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Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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mußte, aber die Weide schien ihr hier nicht zu gefallen. Sie schaute nach allen Seiten um und führte das Thier dann zwischen den Birken durch, welche die Grenze bezeichnen sollten. Wo willst du hin? rief ihr der Wirth nun zu, ist meine Weide gut für fremde Leute? Das Mädchen horchte auf, ohne grade zu erschrecken, vergewisserte sich, von wo der Ruf kam, zog die Kuh, die sich's schon gut schmecken ließ, wieder zurück, pflockte sie fest und kam dann, statt geradeaus heimzukehren, auf den Littauer zu, der sein Geschäft nicht wieder aufgenommen hatte.

Guten Morgen, Ansas Wanags, redete die junge Magd ihn an, indem sie ihm über den Zaun hin die Hand reichte. Du mußt mir nicht böse sein, daß ich hier noch nicht recht Bescheid weiß. Ich bin erst gestern Abend angekommen.

Dienst du beim alten Petrick? fragte er.

Ich bin seine Enkelin, die Grita, antwortete sie, meine Mutter hast du ja doch gekannt.

Gewiß, sagte er freundlicher, die hab' ich gut gekannt. Wie kommt es, daß du zu deinem Großvater in Dienst gehst, da du noch jung bist und zu Hause helfen kannst?

Weil mein Vater gestorben ist, entgegnete sie traurig. Er hat in Rußland einen Schuß bekommen, als er Spiritus hinüberbrachte. Als die Nachbarn ihn auffanden, hatte er schon einen Tag und eine Nacht im Freien gelegen und viel Blut verloren. Es

mußte, aber die Weide schien ihr hier nicht zu gefallen. Sie schaute nach allen Seiten um und führte das Thier dann zwischen den Birken durch, welche die Grenze bezeichnen sollten. Wo willst du hin? rief ihr der Wirth nun zu, ist meine Weide gut für fremde Leute? Das Mädchen horchte auf, ohne grade zu erschrecken, vergewisserte sich, von wo der Ruf kam, zog die Kuh, die sich's schon gut schmecken ließ, wieder zurück, pflockte sie fest und kam dann, statt geradeaus heimzukehren, auf den Littauer zu, der sein Geschäft nicht wieder aufgenommen hatte.

Guten Morgen, Ansas Wanags, redete die junge Magd ihn an, indem sie ihm über den Zaun hin die Hand reichte. Du mußt mir nicht böse sein, daß ich hier noch nicht recht Bescheid weiß. Ich bin erst gestern Abend angekommen.

Dienst du beim alten Petrick? fragte er.

Ich bin seine Enkelin, die Grita, antwortete sie, meine Mutter hast du ja doch gekannt.

Gewiß, sagte er freundlicher, die hab' ich gut gekannt. Wie kommt es, daß du zu deinem Großvater in Dienst gehst, da du noch jung bist und zu Hause helfen kannst?

Weil mein Vater gestorben ist, entgegnete sie traurig. Er hat in Rußland einen Schuß bekommen, als er Spiritus hinüberbrachte. Als die Nachbarn ihn auffanden, hatte er schon einen Tag und eine Nacht im Freien gelegen und viel Blut verloren. Es

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T13:07:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T13:07:21Z)

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Zitationshilfe: Wichert, Ernst: Ansas und Grita. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–300. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wichert_grita_1910/36>, abgerufen am 29.03.2024.