Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
Begriffe von dem, was in sittlichem Verstande schön
und gut ist gebaut, als diejenigen hegen, die von dem
idealischen Schönen, und von einer gewissen Tugend, die
ihr eigner Lohn seyn soll, so viel schöne Dinge zu sa-
gen wissen. Allein, wenn du noch nicht müde bist
mir zuzuhören, als ich es bin zu schwazen; so denke
ich, daß es nicht schwer seyn werde dich zu überzeu-
gen, daß das idealische Schöne und die idealische Tugend
mit jenen Geistermährchen, wovon wir erst gesprochen
haben, in die nehmliche Classe gehören.

Fünftes Capitel.
Der Anti-Platonismus in Nuce.

Was ist das Schöne? Was ist das Gute? Eh wir
diese Fragen beantworten können, müssen wir, däucht
mich, vorher fragen: Was ist das, was die Men-
schen schön und gut nennen? Wir wollen vom Schö-
nen den Anfang machen. Was für eine unendliche Ver-
schiedenheit in den Begriffen, die man sich bey den ver-
schiedenen Völkern des Erdbodens von der Schönheit
macht! Alle Welt kommt darinn überein, daß ein
schönes Weib das schönste unter allen Werken der Na-
tur sey. Allein wie muß sie seyn, um für eine voll-
kommne Schönheit in ihrer Art gehalten zu werden?
Hier fängt der Wiederspruch an. Stelle dir eine Ver-
sammlung von so vielen Liebhabern vor, als es ver-

schiedne

Agathon.
Begriffe von dem, was in ſittlichem Verſtande ſchoͤn
und gut iſt gebaut, als diejenigen hegen, die von dem
idealiſchen Schoͤnen, und von einer gewiſſen Tugend, die
ihr eigner Lohn ſeyn ſoll, ſo viel ſchoͤne Dinge zu ſa-
gen wiſſen. Allein, wenn du noch nicht muͤde biſt
mir zuzuhoͤren, als ich es bin zu ſchwazen; ſo denke
ich, daß es nicht ſchwer ſeyn werde dich zu uͤberzeu-
gen, daß das idealiſche Schoͤne und die idealiſche Tugend
mit jenen Geiſtermaͤhrchen, wovon wir erſt geſprochen
haben, in die nehmliche Claſſe gehoͤren.

Fuͤnftes Capitel.
Der Anti-Platoniſmus in Nuce.

Was iſt das Schoͤne? Was iſt das Gute? Eh wir
dieſe Fragen beantworten koͤnnen, muͤſſen wir, daͤucht
mich, vorher fragen: Was iſt das, was die Men-
ſchen ſchoͤn und gut nennen? Wir wollen vom Schoͤ-
nen den Anfang machen. Was fuͤr eine unendliche Ver-
ſchiedenheit in den Begriffen, die man ſich bey den ver-
ſchiedenen Voͤlkern des Erdbodens von der Schoͤnheit
macht! Alle Welt kommt darinn uͤberein, daß ein
ſchoͤnes Weib das ſchoͤnſte unter allen Werken der Na-
tur ſey. Allein wie muß ſie ſeyn, um fuͤr eine voll-
kommne Schoͤnheit in ihrer Art gehalten zu werden?
Hier faͤngt der Wiederſpruch an. Stelle dir eine Ver-
ſammlung von ſo vielen Liebhabern vor, als es ver-

ſchiedne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0132" n="110"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
Begriffe von dem, was in &#x017F;ittlichem Ver&#x017F;tande &#x017F;cho&#x0364;n<lb/>
und gut i&#x017F;t gebaut, als diejenigen hegen, die von dem<lb/>
ideali&#x017F;chen Scho&#x0364;nen, und von einer gewi&#x017F;&#x017F;en Tugend, die<lb/>
ihr eigner Lohn &#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;o viel &#x017F;cho&#x0364;ne Dinge zu &#x017F;a-<lb/>
gen wi&#x017F;&#x017F;en. Allein, wenn du noch nicht mu&#x0364;de bi&#x017F;t<lb/>
mir zuzuho&#x0364;ren, als ich es bin zu &#x017F;chwazen; &#x017F;o denke<lb/>
ich, daß es nicht &#x017F;chwer &#x017F;eyn werde dich zu u&#x0364;berzeu-<lb/>
gen, daß das ideali&#x017F;che Scho&#x0364;ne und die ideali&#x017F;che Tugend<lb/>
mit jenen Gei&#x017F;terma&#x0364;hrchen, wovon wir er&#x017F;t ge&#x017F;prochen<lb/>
haben, in die nehmliche Cla&#x017F;&#x017F;e geho&#x0364;ren.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Capitel.</hi><lb/>
Der Anti-Platoni&#x017F;mus in Nuce.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>as i&#x017F;t das Scho&#x0364;ne? Was i&#x017F;t das Gute? Eh wir<lb/>
die&#x017F;e Fragen beantworten ko&#x0364;nnen, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir, da&#x0364;ucht<lb/>
mich, vorher fragen: Was i&#x017F;t das, was die Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;cho&#x0364;n und gut nennen? Wir wollen vom Scho&#x0364;-<lb/>
nen den Anfang machen. Was fu&#x0364;r eine unendliche Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit in den Begriffen, die man &#x017F;ich bey den ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Vo&#x0364;lkern des Erdbodens von der Scho&#x0364;nheit<lb/>
macht! Alle Welt kommt darinn u&#x0364;berein, daß ein<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nes Weib das &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te unter allen Werken der Na-<lb/>
tur &#x017F;ey. Allein wie muß &#x017F;ie &#x017F;eyn, um fu&#x0364;r eine voll-<lb/>
kommne Scho&#x0364;nheit in ihrer Art gehalten zu werden?<lb/>
Hier fa&#x0364;ngt der Wieder&#x017F;pruch an. Stelle dir eine Ver-<lb/>
&#x017F;ammlung von &#x017F;o vielen Liebhabern vor, als es ver-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chiedne</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0132] Agathon. Begriffe von dem, was in ſittlichem Verſtande ſchoͤn und gut iſt gebaut, als diejenigen hegen, die von dem idealiſchen Schoͤnen, und von einer gewiſſen Tugend, die ihr eigner Lohn ſeyn ſoll, ſo viel ſchoͤne Dinge zu ſa- gen wiſſen. Allein, wenn du noch nicht muͤde biſt mir zuzuhoͤren, als ich es bin zu ſchwazen; ſo denke ich, daß es nicht ſchwer ſeyn werde dich zu uͤberzeu- gen, daß das idealiſche Schoͤne und die idealiſche Tugend mit jenen Geiſtermaͤhrchen, wovon wir erſt geſprochen haben, in die nehmliche Claſſe gehoͤren. Fuͤnftes Capitel. Der Anti-Platoniſmus in Nuce. Was iſt das Schoͤne? Was iſt das Gute? Eh wir dieſe Fragen beantworten koͤnnen, muͤſſen wir, daͤucht mich, vorher fragen: Was iſt das, was die Men- ſchen ſchoͤn und gut nennen? Wir wollen vom Schoͤ- nen den Anfang machen. Was fuͤr eine unendliche Ver- ſchiedenheit in den Begriffen, die man ſich bey den ver- ſchiedenen Voͤlkern des Erdbodens von der Schoͤnheit macht! Alle Welt kommt darinn uͤberein, daß ein ſchoͤnes Weib das ſchoͤnſte unter allen Werken der Na- tur ſey. Allein wie muß ſie ſeyn, um fuͤr eine voll- kommne Schoͤnheit in ihrer Art gehalten zu werden? Hier faͤngt der Wiederſpruch an. Stelle dir eine Ver- ſammlung von ſo vielen Liebhabern vor, als es ver- ſchiedne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/132
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/132>, abgerufen am 29.03.2024.