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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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oder nur in einzelnen Fällen; Knospen-Variationen konnten
meist nur durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigt
werden, wir kennen aber jetzt einzelne Fälle, in welchen auch
sie durch Samen sich fortpflanzen liessen, wenn auch nur in
einem gewissen Procentsatz. Woher diese Unregelmässigkeit
kommt, war unbekannt, und keine der Vererbungstheorien ver-
mochte dafür einen Anhalt zu geben, man konnte nur sagen,
die Vererbung sei hier ungemein launenhaft. Die Keimplasma-
Theorie vermag sie im Princip sehr einfach zu erklären.

Ich erinnere zuerst an die Thatsachen, wie sie uns Darwin
in höchst werthvoller und dankenswerther Weise als ein für
jede Theorie kostbares Material überliefert hat.1)

Darwin sagt darüber: "Wenn eine neue Eigenthümlichkeit
zuerst erscheint, so können wir niemals voraussagen, ob sie
vererbt werden wird." Wenn beide Eltern die Abänderung
besitzen, "so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass sie
wenigstens auf einige der Nachkommen überliefert werden
wird". Knospen-Variationen pflanzen sich viel schwächer fort,
als Samen-Variationen, oft aber erscheint die Vererbungskraft
ganz launenhaft, indem ein und dieselbe Abänderung von dem
einen Pflanzen-Individuum durch Samen vererbt wird, vom
andern nicht. So versuchte man lange Zeit vergeblich, die
Trauer-Esche durch Samen fortzupflanzen. Über 20,000
Samen gaben nur die gewöhnliche Esche, später aber erhielt
man aus den Samen eines andern Exemplars der Trauer-Esche
Nachkommen mit hängenden Zweigen. Ein und dieselbe Trauer-
Esche überlieferte aber nicht durch alle ihre Samen den Trauer-
charakter, sondern nur in einem bestimmten Procentsatz, und
von einer berühmten Hänge-Eiche in Moccas Court erzählt

1) Darwin "Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der
Domestication".

oder nur in einzelnen Fällen; Knospen-Variationen konnten
meist nur durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigt
werden, wir kennen aber jetzt einzelne Fälle, in welchen auch
sie durch Samen sich fortpflanzen liessen, wenn auch nur in
einem gewissen Procentsatz. Woher diese Unregelmässigkeit
kommt, war unbekannt, und keine der Vererbungstheorien ver-
mochte dafür einen Anhalt zu geben, man konnte nur sagen,
die Vererbung sei hier ungemein launenhaft. Die Keimplasma-
Theorie vermag sie im Princip sehr einfach zu erklären.

Ich erinnere zuerst an die Thatsachen, wie sie uns Darwin
in höchst werthvoller und dankenswerther Weise als ein für
jede Theorie kostbares Material überliefert hat.1)

Darwin sagt darüber: „Wenn eine neue Eigenthümlichkeit
zuerst erscheint, so können wir niemals voraussagen, ob sie
vererbt werden wird.“ Wenn beide Eltern die Abänderung
besitzen, „so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass sie
wenigstens auf einige der Nachkommen überliefert werden
wird“. Knospen-Variationen pflanzen sich viel schwächer fort,
als Samen-Variationen, oft aber erscheint die Vererbungskraft
ganz launenhaft, indem ein und dieselbe Abänderung von dem
einen Pflanzen-Individuum durch Samen vererbt wird, vom
andern nicht. So versuchte man lange Zeit vergeblich, die
Trauer-Esche durch Samen fortzupflanzen. Über 20,000
Samen gaben nur die gewöhnliche Esche, später aber erhielt
man aus den Samen eines andern Exemplars der Trauer-Esche
Nachkommen mit hängenden Zweigen. Ein und dieselbe Trauer-
Esche überlieferte aber nicht durch alle ihre Samen den Trauer-
charakter, sondern nur in einem bestimmten Procentsatz, und
von einer berühmten Hänge-Eiche in Moccas Court erzählt

1) Darwin „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der
Domestication“.
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[584/0608] oder nur in einzelnen Fällen; Knospen-Variationen konnten meist nur durch Stecklinge oder Pfropfreiser vervielfältigt werden, wir kennen aber jetzt einzelne Fälle, in welchen auch sie durch Samen sich fortpflanzen liessen, wenn auch nur in einem gewissen Procentsatz. Woher diese Unregelmässigkeit kommt, war unbekannt, und keine der Vererbungstheorien ver- mochte dafür einen Anhalt zu geben, man konnte nur sagen, die Vererbung sei hier ungemein launenhaft. Die Keimplasma- Theorie vermag sie im Princip sehr einfach zu erklären. Ich erinnere zuerst an die Thatsachen, wie sie uns Darwin in höchst werthvoller und dankenswerther Weise als ein für jede Theorie kostbares Material überliefert hat. 1) Darwin sagt darüber: „Wenn eine neue Eigenthümlichkeit zuerst erscheint, so können wir niemals voraussagen, ob sie vererbt werden wird.“ Wenn beide Eltern die Abänderung besitzen, „so ist die Wahrscheinlichkeit sehr gross, dass sie wenigstens auf einige der Nachkommen überliefert werden wird“. Knospen-Variationen pflanzen sich viel schwächer fort, als Samen-Variationen, oft aber erscheint die Vererbungskraft ganz launenhaft, indem ein und dieselbe Abänderung von dem einen Pflanzen-Individuum durch Samen vererbt wird, vom andern nicht. So versuchte man lange Zeit vergeblich, die Trauer-Esche durch Samen fortzupflanzen. Über 20,000 Samen gaben nur die gewöhnliche Esche, später aber erhielt man aus den Samen eines andern Exemplars der Trauer-Esche Nachkommen mit hängenden Zweigen. Ein und dieselbe Trauer- Esche überlieferte aber nicht durch alle ihre Samen den Trauer- charakter, sondern nur in einem bestimmten Procentsatz, und von einer berühmten Hänge-Eiche in Moccas Court erzählt 1) Darwin „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestication“.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/608>, abgerufen am 29.03.2024.