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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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wie es denn heute noch eine ganze Section von Datura-Arten
giebt, welche blaue Blumen hervorbringen.

Ich will nun diese drei Fälle nach meiner Theorie zu er-
klären versuchen. Rückschlag wird hier, wie überall, im All-
gemeinen dadurch zu erklären sein, dass alte, unveränderte
Determinanten im Keimplasma enthalten sind, die nun unter
gewissen Verhältnissen an Stelle der jüngeren homologen Deter-
minanten zur Herrschaft über die betreffende Zelle oder die
Zellenbezirke gelangen. Ähnliche Annahmen muss jede Ver-
erbungstheorie machen, die Darwin'sche Pangenesis hält dafür
alte Keimchen in Bereitschaft, de Vries alte Pangene, irgend
welche unveränderte Theile der Vererbungssubstanz der Vor-
fahren müssen immer den Ausgangspunkt der Erklärung bilden;
es fragt sich nur, ob man dabei stehen bleiben und alles Übrige
im Dunkel lassen muss, oder ob man vielleicht doch im Princip
wenigstens sich eine gewisse Einsicht auch dafür verschaffen
kann, weshalb diese Theilchen unverändert bleiben konnten,
weshalb sie, und unter welchen Umständen plötzlich wieder zur
Herrschaft gelangen können, und weshalb gerade an Stelle der
ihnen homologen umgewandelten Theile.

Auf die erste Frage ist oben schon eine Antwort gegeben
worden. Es wurde gezeigt, dass gerade nach dem Alles be-
herrschenden Princip der Selection eine von den Lebensumständen
einer Art geforderte Umwandlung des Körpers niemals auch
eine Umwandlung aller der für die umzuwandelnden Theile
betreffenden Determinanten verlangt, sondern immer nur einer
Majorität derselben, die so gross ist, dass sie das Zustande-
kommen der betreffenden Abänderung in jeder Ontogenese,
d. h. also bei jedem Individuum der Art sicher stellt. Mehr
ist nicht nöthig, mehr kann also auch durch Selections-
vorgänge nicht geleistet werden
. Es müssen somit nach
jeder Umwandlung des Körpers in der Entwickelungsgeschichte

wie es denn heute noch eine ganze Section von Datura-Arten
giebt, welche blaue Blumen hervorbringen.

Ich will nun diese drei Fälle nach meiner Theorie zu er-
klären versuchen. Rückschlag wird hier, wie überall, im All-
gemeinen dadurch zu erklären sein, dass alte, unveränderte
Determinanten im Keimplasma enthalten sind, die nun unter
gewissen Verhältnissen an Stelle der jüngeren homologen Deter-
minanten zur Herrschaft über die betreffende Zelle oder die
Zellenbezirke gelangen. Ähnliche Annahmen muss jede Ver-
erbungstheorie machen, die Darwin’sche Pangenesis hält dafür
alte Keimchen in Bereitschaft, de Vries alte Pangene, irgend
welche unveränderte Theile der Vererbungssubstanz der Vor-
fahren müssen immer den Ausgangspunkt der Erklärung bilden;
es fragt sich nur, ob man dabei stehen bleiben und alles Übrige
im Dunkel lassen muss, oder ob man vielleicht doch im Princip
wenigstens sich eine gewisse Einsicht auch dafür verschaffen
kann, weshalb diese Theilchen unverändert bleiben konnten,
weshalb sie, und unter welchen Umständen plötzlich wieder zur
Herrschaft gelangen können, und weshalb gerade an Stelle der
ihnen homologen umgewandelten Theile.

Auf die erste Frage ist oben schon eine Antwort gegeben
worden. Es wurde gezeigt, dass gerade nach dem Alles be-
herrschenden Princip der Selection eine von den Lebensumständen
einer Art geforderte Umwandlung des Körpers niemals auch
eine Umwandlung aller der für die umzuwandelnden Theile
betreffenden Determinanten verlangt, sondern immer nur einer
Majorität derselben, die so gross ist, dass sie das Zustande-
kommen der betreffenden Abänderung in jeder Ontogenese,
d. h. also bei jedem Individuum der Art sicher stellt. Mehr
ist nicht nöthig, mehr kann also auch durch Selections-
vorgänge nicht geleistet werden
. Es müssen somit nach
jeder Umwandlung des Körpers in der Entwickelungsgeschichte

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[416/0440] wie es denn heute noch eine ganze Section von Datura-Arten giebt, welche blaue Blumen hervorbringen. Ich will nun diese drei Fälle nach meiner Theorie zu er- klären versuchen. Rückschlag wird hier, wie überall, im All- gemeinen dadurch zu erklären sein, dass alte, unveränderte Determinanten im Keimplasma enthalten sind, die nun unter gewissen Verhältnissen an Stelle der jüngeren homologen Deter- minanten zur Herrschaft über die betreffende Zelle oder die Zellenbezirke gelangen. Ähnliche Annahmen muss jede Ver- erbungstheorie machen, die Darwin’sche Pangenesis hält dafür alte Keimchen in Bereitschaft, de Vries alte Pangene, irgend welche unveränderte Theile der Vererbungssubstanz der Vor- fahren müssen immer den Ausgangspunkt der Erklärung bilden; es fragt sich nur, ob man dabei stehen bleiben und alles Übrige im Dunkel lassen muss, oder ob man vielleicht doch im Princip wenigstens sich eine gewisse Einsicht auch dafür verschaffen kann, weshalb diese Theilchen unverändert bleiben konnten, weshalb sie, und unter welchen Umständen plötzlich wieder zur Herrschaft gelangen können, und weshalb gerade an Stelle der ihnen homologen umgewandelten Theile. Auf die erste Frage ist oben schon eine Antwort gegeben worden. Es wurde gezeigt, dass gerade nach dem Alles be- herrschenden Princip der Selection eine von den Lebensumständen einer Art geforderte Umwandlung des Körpers niemals auch eine Umwandlung aller der für die umzuwandelnden Theile betreffenden Determinanten verlangt, sondern immer nur einer Majorität derselben, die so gross ist, dass sie das Zustande- kommen der betreffenden Abänderung in jeder Ontogenese, d. h. also bei jedem Individuum der Art sicher stellt. Mehr ist nicht nöthig, mehr kann also auch durch Selections- vorgänge nicht geleistet werden. Es müssen somit nach jeder Umwandlung des Körpers in der Entwickelungsgeschichte

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/440>, abgerufen am 29.03.2024.