt zugleich zu dem schon von Victor Hensen aus-
gesprochenen Fundamentalsatz der amphigonen Vererbung:
"mit der Befruchtung ist das Individuum bestimmt",
oder wie man auch sagen kann: mit der Zusammensetzung
des Keimplasma's durch die in der Eizelle zusammen-
treffenden väterlichen und mütterlichen Ide ist die
Individualität des Bion gegeben
.

Der Satz ist nicht selbstverständlich, denn a priori hätte
man glauben können, die Entfaltung und Mischung der elter-
lichen Charaktere im Kind hänge ganz oder doch grossentheils
von den äusseren Einflüssen der Ernährung u. s. w. ab, welche
den Keim von seiner Befruchtung an treffen. Die "identischen"

der Ontogenese theilen, ob mütterliche und väterliche Ide stets
gleichzeitig zusammenwirken und zu einer Kraft-Resultante sich
verbinden, oder ob etwa stets nur die eine Gruppe aktiv ist
und die andere passiv sich verhält. Durch Beobachtung der
Kernsubstanzen selbst lässt sich eine Antwort darauf für jetzt
wenigstens nicht gewinnen, es sind einzig und allein die Ver-
erbungserscheinungen, welche zusammengehalten mit dem, was
wir über die Zusammensetzung des amphimixotischen Idio-
plasma’s wissen, zu einer Antwort führen können. Es gilt also
eine möglichst genaue und tief reichende Analyse derselben
auszuführen.

Wir gehen dabei von der bisher gewonnenen Grundlage
aus, von dem Satz, dass die Keimzellen eines Individuums ihrem
Vererbungsgehalt nach unter sich nicht gleich, sondern ungleich
sind, dass die Mischung väterlicher und mütterlicher Ide in den-
selben eine äusserst mannigfaltige ist, und dass durch die Ver-
bindung der Keimzellen zweier Individuen in der Amphimixis
diese Mannigfaltigkeit noch um das Vielfache erhöht wird. Die
erfahrungsgemäss bestehende Verschiedenheit der Kinder eines
Elternpaares beim Menschen erklärt sich daraus ohne Weiteres.
Sie führt zugleich zu dem schon von Victor Hensen aus-
gesprochenen Fundamentalsatz der amphigonen Vererbung:
mit der Befruchtung ist das Individuum bestimmt“,
oder wie man auch sagen kann: mit der Zusammensetzung
des Keimplasma’s durch die in der Eizelle zusammen-
treffenden väterlichen und mütterlichen Ide ist die
Individualität des Bion gegeben
.

Der Satz ist nicht selbstverständlich, denn a priori hätte
man glauben können, die Entfaltung und Mischung der elter-
lichen Charaktere im Kind hänge ganz oder doch grossentheils
von den äusseren Einflüssen der Ernährung u. s. w. ab, welche
den Keim von seiner Befruchtung an treffen. Die „identischen“

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[331/0355] der Ontogenese theilen, ob mütterliche und väterliche Ide stets gleichzeitig zusammenwirken und zu einer Kraft-Resultante sich verbinden, oder ob etwa stets nur die eine Gruppe aktiv ist und die andere passiv sich verhält. Durch Beobachtung der Kernsubstanzen selbst lässt sich eine Antwort darauf für jetzt wenigstens nicht gewinnen, es sind einzig und allein die Ver- erbungserscheinungen, welche zusammengehalten mit dem, was wir über die Zusammensetzung des amphimixotischen Idio- plasma’s wissen, zu einer Antwort führen können. Es gilt also eine möglichst genaue und tief reichende Analyse derselben auszuführen. Wir gehen dabei von der bisher gewonnenen Grundlage aus, von dem Satz, dass die Keimzellen eines Individuums ihrem Vererbungsgehalt nach unter sich nicht gleich, sondern ungleich sind, dass die Mischung väterlicher und mütterlicher Ide in den- selben eine äusserst mannigfaltige ist, und dass durch die Ver- bindung der Keimzellen zweier Individuen in der Amphimixis diese Mannigfaltigkeit noch um das Vielfache erhöht wird. Die erfahrungsgemäss bestehende Verschiedenheit der Kinder eines Elternpaares beim Menschen erklärt sich daraus ohne Weiteres. Sie führt zugleich zu dem schon von Victor Hensen aus- gesprochenen Fundamentalsatz der amphigonen Vererbung: „mit der Befruchtung ist das Individuum bestimmt“, oder wie man auch sagen kann: mit der Zusammensetzung des Keimplasma’s durch die in der Eizelle zusammen- treffenden väterlichen und mütterlichen Ide ist die Individualität des Bion gegeben. Der Satz ist nicht selbstverständlich, denn a priori hätte man glauben können, die Entfaltung und Mischung der elter- lichen Charaktere im Kind hänge ganz oder doch grossentheils von den äusseren Einflüssen der Ernährung u. s. w. ab, welche den Keim von seiner Befruchtung an treffen. Die „identischen“

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/355>, abgerufen am 18.04.2024.