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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Drittes Buch, viertes Capitel.
de, die Armuth der einen, der Ueberfluß, die Ueppig-
keit und die Trägheit der andern, dieses sind die wah-
ren Götter der Künste, die Mercure und die Musen,
denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit
zu danken haben. Wie viel Menschen müssen ihre Be-
mühungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu
befriedigen! Diese bauen seine Felder und Weinberge,
andre pflanzen seine Lustgärten, noch andre bearbeiten
den Marmor, woraus seine Wohnung aufgeführt wird;
tausende durchschiffen den Ocean um ihm die Reichtümer
fremder Länder zuzuführen; tausende beschäftigen sich, die
Seide und den Purpur zu bereiten, die ihn kleiden; die Ta-
peten, die seine Zimmer schmüken; die kostbaren Gefäße,
woraus er ißt und trinkt; und die weichen Lager, worauf
er der wollüstigsten Ruhe genießt. Tausende müssen in
schlaslosen Nächten ihren Wiz verzehren, um neue Be-
quemlichkeiten, neue Wollüste, eine leichtere und ange-
nehmere Art die leichtesten und angenehmsten Verrich-
tungen, die uns die Natur auferlegt, zu thun, für ihn
zu ersinden, und durch die Zaubereyen der Kunst, die
den gemeinsten Dingen einen Schein der Neuheit zu ge-
ben weiß, seinen Ekel zu täuschen, und seine vom Genuß
ermüdeten Sinnen aufzuweken. Für ihn arbeitet der
Mahler, der Tonkünstler, der Dichter, der Schauspie-
ler, und überwindet unendliche Schwierigkeiten, um
Künste zur Vollkommenheit zu treiben, welche die An-
zahl seiner Ergözungen vermehren sollen. Allein alle
diese Leute, welche für den glüklichen Menschen ar-
beiten, würden es nicht thun, wenn sie nicht selbst glük-

lich
G 3

Drittes Buch, viertes Capitel.
de, die Armuth der einen, der Ueberfluß, die Ueppig-
keit und die Traͤgheit der andern, dieſes ſind die wah-
ren Goͤtter der Kuͤnſte, die Mercure und die Muſen,
denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit
zu danken haben. Wie viel Menſchen muͤſſen ihre Be-
muͤhungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu
befriedigen! Dieſe bauen ſeine Felder und Weinberge,
andre pflanzen ſeine Luſtgaͤrten, noch andre bearbeiten
den Marmor, woraus ſeine Wohnung aufgefuͤhrt wird;
tauſende durchſchiffen den Ocean um ihm die Reichtuͤmer
fremder Laͤnder zuzufuͤhren; tauſende beſchaͤftigen ſich, die
Seide und den Purpur zu bereiten, die ihn kleiden; die Ta-
peten, die ſeine Zimmer ſchmuͤken; die koſtbaren Gefaͤße,
woraus er ißt und trinkt; und die weichen Lager, worauf
er der wolluͤſtigſten Ruhe genießt. Tauſende muͤſſen in
ſchlaſloſen Naͤchten ihren Wiz verzehren, um neue Be-
quemlichkeiten, neue Wolluͤſte, eine leichtere und ange-
nehmere Art die leichteſten und angenehmſten Verrich-
tungen, die uns die Natur auferlegt, zu thun, fuͤr ihn
zu erſinden, und durch die Zaubereyen der Kunſt, die
den gemeinſten Dingen einen Schein der Neuheit zu ge-
ben weiß, ſeinen Ekel zu taͤuſchen, und ſeine vom Genuß
ermuͤdeten Sinnen aufzuweken. Fuͤr ihn arbeitet der
Mahler, der Tonkuͤnſtler, der Dichter, der Schauſpie-
ler, und uͤberwindet unendliche Schwierigkeiten, um
Kuͤnſte zur Vollkommenheit zu treiben, welche die An-
zahl ſeiner Ergoͤzungen vermehren ſollen. Allein alle
dieſe Leute, welche fuͤr den gluͤklichen Menſchen ar-
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lich
G 3
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[101/0123] Drittes Buch, viertes Capitel. de, die Armuth der einen, der Ueberfluß, die Ueppig- keit und die Traͤgheit der andern, dieſes ſind die wah- ren Goͤtter der Kuͤnſte, die Mercure und die Muſen, denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit zu danken haben. Wie viel Menſchen muͤſſen ihre Be- muͤhungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu befriedigen! Dieſe bauen ſeine Felder und Weinberge, andre pflanzen ſeine Luſtgaͤrten, noch andre bearbeiten den Marmor, woraus ſeine Wohnung aufgefuͤhrt wird; tauſende durchſchiffen den Ocean um ihm die Reichtuͤmer fremder Laͤnder zuzufuͤhren; tauſende beſchaͤftigen ſich, die Seide und den Purpur zu bereiten, die ihn kleiden; die Ta- peten, die ſeine Zimmer ſchmuͤken; die koſtbaren Gefaͤße, woraus er ißt und trinkt; und die weichen Lager, worauf er der wolluͤſtigſten Ruhe genießt. Tauſende muͤſſen in ſchlaſloſen Naͤchten ihren Wiz verzehren, um neue Be- quemlichkeiten, neue Wolluͤſte, eine leichtere und ange- nehmere Art die leichteſten und angenehmſten Verrich- tungen, die uns die Natur auferlegt, zu thun, fuͤr ihn zu erſinden, und durch die Zaubereyen der Kunſt, die den gemeinſten Dingen einen Schein der Neuheit zu ge- ben weiß, ſeinen Ekel zu taͤuſchen, und ſeine vom Genuß ermuͤdeten Sinnen aufzuweken. Fuͤr ihn arbeitet der Mahler, der Tonkuͤnſtler, der Dichter, der Schauſpie- ler, und uͤberwindet unendliche Schwierigkeiten, um Kuͤnſte zur Vollkommenheit zu treiben, welche die An- zahl ſeiner Ergoͤzungen vermehren ſollen. Allein alle dieſe Leute, welche fuͤr den gluͤklichen Menſchen ar- beiten, wuͤrden es nicht thun, wenn ſie nicht ſelbſt gluͤk- lich G 3

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/123>, abgerufen am 25.04.2024.