Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite



und dem Beifalle der übrigen Gesetze vor-
schreiben soll. Man sonderte sich auch hier
in Rotten und Faktionen, auch hier waren
Neid und Vorzugssucht die Waffenträger,
auch hier galt es Unterdrückung und Herrsch-
sucht. Es ist alles eins: nur andre Gegen-
stände, andre Waffen.

Durch eine lange Reihe der Begebenheiten
bildeten sich in der Gesellschaft verschiedene
Stände, wurden verschiedene Lebensarten
nöthig: und gleich entstund daher der große
Krieg der Verachtung, dieser possirlichste und
doch allgemeinste Krieg, da jeder Stand den
andern herabsezt, jeder höhere den niedern
verachtet, und der niedere sich durch Spott
an dem höhern rächt -- dieser Verachtung,
die nicht blos innerhalb der Gränzen der Ver-
achtung bleibt, sondern aus den Menschen
Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes
Jnteresse von den übrigen absondert. Der
Mensch ist ein geselliges Thier; wenn er es
ist, so ist er es nur, um sich in Rotten zu
theilen, sich zu würgen, sich zu verfolgen, sich
zu verachten; die Menschen mußten sich ver-
einigen
, um sich zu trennen, um sich unter
dem Namen der Nationen, der Stände zu hassen,

O 4



und dem Beifalle der uͤbrigen Geſetze vor-
ſchreiben ſoll. Man ſonderte ſich auch hier
in Rotten und Faktionen, auch hier waren
Neid und Vorzugsſucht die Waffentraͤger,
auch hier galt es Unterdruͤckung und Herrſch-
ſucht. Es iſt alles eins: nur andre Gegen-
ſtaͤnde, andre Waffen.

Durch eine lange Reihe der Begebenheiten
bildeten ſich in der Geſellſchaft verſchiedene
Staͤnde, wurden verſchiedene Lebensarten
noͤthig: und gleich entſtund daher der große
Krieg der Verachtung, dieſer poſſirlichſte und
doch allgemeinſte Krieg, da jeder Stand den
andern herabſezt, jeder hoͤhere den niedern
verachtet, und der niedere ſich durch Spott
an dem hoͤhern raͤcht — dieſer Verachtung,
die nicht blos innerhalb der Graͤnzen der Ver-
achtung bleibt, ſondern aus den Menſchen
Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes
Jntereſſe von den uͤbrigen abſondert. Der
Menſch iſt ein geſelliges Thier; wenn er es
iſt, ſo iſt er es nur, um ſich in Rotten zu
theilen, ſich zu wuͤrgen, ſich zu verfolgen, ſich
zu verachten; die Menſchen mußten ſich ver-
einigen
, um ſich zu trennen, um ſich unter
dem Namen der Nationen, der Staͤnde zu haſſen,

O 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0235" n="215"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
und dem Beifalle der u&#x0364;brigen Ge&#x017F;etze vor-<lb/>
&#x017F;chreiben &#x017F;oll. Man &#x017F;onderte &#x017F;ich auch hier<lb/>
in Rotten und Faktionen, auch hier waren<lb/>
Neid und Vorzugs&#x017F;ucht die Waffentra&#x0364;ger,<lb/>
auch hier galt es Unterdru&#x0364;ckung und Herr&#x017F;ch-<lb/>
&#x017F;ucht. Es i&#x017F;t alles eins: nur andre Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde, andre Waffen.</p><lb/>
        <p>Durch eine lange Reihe der Begebenheiten<lb/>
bildeten &#x017F;ich in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ver&#x017F;chiedene<lb/>
Sta&#x0364;nde, wurden ver&#x017F;chiedene Lebensarten<lb/>
no&#x0364;thig: und gleich ent&#x017F;tund daher der große<lb/>
Krieg der <hi rendition="#fr">Verachtung</hi>, die&#x017F;er po&#x017F;&#x017F;irlich&#x017F;te und<lb/>
doch allgemein&#x017F;te Krieg, da jeder Stand den<lb/>
andern herab&#x017F;ezt, jeder ho&#x0364;here den niedern<lb/>
verachtet, und der niedere &#x017F;ich durch Spott<lb/>
an dem ho&#x0364;hern ra&#x0364;cht &#x2014; die&#x017F;er Verachtung,<lb/>
die nicht blos innerhalb der Gra&#x0364;nzen der Ver-<lb/>
achtung bleibt, &#x017F;ondern aus den Men&#x017F;chen<lb/>
Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes<lb/>
Jntere&#x017F;&#x017F;e von den u&#x0364;brigen ab&#x017F;ondert. Der<lb/>
Men&#x017F;ch i&#x017F;t ein ge&#x017F;elliges Thier; wenn er es<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t er es nur, um &#x017F;ich in Rotten zu<lb/>
theilen, &#x017F;ich zu wu&#x0364;rgen, &#x017F;ich zu verfolgen, &#x017F;ich<lb/>
zu verachten; die Men&#x017F;chen mußten &#x017F;ich <hi rendition="#fr">ver-<lb/>
einigen</hi>, um &#x017F;ich zu <hi rendition="#fr">trennen</hi>, um &#x017F;ich unter<lb/>
dem Namen der Nationen, der Sta&#x0364;nde zu ha&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0235] und dem Beifalle der uͤbrigen Geſetze vor- ſchreiben ſoll. Man ſonderte ſich auch hier in Rotten und Faktionen, auch hier waren Neid und Vorzugsſucht die Waffentraͤger, auch hier galt es Unterdruͤckung und Herrſch- ſucht. Es iſt alles eins: nur andre Gegen- ſtaͤnde, andre Waffen. Durch eine lange Reihe der Begebenheiten bildeten ſich in der Geſellſchaft verſchiedene Staͤnde, wurden verſchiedene Lebensarten noͤthig: und gleich entſtund daher der große Krieg der Verachtung, dieſer poſſirlichſte und doch allgemeinſte Krieg, da jeder Stand den andern herabſezt, jeder hoͤhere den niedern verachtet, und der niedere ſich durch Spott an dem hoͤhern raͤcht — dieſer Verachtung, die nicht blos innerhalb der Graͤnzen der Ver- achtung bleibt, ſondern aus den Menſchen Faktionen macht, worunter jede ein einzelnes Jntereſſe von den uͤbrigen abſondert. Der Menſch iſt ein geſelliges Thier; wenn er es iſt, ſo iſt er es nur, um ſich in Rotten zu theilen, ſich zu wuͤrgen, ſich zu verfolgen, ſich zu verachten; die Menſchen mußten ſich ver- einigen, um ſich zu trennen, um ſich unter dem Namen der Nationen, der Staͤnde zu haſſen, O 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/235
Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/235>, abgerufen am 15.05.2024.