Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

einem normalen Ahornbaum entstand aus uns unbekannter Ur-
sache ein Zweig, der panaschirte Blätter trug. Der idioplas-
matische Grund dieser Abänderung muss der gewesen sein, dass
die Determinanten der Blätter und sonstigen grünen Spross-
theile so abänderten, dass sie chlorophyllarme Organe hervor-
bringen mussten. Wenn nun nicht alle Ide in der Scheitel-
zelle jenes ersten panaschirten Sprosses derart abänderten, sondern
nur eine Mehrzahl von ihnen, so ist die Möglichkeit zum Rück-
schlag der panaschirten Abart auf die grüne Stammart gegeben.

Allerdings aber erfordert hier das Auftreten eines grünen
Astes am panaschirten Baum noch eine andere Annahme, die
wir für den Augenblick noch nicht als richtig erweisen können,
die Annahme nämlich, dass auch bei gewöhnlichen Zell- und
Kerntheilungen Ungleichheiten der Theilung des Idioplasma's
vorkommen können, in dem Sinne, dass nicht alle Ide in beide
Tochterkerne gelangen, sondern dass einige Ide in ihren beiden
durch Theilung entstehenden Hälften in denselben Tochter-
kern gelangen. Oder sollte selbst ein ganzer Idant blos dem
einen Tochterkern zugeführt werden können? Irgend eine
derartige Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Ide muss
bei den Kerntheilungen vorkommen können, andernfalls würde es
unerklärlich bleiben, wieso eine andere Mischung der Anlagen
im Laufe des Wachsthums eintreten kann, wie wir sie doch
thatsächlich beim Knospen-Rückschlag eintreten sehen.

Wenn man diejenigen Ide, welche der Stammform ent-
sprechen, als "grüne" bezeichnet, die abgeänderten aber als
"panaschirte", so muss der Rückschlag eines Sprosses darauf
beruhen, dass bei den Theilungen der Scheitelzelle eines Sprosses
ungleiche Vertheilung der Ide auf die Tochterkerne vorkam,
und zwar derart, dass eine Cambiumzelle die "Knospen-Keim-
plasma" enthält, oder auch die Scheitelzelle einer jungen Seiten-
knospe selbst "grüne" Ide in Mehrzahl zugetheilt erhielt. In

einem normalen Ahornbaum entstand aus uns unbekannter Ur-
sache ein Zweig, der panaschirte Blätter trug. Der idioplas-
matische Grund dieser Abänderung muss der gewesen sein, dass
die Determinanten der Blätter und sonstigen grünen Spross-
theile so abänderten, dass sie chlorophyllarme Organe hervor-
bringen mussten. Wenn nun nicht alle Ide in der Scheitel-
zelle jenes ersten panaschirten Sprosses derart abänderten, sondern
nur eine Mehrzahl von ihnen, so ist die Möglichkeit zum Rück-
schlag der panaschirten Abart auf die grüne Stammart gegeben.

Allerdings aber erfordert hier das Auftreten eines grünen
Astes am panaschirten Baum noch eine andere Annahme, die
wir für den Augenblick noch nicht als richtig erweisen können,
die Annahme nämlich, dass auch bei gewöhnlichen Zell- und
Kerntheilungen Ungleichheiten der Theilung des Idioplasma’s
vorkommen können, in dem Sinne, dass nicht alle Ide in beide
Tochterkerne gelangen, sondern dass einige Ide in ihren beiden
durch Theilung entstehenden Hälften in denselben Tochter-
kern gelangen. Oder sollte selbst ein ganzer Idant blos dem
einen Tochterkern zugeführt werden können? Irgend eine
derartige Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Ide muss
bei den Kerntheilungen vorkommen können, andernfalls würde es
unerklärlich bleiben, wieso eine andere Mischung der Anlagen
im Laufe des Wachsthums eintreten kann, wie wir sie doch
thatsächlich beim Knospen-Rückschlag eintreten sehen.

Wenn man diejenigen Ide, welche der Stammform ent-
sprechen, als „grüne“ bezeichnet, die abgeänderten aber als
„panaschirte“, so muss der Rückschlag eines Sprosses darauf
beruhen, dass bei den Theilungen der Scheitelzelle eines Sprosses
ungleiche Vertheilung der Ide auf die Tochterkerne vorkam,
und zwar derart, dass eine Cambiumzelle die „Knospen-Keim-
plasma“ enthält, oder auch die Scheitelzelle einer jungen Seiten-
knospe selbst „grüne“ Ide in Mehrzahl zugetheilt erhielt. In

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0468" n="444"/>
einem normalen Ahornbaum entstand aus uns unbekannter Ur-<lb/>
sache ein Zweig, der panaschirte Blätter trug. Der idioplas-<lb/>
matische Grund dieser Abänderung muss der gewesen sein, dass<lb/>
die Determinanten der Blätter und sonstigen grünen Spross-<lb/>
theile so abänderten, dass sie chlorophyllarme Organe hervor-<lb/>
bringen mussten. Wenn nun nicht alle Ide in der Scheitel-<lb/>
zelle jenes ersten panaschirten Sprosses derart abänderten, sondern<lb/>
nur eine Mehrzahl von ihnen, so ist die Möglichkeit zum Rück-<lb/>
schlag der panaschirten Abart auf die grüne Stammart gegeben.</p><lb/>
              <p>Allerdings aber erfordert hier das Auftreten eines grünen<lb/>
Astes am panaschirten Baum noch eine andere Annahme, die<lb/>
wir für den Augenblick noch nicht als richtig erweisen können,<lb/>
die Annahme nämlich, dass auch bei gewöhnlichen Zell- und<lb/>
Kerntheilungen Ungleichheiten der Theilung des Idioplasma&#x2019;s<lb/>
vorkommen können, in dem Sinne, dass nicht alle Ide in beide<lb/>
Tochterkerne gelangen, sondern dass einige Ide in ihren beiden<lb/>
durch Theilung entstehenden Hälften in <hi rendition="#g">denselben</hi> Tochter-<lb/>
kern gelangen. Oder sollte selbst ein ganzer Idant blos dem<lb/><hi rendition="#g">einen</hi> Tochterkern zugeführt werden können? Irgend eine<lb/>
derartige Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Ide muss<lb/>
bei den Kerntheilungen vorkommen können, andernfalls würde es<lb/>
unerklärlich bleiben, wieso eine andere Mischung der Anlagen<lb/>
im Laufe des Wachsthums eintreten kann, wie wir sie doch<lb/>
thatsächlich beim Knospen-Rückschlag eintreten sehen.</p><lb/>
              <p>Wenn man diejenigen Ide, welche der Stammform ent-<lb/>
sprechen, als &#x201E;grüne&#x201C; bezeichnet, die abgeänderten aber als<lb/>
&#x201E;panaschirte&#x201C;, so muss der Rückschlag eines Sprosses darauf<lb/>
beruhen, dass bei den Theilungen der Scheitelzelle eines Sprosses<lb/>
ungleiche Vertheilung der Ide auf die Tochterkerne vorkam,<lb/>
und zwar derart, dass eine Cambiumzelle die &#x201E;Knospen-Keim-<lb/>
plasma&#x201C; enthält, oder auch die Scheitelzelle einer jungen Seiten-<lb/>
knospe selbst &#x201E;grüne&#x201C; Ide in Mehrzahl zugetheilt erhielt. In<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0468] einem normalen Ahornbaum entstand aus uns unbekannter Ur- sache ein Zweig, der panaschirte Blätter trug. Der idioplas- matische Grund dieser Abänderung muss der gewesen sein, dass die Determinanten der Blätter und sonstigen grünen Spross- theile so abänderten, dass sie chlorophyllarme Organe hervor- bringen mussten. Wenn nun nicht alle Ide in der Scheitel- zelle jenes ersten panaschirten Sprosses derart abänderten, sondern nur eine Mehrzahl von ihnen, so ist die Möglichkeit zum Rück- schlag der panaschirten Abart auf die grüne Stammart gegeben. Allerdings aber erfordert hier das Auftreten eines grünen Astes am panaschirten Baum noch eine andere Annahme, die wir für den Augenblick noch nicht als richtig erweisen können, die Annahme nämlich, dass auch bei gewöhnlichen Zell- und Kerntheilungen Ungleichheiten der Theilung des Idioplasma’s vorkommen können, in dem Sinne, dass nicht alle Ide in beide Tochterkerne gelangen, sondern dass einige Ide in ihren beiden durch Theilung entstehenden Hälften in denselben Tochter- kern gelangen. Oder sollte selbst ein ganzer Idant blos dem einen Tochterkern zugeführt werden können? Irgend eine derartige Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Ide muss bei den Kerntheilungen vorkommen können, andernfalls würde es unerklärlich bleiben, wieso eine andere Mischung der Anlagen im Laufe des Wachsthums eintreten kann, wie wir sie doch thatsächlich beim Knospen-Rückschlag eintreten sehen. Wenn man diejenigen Ide, welche der Stammform ent- sprechen, als „grüne“ bezeichnet, die abgeänderten aber als „panaschirte“, so muss der Rückschlag eines Sprosses darauf beruhen, dass bei den Theilungen der Scheitelzelle eines Sprosses ungleiche Vertheilung der Ide auf die Tochterkerne vorkam, und zwar derart, dass eine Cambiumzelle die „Knospen-Keim- plasma“ enthält, oder auch die Scheitelzelle einer jungen Seiten- knospe selbst „grüne“ Ide in Mehrzahl zugetheilt erhielt. In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/468
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/468>, abgerufen am 18.04.2024.