Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon,
Dieses innerliche Vergnügen äussert sich bald durch die
Veränderungen, die es in dem mechanischen Theil un-
sers Wesens hervorbringt; es wallt mit hüpfender
Munterkeit in unsern Adern, es schimmert aus unsern
Augen, es gießt eine lächelnde Heiterkeit über unfer
Gesicht, und giebt allen unsern Bewegungen eine neue
Lebhaftigkeit und Anmuth: es stimmt und erhöhet alle
Kräfte unsrer Seele, belebt das Spiel der Phantasie
und des Wizes, und kleidet, so zu sagen, alle unsre
Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein
Liebhaber ist in diesem Augenblik mehr als ein gewöhn-
licher Mensch; er ist (wie Plato sagt) von einer
Gottheit voll, die aus ihm redet und würket; und es
ist keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden-
that so groß, wozu er in diesem Stande der Begei-
strung und unter den Augen des geliebten Gegenstands
nicht fähig wäre. Dieser Zustand dauert noch fort,
wenn er gleich von demselben entfernt wird, und das
Bild desselben, das seine ganze Seele auszufüllen scheint,
ist so lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der
Abwesenheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum
empfindet die Seele diese Abwesenheit, so verschwin-
det jenes Vergnügen mit seinem ganzen bezauberten
Gefolge; man erfährt in immer zunehmenden Gra-
den das Gegentheil von allen Würkungen jener Be-
geisterung, wovon wir geredet haben; und derjenige
der vor kurzem mehr als ein Mensch schien, scheint
nun nichts als der Schatten von sich selbst, ohne Le-
ben, ohne Geist, zu nichts geschikt als in einöden

Wild-

Agathon,
Dieſes innerliche Vergnuͤgen aͤuſſert ſich bald durch die
Veraͤnderungen, die es in dem mechaniſchen Theil un-
ſers Weſens hervorbringt; es wallt mit huͤpfender
Munterkeit in unſern Adern, es ſchimmert aus unſern
Augen, es gießt eine laͤchelnde Heiterkeit uͤber unfer
Geſicht, und giebt allen unſern Bewegungen eine neue
Lebhaftigkeit und Anmuth: es ſtimmt und erhoͤhet alle
Kraͤfte unſrer Seele, belebt das Spiel der Phantaſie
und des Wizes, und kleidet, ſo zu ſagen, alle unſre
Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein
Liebhaber iſt in dieſem Augenblik mehr als ein gewoͤhn-
licher Menſch; er iſt (wie Plato ſagt) von einer
Gottheit voll, die aus ihm redet und wuͤrket; und es
iſt keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden-
that ſo groß, wozu er in dieſem Stande der Begei-
ſtrung und unter den Augen des geliebten Gegenſtands
nicht faͤhig waͤre. Dieſer Zuſtand dauert noch fort,
wenn er gleich von demſelben entfernt wird, und das
Bild deſſelben, das ſeine ganze Seele auszufuͤllen ſcheint,
iſt ſo lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der
Abweſenheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum
empfindet die Seele dieſe Abweſenheit, ſo verſchwin-
det jenes Vergnuͤgen mit ſeinem ganzen bezauberten
Gefolge; man erfaͤhrt in immer zunehmenden Gra-
den das Gegentheil von allen Wuͤrkungen jener Be-
geiſterung, wovon wir geredet haben; und derjenige
der vor kurzem mehr als ein Menſch ſchien, ſcheint
nun nichts als der Schatten von ſich ſelbſt, ohne Le-
ben, ohne Geiſt, zu nichts geſchikt als in einoͤden

Wild-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0204" n="182"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon,</hi></hi></fw><lb/>
Die&#x017F;es innerliche Vergnu&#x0364;gen a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert &#x017F;ich bald durch die<lb/>
Vera&#x0364;nderungen, die es in dem mechani&#x017F;chen Theil un-<lb/>
&#x017F;ers We&#x017F;ens hervorbringt; es wallt mit hu&#x0364;pfender<lb/>
Munterkeit in un&#x017F;ern Adern, es &#x017F;chimmert aus un&#x017F;ern<lb/>
Augen, es gießt eine la&#x0364;chelnde Heiterkeit u&#x0364;ber unfer<lb/>
Ge&#x017F;icht, und giebt allen un&#x017F;ern Bewegungen eine neue<lb/>
Lebhaftigkeit und Anmuth: es &#x017F;timmt und erho&#x0364;het alle<lb/>
Kra&#x0364;fte un&#x017F;rer Seele, belebt das Spiel der Phanta&#x017F;ie<lb/>
und des Wizes, und kleidet, &#x017F;o zu &#x017F;agen, alle un&#x017F;re<lb/>
Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein<lb/>
Liebhaber i&#x017F;t in die&#x017F;em Augenblik mehr als ein gewo&#x0364;hn-<lb/>
licher Men&#x017F;ch; er i&#x017F;t (wie Plato &#x017F;agt) von einer<lb/>
Gottheit voll, die aus ihm redet und wu&#x0364;rket; und es<lb/>
i&#x017F;t keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden-<lb/>
that &#x017F;o groß, wozu er in die&#x017F;em Stande der Begei-<lb/>
&#x017F;trung und unter den Augen des geliebten Gegen&#x017F;tands<lb/>
nicht fa&#x0364;hig wa&#x0364;re. Die&#x017F;er Zu&#x017F;tand dauert noch fort,<lb/>
wenn er gleich von dem&#x017F;elben entfernt wird, und das<lb/>
Bild de&#x017F;&#x017F;elben, das &#x017F;eine ganze Seele auszufu&#x0364;llen &#x017F;cheint,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;o lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der<lb/>
Abwe&#x017F;enheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum<lb/>
empfindet die Seele die&#x017F;e Abwe&#x017F;enheit, &#x017F;o ver&#x017F;chwin-<lb/>
det jenes Vergnu&#x0364;gen mit &#x017F;einem ganzen bezauberten<lb/>
Gefolge; man erfa&#x0364;hrt in immer zunehmenden Gra-<lb/>
den das Gegentheil von allen Wu&#x0364;rkungen jener Be-<lb/>
gei&#x017F;terung, wovon wir geredet haben; und derjenige<lb/>
der vor kurzem mehr als ein Men&#x017F;ch &#x017F;chien, &#x017F;cheint<lb/>
nun nichts als der Schatten von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, ohne Le-<lb/>
ben, ohne Gei&#x017F;t, zu nichts ge&#x017F;chikt als in eino&#x0364;den<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wild-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0204] Agathon, Dieſes innerliche Vergnuͤgen aͤuſſert ſich bald durch die Veraͤnderungen, die es in dem mechaniſchen Theil un- ſers Weſens hervorbringt; es wallt mit huͤpfender Munterkeit in unſern Adern, es ſchimmert aus unſern Augen, es gießt eine laͤchelnde Heiterkeit uͤber unfer Geſicht, und giebt allen unſern Bewegungen eine neue Lebhaftigkeit und Anmuth: es ſtimmt und erhoͤhet alle Kraͤfte unſrer Seele, belebt das Spiel der Phantaſie und des Wizes, und kleidet, ſo zu ſagen, alle unſre Jdeen in den Schimmer und die Farbe der Liebe. Ein Liebhaber iſt in dieſem Augenblik mehr als ein gewoͤhn- licher Menſch; er iſt (wie Plato ſagt) von einer Gottheit voll, die aus ihm redet und wuͤrket; und es iſt keine Vollkommenheit, keine Tugend, keine Helden- that ſo groß, wozu er in dieſem Stande der Begei- ſtrung und unter den Augen des geliebten Gegenſtands nicht faͤhig waͤre. Dieſer Zuſtand dauert noch fort, wenn er gleich von demſelben entfernt wird, und das Bild deſſelben, das ſeine ganze Seele auszufuͤllen ſcheint, iſt ſo lebhaft, daß es einige Zeit braucht, bis er der Abweſenheit des Urbildes gewahr wird. Aber kaum empfindet die Seele dieſe Abweſenheit, ſo verſchwin- det jenes Vergnuͤgen mit ſeinem ganzen bezauberten Gefolge; man erfaͤhrt in immer zunehmenden Gra- den das Gegentheil von allen Wuͤrkungen jener Be- geiſterung, wovon wir geredet haben; und derjenige der vor kurzem mehr als ein Menſch ſchien, ſcheint nun nichts als der Schatten von ſich ſelbſt, ohne Le- ben, ohne Geiſt, zu nichts geſchikt als in einoͤden Wild-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/204
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/204>, abgerufen am 25.04.2024.