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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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cinom's verhalten, falls dessen Ursache, wie in neuester Zeit
behauptet wurde, wirklich in Mikroben zu sehen wäre.

Aber es ist auch denkbar, dass bei der Überlieferung einer
Krankheit von einer auf die andere Generation beide Ursachen
zusammenwirken, Vererbung abnormaler Anlagen und Infection
des Keimes. Ohne den Untersuchungen der Pathologen vor-
greifen zu wollen, möchte ich dies für die "erbliche" Tuber-
kulose
vermuthen. Offenbar giebt es einen "tuberkulösen
Habitus", d. h. einen gewissen Complex von Eigenheiten des
Baues, welche häufig mit der Krankheit verbunden sind, so
z. B. Engbrüstigkeit u. s. w. Diese müssen auf dem Bau des
Keimplasma's beruhen, also auf einer bestimmten Variation ge-
wisser Determinanten und Gruppen von Determinanten; sie sind
also wirklich vererbbar. Nun beruht aber die Krankheit selbst
nicht auf diesem Habitus, sondern auf der Anwesenheit speci-
fischer Schmarotzer, der Tuberkel-Bacillen, welche zerstörend in
die lebenden Gewebe verschiedener Art eingreifen. Sie können
künstlich ins Blut gebracht werden und erzeugen dann die
Krankheit auch bei solchen Individuen, welche völlig normal
gebaut sind. Sie können auch "von selbst", d. h. auf irgend
einem natürlichen Wege in den Körper eindringen und auch
dann die Krankheit erzeugen. Aber es scheint, dass das Letz-
tere in hohem Grade von der Empfänglichkeit oder der Wider-
standskraft des Körpers abhängt, in den sie eingedrungen sind,
und die Meinung der Pathologen geht heute dahin, dass jener
vorhin erwähnte "tuberkulöse Habitus" den eingedrungenen
Schmarotzern einen weit geringern Widerstand entgegenzustellen
habe, als der Körper kräftig gebauter Menschen. Die Erblichkeit
der Krankheit hinge danach also von der Vererbung einer leicht
inficirbaren Constitution ab.

Ohne diese leichtere Afficirbarkeit leugnen zu wollen, glaube
ich doch nicht, dass die Übertragung der Tuberkulose lediglich

cinom’s verhalten, falls dessen Ursache, wie in neuester Zeit
behauptet wurde, wirklich in Mikroben zu sehen wäre.

Aber es ist auch denkbar, dass bei der Überlieferung einer
Krankheit von einer auf die andere Generation beide Ursachen
zusammenwirken, Vererbung abnormaler Anlagen und Infection
des Keimes. Ohne den Untersuchungen der Pathologen vor-
greifen zu wollen, möchte ich dies für die „erbliche“ Tuber-
kulose
vermuthen. Offenbar giebt es einen „tuberkulösen
Habitus“, d. h. einen gewissen Complex von Eigenheiten des
Baues, welche häufig mit der Krankheit verbunden sind, so
z. B. Engbrüstigkeit u. s. w. Diese müssen auf dem Bau des
Keimplasma’s beruhen, also auf einer bestimmten Variation ge-
wisser Determinanten und Gruppen von Determinanten; sie sind
also wirklich vererbbar. Nun beruht aber die Krankheit selbst
nicht auf diesem Habitus, sondern auf der Anwesenheit speci-
fischer Schmarotzer, der Tuberkel-Bacillen, welche zerstörend in
die lebenden Gewebe verschiedener Art eingreifen. Sie können
künstlich ins Blut gebracht werden und erzeugen dann die
Krankheit auch bei solchen Individuen, welche völlig normal
gebaut sind. Sie können auch „von selbst“, d. h. auf irgend
einem natürlichen Wege in den Körper eindringen und auch
dann die Krankheit erzeugen. Aber es scheint, dass das Letz-
tere in hohem Grade von der Empfänglichkeit oder der Wider-
standskraft des Körpers abhängt, in den sie eingedrungen sind,
und die Meinung der Pathologen geht heute dahin, dass jener
vorhin erwähnte „tuberkulöse Habitus“ den eingedrungenen
Schmarotzern einen weit geringern Widerstand entgegenzustellen
habe, als der Körper kräftig gebauter Menschen. Die Erblichkeit
der Krankheit hinge danach also von der Vererbung einer leicht
inficirbaren Constitution ab.

Ohne diese leichtere Afficirbarkeit leugnen zu wollen, glaube
ich doch nicht, dass die Übertragung der Tuberkulose lediglich

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[511/0535] cinom’s verhalten, falls dessen Ursache, wie in neuester Zeit behauptet wurde, wirklich in Mikroben zu sehen wäre. Aber es ist auch denkbar, dass bei der Überlieferung einer Krankheit von einer auf die andere Generation beide Ursachen zusammenwirken, Vererbung abnormaler Anlagen und Infection des Keimes. Ohne den Untersuchungen der Pathologen vor- greifen zu wollen, möchte ich dies für die „erbliche“ Tuber- kulose vermuthen. Offenbar giebt es einen „tuberkulösen Habitus“, d. h. einen gewissen Complex von Eigenheiten des Baues, welche häufig mit der Krankheit verbunden sind, so z. B. Engbrüstigkeit u. s. w. Diese müssen auf dem Bau des Keimplasma’s beruhen, also auf einer bestimmten Variation ge- wisser Determinanten und Gruppen von Determinanten; sie sind also wirklich vererbbar. Nun beruht aber die Krankheit selbst nicht auf diesem Habitus, sondern auf der Anwesenheit speci- fischer Schmarotzer, der Tuberkel-Bacillen, welche zerstörend in die lebenden Gewebe verschiedener Art eingreifen. Sie können künstlich ins Blut gebracht werden und erzeugen dann die Krankheit auch bei solchen Individuen, welche völlig normal gebaut sind. Sie können auch „von selbst“, d. h. auf irgend einem natürlichen Wege in den Körper eindringen und auch dann die Krankheit erzeugen. Aber es scheint, dass das Letz- tere in hohem Grade von der Empfänglichkeit oder der Wider- standskraft des Körpers abhängt, in den sie eingedrungen sind, und die Meinung der Pathologen geht heute dahin, dass jener vorhin erwähnte „tuberkulöse Habitus“ den eingedrungenen Schmarotzern einen weit geringern Widerstand entgegenzustellen habe, als der Körper kräftig gebauter Menschen. Die Erblichkeit der Krankheit hinge danach also von der Vererbung einer leicht inficirbaren Constitution ab. Ohne diese leichtere Afficirbarkeit leugnen zu wollen, glaube ich doch nicht, dass die Übertragung der Tuberkulose lediglich

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/535>, abgerufen am 24.04.2024.