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Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776.

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barschaft, das sogleich in hellen Flammen
aufloderte, das Feuer verbreitete sich von
Haus zu Haus, von Gasse zu Gasse, und ver-
heerte fast die halbe Stadt. Während des
Tumultes, da alles winselte, schrie, lärmte,
lief und rennte, erwachte Belphegor, an dem
der Scharfrichter sein Amt überhaupt schlecht
verwaltet hatte, von seiner bisherigen Be-
täubung, da Blut und Lebensgeister wieder
ihren ungehinderteu Lauf bekommen hatten;
er erblickte nicht so bald den Aufruhr und
das allgemeine Schrecken, als er ohne Anstand
die Entschließung nahm, die Gelegenheit zur
Flucht zu nützen. Jn Eile arbeitete er sich
los, so gut er konnte, und floh zur Stadt
hinaus: niemand bemerkte ihn, und niemand
wollte ihn bemerken.

Die ganze Nacht hindurch lief er, ohne ein
einzigesmal auszuruhen, und kam in der Mor-
gendämmerung mit der Angst eines Gehäng-
ten, der nicht gern eine zweite Erfahrung ma-
chen möchte, wie es sich zwischen Himmel und
Erde wohnt, an eine Priesterwohnung, wo
er mit so großer Verwunderung als Bereit-

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barſchaft, das ſogleich in hellen Flammen
aufloderte, das Feuer verbreitete ſich von
Haus zu Haus, von Gaſſe zu Gaſſe, und ver-
heerte faſt die halbe Stadt. Waͤhrend des
Tumultes, da alles winſelte, ſchrie, laͤrmte,
lief und rennte, erwachte Belphegor, an dem
der Scharfrichter ſein Amt uͤberhaupt ſchlecht
verwaltet hatte, von ſeiner bisherigen Be-
taͤubung, da Blut und Lebensgeiſter wieder
ihren ungehinderteu Lauf bekommen hatten;
er erblickte nicht ſo bald den Aufruhr und
das allgemeine Schrecken, als er ohne Anſtand
die Entſchließung nahm, die Gelegenheit zur
Flucht zu nuͤtzen. Jn Eile arbeitete er ſich
los, ſo gut er konnte, und floh zur Stadt
hinaus: niemand bemerkte ihn, und niemand
wollte ihn bemerken.

Die ganze Nacht hindurch lief er, ohne ein
einzigesmal auszuruhen, und kam in der Mor-
gendaͤmmerung mit der Angſt eines Gehaͤng-
ten, der nicht gern eine zweite Erfahrung ma-
chen moͤchte, wie es ſich zwiſchen Himmel und
Erde wohnt, an eine Prieſterwohnung, wo
er mit ſo großer Verwunderung als Bereit-

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[53/0073] barſchaft, das ſogleich in hellen Flammen aufloderte, das Feuer verbreitete ſich von Haus zu Haus, von Gaſſe zu Gaſſe, und ver- heerte faſt die halbe Stadt. Waͤhrend des Tumultes, da alles winſelte, ſchrie, laͤrmte, lief und rennte, erwachte Belphegor, an dem der Scharfrichter ſein Amt uͤberhaupt ſchlecht verwaltet hatte, von ſeiner bisherigen Be- taͤubung, da Blut und Lebensgeiſter wieder ihren ungehinderteu Lauf bekommen hatten; er erblickte nicht ſo bald den Aufruhr und das allgemeine Schrecken, als er ohne Anſtand die Entſchließung nahm, die Gelegenheit zur Flucht zu nuͤtzen. Jn Eile arbeitete er ſich los, ſo gut er konnte, und floh zur Stadt hinaus: niemand bemerkte ihn, und niemand wollte ihn bemerken. Die ganze Nacht hindurch lief er, ohne ein einzigesmal auszuruhen, und kam in der Mor- gendaͤmmerung mit der Angſt eines Gehaͤng- ten, der nicht gern eine zweite Erfahrung ma- chen moͤchte, wie es ſich zwiſchen Himmel und Erde wohnt, an eine Prieſterwohnung, wo er mit ſo großer Verwunderung als Bereit- D 3

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Zitationshilfe: Wezel, Johann Carl: Belphegor, oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. Bd. 1. Leipzig, 1776, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wezel_belphegor01_1776/73>, abgerufen am 30.04.2024.