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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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habe ich gezeigt, dass man durch Kälte die Puppen der Sommer-
generation zwingen kann, die Winterform des Schmetterlinges
anzunehmen und als Levana, anstatt als Prorsa auszuschlüpfen.
Auch das umgekehrte Experiment gelang bisweilen, die Puppen
der Wintergeneration durch Einwirkung höherer Temperatur
während und kurz nach der Verpuppung zur Annahme der
Sommerform zu bestimmen. Man darf sich also vielleicht vor-
stellen, dass die Winterhälfte der betreffenden Doppeldetermi-
nanten durch höhere Temperatur im Wachsthum zurückgehalten,
die Sommerhälfte aber dadurch begünstigt werde, und dass um-
gekehrt die Sommerhälfte bei einer niederen Temperatur im
Wachsthum stehen bleibe, bei welcher die Winterhälfte noch
wächst. Man würde dann dasselbe Schema erhalten, wie beim
gewöhnlichen sexuellen Dimorphismus, nämlich eine kugelige
Determinante des Keimplasma's, welche sich aus einer Winter-
und einer Sommerhälfte zusammensetzt. Diese würde während
der ganzen Embryogenese unverändert bleiben, ja sogar während
des ganzen Raupenlebens, und erst im Beginn des Puppen-
schlafes, wenn die Flügel schon vorhanden sind, würde die höhere
oder niedere Temperatur darüber entscheiden, welche Hälfte die
andere überwuchern, und sie vom Einfluss auf die Zelle aus-
schliessen solle.

Bei Vanessa Levana sind Männchen und Weibchen in der
Flügelzeichnung wirklich nahezu gleich, so dass man sie nicht
mit völliger Sicherheit unterscheiden kann, bei vielen andern
saison-dimorphen Schmetterlingen aber besteht sexueller Dimor-
phismus in Betreff der Flügelzeichnung und Färbung, und hier
werden wir somit Doppeldeterminanten mit weiblicher und
männlicher Hälfte anzunehmen haben, von welchen jede wieder
in eine Sommer- und Winterhälfte unterabgetheilt ist. Durch
welche Momente bei den Schmetterlingen das Geschlecht be-
stimmt wird, wissen wir nicht, jedenfalls aber wird es schon

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habe ich gezeigt, dass man durch Kälte die Puppen der Sommer-
generation zwingen kann, die Winterform des Schmetterlinges
anzunehmen und als Levana, anstatt als Prorsa auszuschlüpfen.
Auch das umgekehrte Experiment gelang bisweilen, die Puppen
der Wintergeneration durch Einwirkung höherer Temperatur
während und kurz nach der Verpuppung zur Annahme der
Sommerform zu bestimmen. Man darf sich also vielleicht vor-
stellen, dass die Winterhälfte der betreffenden Doppeldetermi-
nanten durch höhere Temperatur im Wachsthum zurückgehalten,
die Sommerhälfte aber dadurch begünstigt werde, und dass um-
gekehrt die Sommerhälfte bei einer niederen Temperatur im
Wachsthum stehen bleibe, bei welcher die Winterhälfte noch
wächst. Man würde dann dasselbe Schema erhalten, wie beim
gewöhnlichen sexuellen Dimorphismus, nämlich eine kugelige
Determinante des Keimplasma’s, welche sich aus einer Winter-
und einer Sommerhälfte zusammensetzt. Diese würde während
der ganzen Embryogenese unverändert bleiben, ja sogar während
des ganzen Raupenlebens, und erst im Beginn des Puppen-
schlafes, wenn die Flügel schon vorhanden sind, würde die höhere
oder niedere Temperatur darüber entscheiden, welche Hälfte die
andere überwuchern, und sie vom Einfluss auf die Zelle aus-
schliessen solle.

Bei Vanessa Levana sind Männchen und Weibchen in der
Flügelzeichnung wirklich nahezu gleich, so dass man sie nicht
mit völliger Sicherheit unterscheiden kann, bei vielen andern
saison-dimorphen Schmetterlingen aber besteht sexueller Dimor-
phismus in Betreff der Flügelzeichnung und Färbung, und hier
werden wir somit Doppeldeterminanten mit weiblicher und
männlicher Hälfte anzunehmen haben, von welchen jede wieder
in eine Sommer- und Winterhälfte unterabgetheilt ist. Durch
welche Momente bei den Schmetterlingen das Geschlecht be-
stimmt wird, wissen wir nicht, jedenfalls aber wird es schon

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[499/0523] habe ich gezeigt, dass man durch Kälte die Puppen der Sommer- generation zwingen kann, die Winterform des Schmetterlinges anzunehmen und als Levana, anstatt als Prorsa auszuschlüpfen. Auch das umgekehrte Experiment gelang bisweilen, die Puppen der Wintergeneration durch Einwirkung höherer Temperatur während und kurz nach der Verpuppung zur Annahme der Sommerform zu bestimmen. Man darf sich also vielleicht vor- stellen, dass die Winterhälfte der betreffenden Doppeldetermi- nanten durch höhere Temperatur im Wachsthum zurückgehalten, die Sommerhälfte aber dadurch begünstigt werde, und dass um- gekehrt die Sommerhälfte bei einer niederen Temperatur im Wachsthum stehen bleibe, bei welcher die Winterhälfte noch wächst. Man würde dann dasselbe Schema erhalten, wie beim gewöhnlichen sexuellen Dimorphismus, nämlich eine kugelige Determinante des Keimplasma’s, welche sich aus einer Winter- und einer Sommerhälfte zusammensetzt. Diese würde während der ganzen Embryogenese unverändert bleiben, ja sogar während des ganzen Raupenlebens, und erst im Beginn des Puppen- schlafes, wenn die Flügel schon vorhanden sind, würde die höhere oder niedere Temperatur darüber entscheiden, welche Hälfte die andere überwuchern, und sie vom Einfluss auf die Zelle aus- schliessen solle. Bei Vanessa Levana sind Männchen und Weibchen in der Flügelzeichnung wirklich nahezu gleich, so dass man sie nicht mit völliger Sicherheit unterscheiden kann, bei vielen andern saison-dimorphen Schmetterlingen aber besteht sexueller Dimor- phismus in Betreff der Flügelzeichnung und Färbung, und hier werden wir somit Doppeldeterminanten mit weiblicher und männlicher Hälfte anzunehmen haben, von welchen jede wieder in eine Sommer- und Winterhälfte unterabgetheilt ist. Durch welche Momente bei den Schmetterlingen das Geschlecht be- stimmt wird, wissen wir nicht, jedenfalls aber wird es schon 32*

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/523>, abgerufen am 18.04.2024.