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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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der Befruchtung von beiden Keimzellen her mehr pelorische
oder mehr "gewöhnliche" Determinanten zusammengeführt werden,
wird die Tochterpflanze rein "gewöhnliche", oder mehr oder minder
pelorische Blumen hervorbringen. Dass aber die "gewöhnlich"
blühenden Eltern dieser Generation meist neben "gewöhnlichen"
Determinanten auch "pelorische" in ihrem Keimplasma (vor der
Reductionstheilung) enthalten mussten, liegt auf der Hand, da
sie alle von einem pelorischen Vater oder einer pelorischen
Mutter abstammten. Dass aber in den Enkeln die "gewöhn-
liche" Form überwog, erklärt sich daraus, dass die "pelorischen"
Grosseltern in ihrem Keimplasma nur eine geringe Majorität
"pelorischer" Determinanten, daneben aber noch eine bedeutende
Minorität "gewöhnlicher" Determinanten besassen. Die die Eltern-
Generation begründenden Keimzellen müssen also in der Ge-
sammtsumme ihres Keimplasma's sehr viel mehr "gewöhnliche"
als "pelorische" Determinanten enthalten haben.

5. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere.

Organe, die ihren Werth für die Erhaltung der Art ver-
loren haben, werden bekanntlich im Laufe der Generationen
rudimentär, sie werden kleiner, verkümmern und schwinden zu-
letzt vollständig.

Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die Determinanten-
gruppe, welche das betreffende Organ im Keimplasma vertritt,
erst in dem einen, dann in dem andern Id, zuerst in einzelnen
Determinanten verkümmert, dann in vielen, bis sie endlich völlig
schwindet, und dass sich dieser Process in immer zahlreicheren
Iden wiederholt, bis schliesslich in allen diese Determinanten-
gruppe nicht mehr enthalten ist. Wie lange Zeiträume und
Generationsfolgen dieser Process in Anspruch nimmt, können
wir nicht sagen; soviel aber darf behauptet und kann bewiesen
werden, dass lange nach dem Verschwinden des Organes aus

der Befruchtung von beiden Keimzellen her mehr pelorische
oder mehr „gewöhnliche“ Determinanten zusammengeführt werden,
wird die Tochterpflanze rein „gewöhnliche“, oder mehr oder minder
pelorische Blumen hervorbringen. Dass aber die „gewöhnlich“
blühenden Eltern dieser Generation meist neben „gewöhnlichen“
Determinanten auch „pelorische“ in ihrem Keimplasma (vor der
Reductionstheilung) enthalten mussten, liegt auf der Hand, da
sie alle von einem pelorischen Vater oder einer pelorischen
Mutter abstammten. Dass aber in den Enkeln die „gewöhn-
liche“ Form überwog, erklärt sich daraus, dass die „pelorischen“
Grosseltern in ihrem Keimplasma nur eine geringe Majorität
„pelorischer“ Determinanten, daneben aber noch eine bedeutende
Minorität „gewöhnlicher“ Determinanten besassen. Die die Eltern-
Generation begründenden Keimzellen müssen also in der Ge-
sammtsumme ihres Keimplasma’s sehr viel mehr „gewöhnliche“
als „pelorische“ Determinanten enthalten haben.

5. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere.

Organe, die ihren Werth für die Erhaltung der Art ver-
loren haben, werden bekanntlich im Laufe der Generationen
rudimentär, sie werden kleiner, verkümmern und schwinden zu-
letzt vollständig.

Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die Determinanten-
gruppe, welche das betreffende Organ im Keimplasma vertritt,
erst in dem einen, dann in dem andern Id, zuerst in einzelnen
Determinanten verkümmert, dann in vielen, bis sie endlich völlig
schwindet, und dass sich dieser Process in immer zahlreicheren
Iden wiederholt, bis schliesslich in allen diese Determinanten-
gruppe nicht mehr enthalten ist. Wie lange Zeiträume und
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wir nicht sagen; soviel aber darf behauptet und kann bewiesen
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[436/0460] der Befruchtung von beiden Keimzellen her mehr pelorische oder mehr „gewöhnliche“ Determinanten zusammengeführt werden, wird die Tochterpflanze rein „gewöhnliche“, oder mehr oder minder pelorische Blumen hervorbringen. Dass aber die „gewöhnlich“ blühenden Eltern dieser Generation meist neben „gewöhnlichen“ Determinanten auch „pelorische“ in ihrem Keimplasma (vor der Reductionstheilung) enthalten mussten, liegt auf der Hand, da sie alle von einem pelorischen Vater oder einer pelorischen Mutter abstammten. Dass aber in den Enkeln die „gewöhn- liche“ Form überwog, erklärt sich daraus, dass die „pelorischen“ Grosseltern in ihrem Keimplasma nur eine geringe Majorität „pelorischer“ Determinanten, daneben aber noch eine bedeutende Minorität „gewöhnlicher“ Determinanten besassen. Die die Eltern- Generation begründenden Keimzellen müssen also in der Ge- sammtsumme ihres Keimplasma’s sehr viel mehr „gewöhnliche“ als „pelorische“ Determinanten enthalten haben. 5. Rückschlag auf rudimentäre Charaktere. Organe, die ihren Werth für die Erhaltung der Art ver- loren haben, werden bekanntlich im Laufe der Generationen rudimentär, sie werden kleiner, verkümmern und schwinden zu- letzt vollständig. Idioplasmatisch wird dies heissen, dass die Determinanten- gruppe, welche das betreffende Organ im Keimplasma vertritt, erst in dem einen, dann in dem andern Id, zuerst in einzelnen Determinanten verkümmert, dann in vielen, bis sie endlich völlig schwindet, und dass sich dieser Process in immer zahlreicheren Iden wiederholt, bis schliesslich in allen diese Determinanten- gruppe nicht mehr enthalten ist. Wie lange Zeiträume und Generationsfolgen dieser Process in Anspruch nimmt, können wir nicht sagen; soviel aber darf behauptet und kann bewiesen werden, dass lange nach dem Verschwinden des Organes aus

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/460>, abgerufen am 29.03.2024.