Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorbericht.

Gesezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge-
wesen, [wie dann in der That, um die Zeit,
in welche die gegenwärtige Geschichte gesezt wor-
den ist, ein comischer Dichter dieses Namens den
Freunden der Schriften Platons bekannt seyn
muß:] gesezt aber auch, daß sich von diesem
Agathon nichts wichtigers sagen Liesse, als wenn
er gebohren worden, wenn er sich verheyrathet,
wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an
was für einer Krankheit er gestorben sey: was
würde uns bewegen können, seine Geschichte zu
lesen, und wenn es gleich gerichtlich erwiesen
wäre, daß sie in den Archiven des alten Athens
gefunden worden sey?

Die Wahrheit, welche von einem Werke,
wie dasjenige, so wir den Liebhabern hiemit
vorlegen, gefodert werden kann und soll, beste-
het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt
übereinstimme, daß die Character nicht willkühr-
lich, und bloß nach der Phantasie, oder den Ab-
sichten des Verfassers gebildet, sondern aus dem
unerschöpflichen Vorrath der Natur selbst herge-

nommen;
Vorbericht.

Geſezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge-
weſen, [wie dann in der That, um die Zeit,
in welche die gegenwaͤrtige Geſchichte geſezt wor-
den iſt, ein comiſcher Dichter dieſes Namens den
Freunden der Schriften Platons bekannt ſeyn
muß:] geſezt aber auch, daß ſich von dieſem
Agathon nichts wichtigers ſagen Lieſſe, als wenn
er gebohren worden, wenn er ſich verheyrathet,
wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an
was fuͤr einer Krankheit er geſtorben ſey: was
wuͤrde uns bewegen koͤnnen, ſeine Geſchichte zu
leſen, und wenn es gleich gerichtlich erwieſen
waͤre, daß ſie in den Archiven des alten Athens
gefunden worden ſey?

Die Wahrheit, welche von einem Werke,
wie dasjenige, ſo wir den Liebhabern hiemit
vorlegen, gefodert werden kann und ſoll, beſte-
het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt
uͤbereinſtimme, daß die Character nicht willkuͤhr-
lich, und bloß nach der Phantaſie, oder den Ab-
ſichten des Verfaſſers gebildet, ſondern aus dem
unerſchoͤpflichen Vorrath der Natur ſelbſt herge-

nommen;
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface" n="1">
        <pb facs="#f0011"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Vorbericht.</hi> </hi> </fw><lb/>
        <p>Ge&#x017F;ezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge-<lb/>
we&#x017F;en, [wie dann in der That, um die Zeit,<lb/>
in welche die gegenwa&#x0364;rtige Ge&#x017F;chichte ge&#x017F;ezt wor-<lb/>
den i&#x017F;t, ein comi&#x017F;cher Dichter die&#x017F;es Namens den<lb/>
Freunden der Schriften Platons bekannt &#x017F;eyn<lb/>
muß:] ge&#x017F;ezt aber auch, daß &#x017F;ich von die&#x017F;em<lb/>
Agathon nichts wichtigers &#x017F;agen Lie&#x017F;&#x017F;e, als wenn<lb/>
er gebohren worden, wenn er &#x017F;ich verheyrathet,<lb/>
wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an<lb/>
was fu&#x0364;r einer Krankheit er ge&#x017F;torben &#x017F;ey: was<lb/>
wu&#x0364;rde uns bewegen ko&#x0364;nnen, &#x017F;eine Ge&#x017F;chichte zu<lb/>
le&#x017F;en, und wenn es gleich gerichtlich erwie&#x017F;en<lb/>
wa&#x0364;re, daß &#x017F;ie in den Archiven des alten Athens<lb/>
gefunden worden &#x017F;ey?</p><lb/>
        <p>Die Wahrheit, welche von einem Werke,<lb/>
wie dasjenige, &#x017F;o wir den Liebhabern hiemit<lb/>
vorlegen, gefodert werden kann und &#x017F;oll, be&#x017F;te-<lb/>
het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt<lb/>
u&#x0364;berein&#x017F;timme, daß die Character nicht willku&#x0364;hr-<lb/>
lich, und bloß nach der Phanta&#x017F;ie, oder den Ab-<lb/>
&#x017F;ichten des Verfa&#x017F;&#x017F;ers gebildet, &#x017F;ondern aus dem<lb/>
uner&#x017F;cho&#x0364;pflichen Vorrath der Natur &#x017F;elb&#x017F;t herge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nommen;</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0011] Vorbericht. Geſezt, daß wirklich einmal ein Agathon ge- weſen, [wie dann in der That, um die Zeit, in welche die gegenwaͤrtige Geſchichte geſezt wor- den iſt, ein comiſcher Dichter dieſes Namens den Freunden der Schriften Platons bekannt ſeyn muß:] geſezt aber auch, daß ſich von dieſem Agathon nichts wichtigers ſagen Lieſſe, als wenn er gebohren worden, wenn er ſich verheyrathet, wie viel Kinder er gezeugt, und wenn, und an was fuͤr einer Krankheit er geſtorben ſey: was wuͤrde uns bewegen koͤnnen, ſeine Geſchichte zu leſen, und wenn es gleich gerichtlich erwieſen waͤre, daß ſie in den Archiven des alten Athens gefunden worden ſey? Die Wahrheit, welche von einem Werke, wie dasjenige, ſo wir den Liebhabern hiemit vorlegen, gefodert werden kann und ſoll, beſte- het darinn, daß alles mit dem Lauf der Welt uͤbereinſtimme, daß die Character nicht willkuͤhr- lich, und bloß nach der Phantaſie, oder den Ab- ſichten des Verfaſſers gebildet, ſondern aus dem unerſchoͤpflichen Vorrath der Natur ſelbſt herge- nommen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/11
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/11>, abgerufen am 19.04.2024.