Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Grösse und specifischen Beschaffenheit von einem besonderen
Idioplasma beherrscht, welches durchaus verschieden sei von
demjenigen Idioplasma, welches nach Vollendung der Eireife in
Thätigkeit tritt, indem es die Ontogenese leitet: dem Keim-
plasma
. Wenn überhaupt die Natur der Zelle von ihrem
Idioplasma bestimmt wird, so konnte unmöglich das Idioplasma
der noch im Wachsen und in histologischer Differenzirung be-
griffene Ei von demselben Idioplasma bestimmt werden, wie das
in Embryonalentwickelung eintretende. Ich nahm also ein "ovo-
genes
" Idioplasma für die Zeit der histologischen Differenzirung
des Eies an, welches später nach erlangter Eireife seine Herr-
schaft über die Zelle an das Keimplasma abtrete.

Was aber wird bei diesem Herrschaftswechsel aus dem
"ovogenen" Idioplasma?

Meine Antwort darauf war die, es werde durch die Richtungs-
theilungen aus dem Ei entfernt, und gerade dadurch erlange
nun das vorher schon im Eikern anwesend gewesene und in-
zwischen bedeutend herangewachsene Keimplasma die Herrschaft
über die Eizelle.

Diese Vermuthung hat sich inzwischen als ein Irrthum
herausgestellt. Eigene weitere Untersuchungen führten mich
bald zu der Erkenntniss, dass mindestens die eine der beiden
Richtungstheilungen des Eies eine ganz andere Bedeutung
habe, nämlich die einer Halbirung des Keimplasma's selbst.
Später zeigte es sich dann, dass beide Theilungen diesem Zweck
dienen, und dass durch jede derselben Keimplasma, nicht aber
"ovogenes" Idioplasma aus dem Ei entfernt werde.

Meine Hypothese musste also fallen, ich glaube aber trotz-
dem, dass die ihr zu Grunde liegende Schlussfolgerung richtig
war, und im Licht der hier entwickelten Vererbungstheorie ge-
stattet sie noch eine nicht werthlose Weiterführung. Das "ovo-
gene" Idioplasma muss existiren und, in meine heutige Sprache

Grösse und specifischen Beschaffenheit von einem besonderen
Idioplasma beherrscht, welches durchaus verschieden sei von
demjenigen Idioplasma, welches nach Vollendung der Eireife in
Thätigkeit tritt, indem es die Ontogenese leitet: dem Keim-
plasma
. Wenn überhaupt die Natur der Zelle von ihrem
Idioplasma bestimmt wird, so konnte unmöglich das Idioplasma
der noch im Wachsen und in histologischer Differenzirung be-
griffene Ei von demselben Idioplasma bestimmt werden, wie das
in Embryonalentwickelung eintretende. Ich nahm also ein „ovo-
genes
“ Idioplasma für die Zeit der histologischen Differenzirung
des Eies an, welches später nach erlangter Eireife seine Herr-
schaft über die Zelle an das Keimplasma abtrete.

Was aber wird bei diesem Herrschaftswechsel aus dem
„ovogenen“ Idioplasma?

Meine Antwort darauf war die, es werde durch die Richtungs-
theilungen aus dem Ei entfernt, und gerade dadurch erlange
nun das vorher schon im Eikern anwesend gewesene und in-
zwischen bedeutend herangewachsene Keimplasma die Herrschaft
über die Eizelle.

Diese Vermuthung hat sich inzwischen als ein Irrthum
herausgestellt. Eigene weitere Untersuchungen führten mich
bald zu der Erkenntniss, dass mindestens die eine der beiden
Richtungstheilungen des Eies eine ganz andere Bedeutung
habe, nämlich die einer Halbirung des Keimplasma’s selbst.
Später zeigte es sich dann, dass beide Theilungen diesem Zweck
dienen, und dass durch jede derselben Keimplasma, nicht aber
„ovogenes“ Idioplasma aus dem Ei entfernt werde.

Meine Hypothese musste also fallen, ich glaube aber trotz-
dem, dass die ihr zu Grunde liegende Schlussfolgerung richtig
war, und im Licht der hier entwickelten Vererbungstheorie ge-
stattet sie noch eine nicht werthlose Weiterführung. Das „ovo-
gene“ Idioplasma muss existiren und, in meine heutige Sprache

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0482" n="458"/>
Grösse und specifischen Beschaffenheit von einem besonderen<lb/>
Idioplasma beherrscht, welches durchaus verschieden sei von<lb/>
demjenigen Idioplasma, welches nach Vollendung der Eireife in<lb/>
Thätigkeit tritt, indem es die Ontogenese leitet: dem <hi rendition="#g">Keim-<lb/>
plasma</hi>. Wenn überhaupt die Natur der Zelle von ihrem<lb/>
Idioplasma bestimmt wird, so konnte unmöglich das Idioplasma<lb/>
der noch im Wachsen und in histologischer Differenzirung be-<lb/>
griffene Ei von demselben Idioplasma bestimmt werden, wie das<lb/>
in Embryonalentwickelung eintretende. Ich nahm also ein &#x201E;<hi rendition="#g">ovo-<lb/>
genes</hi>&#x201C; Idioplasma für die Zeit der histologischen Differenzirung<lb/>
des Eies an, welches später nach erlangter Eireife seine Herr-<lb/>
schaft über die Zelle an das Keimplasma abtrete.</p><lb/>
            <p>Was aber wird bei diesem Herrschaftswechsel aus dem<lb/>
&#x201E;ovogenen&#x201C; Idioplasma?</p><lb/>
            <p>Meine Antwort darauf war die, es werde durch die Richtungs-<lb/>
theilungen aus dem Ei entfernt, und gerade dadurch erlange<lb/>
nun das vorher schon im Eikern anwesend gewesene und in-<lb/>
zwischen bedeutend herangewachsene Keimplasma die Herrschaft<lb/>
über die Eizelle.</p><lb/>
            <p>Diese Vermuthung hat sich inzwischen als ein Irrthum<lb/>
herausgestellt. Eigene weitere Untersuchungen führten mich<lb/>
bald zu der Erkenntniss, dass mindestens die <hi rendition="#g">eine</hi> der beiden<lb/>
Richtungstheilungen des Eies eine ganz andere Bedeutung<lb/>
habe, nämlich die einer Halbirung des Keimplasma&#x2019;s selbst.<lb/>
Später zeigte es sich dann, dass <hi rendition="#g">beide</hi> Theilungen diesem Zweck<lb/>
dienen, und dass durch jede derselben Keimplasma, nicht aber<lb/>
&#x201E;ovogenes&#x201C; Idioplasma aus dem Ei entfernt werde.</p><lb/>
            <p>Meine Hypothese musste also fallen, ich glaube aber trotz-<lb/>
dem, dass die ihr zu Grunde liegende Schlussfolgerung richtig<lb/>
war, und im Licht der hier entwickelten Vererbungstheorie ge-<lb/>
stattet sie noch eine nicht werthlose Weiterführung. Das &#x201E;ovo-<lb/>
gene&#x201C; Idioplasma muss existiren und, in meine heutige Sprache<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[458/0482] Grösse und specifischen Beschaffenheit von einem besonderen Idioplasma beherrscht, welches durchaus verschieden sei von demjenigen Idioplasma, welches nach Vollendung der Eireife in Thätigkeit tritt, indem es die Ontogenese leitet: dem Keim- plasma. Wenn überhaupt die Natur der Zelle von ihrem Idioplasma bestimmt wird, so konnte unmöglich das Idioplasma der noch im Wachsen und in histologischer Differenzirung be- griffene Ei von demselben Idioplasma bestimmt werden, wie das in Embryonalentwickelung eintretende. Ich nahm also ein „ovo- genes“ Idioplasma für die Zeit der histologischen Differenzirung des Eies an, welches später nach erlangter Eireife seine Herr- schaft über die Zelle an das Keimplasma abtrete. Was aber wird bei diesem Herrschaftswechsel aus dem „ovogenen“ Idioplasma? Meine Antwort darauf war die, es werde durch die Richtungs- theilungen aus dem Ei entfernt, und gerade dadurch erlange nun das vorher schon im Eikern anwesend gewesene und in- zwischen bedeutend herangewachsene Keimplasma die Herrschaft über die Eizelle. Diese Vermuthung hat sich inzwischen als ein Irrthum herausgestellt. Eigene weitere Untersuchungen führten mich bald zu der Erkenntniss, dass mindestens die eine der beiden Richtungstheilungen des Eies eine ganz andere Bedeutung habe, nämlich die einer Halbirung des Keimplasma’s selbst. Später zeigte es sich dann, dass beide Theilungen diesem Zweck dienen, und dass durch jede derselben Keimplasma, nicht aber „ovogenes“ Idioplasma aus dem Ei entfernt werde. Meine Hypothese musste also fallen, ich glaube aber trotz- dem, dass die ihr zu Grunde liegende Schlussfolgerung richtig war, und im Licht der hier entwickelten Vererbungstheorie ge- stattet sie noch eine nicht werthlose Weiterführung. Das „ovo- gene“ Idioplasma muss existiren und, in meine heutige Sprache

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/482
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/482>, abgerufen am 23.04.2024.