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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
niemand jemals versucht gewesen ist, auf die Probe zu
stellen. Wir zweifeln mit gutem Grunde sehr daran,
daß diejenigen, welche von einer Danae am unbarm-
herzigsten urtheilen, an ihrem Plaz einem viel weni-
ger gefährlichen Versucher als Agathon war, die
Augen auskrazen würden: Und wenn sie es auch thä-
ten, so würden wir vielleicht anstehen, ihrer Tugend
beyzumessen, was eben sowohl die mechanische Wür-
kung unreizbarer Sinnen, und eines unzärtlichen Her-
zens, hätte gewesen seyn können. Unser Augenmerk ist
bloß auf euch gerichtet, ihr liebreizenden Geschöpfe,
denen die Natur die schönste ihrer Gaben, die Gabe
zu gefallen, geschenkt -- ihr, welche sie bestimmt
hat, uns glüklich zu machen; aber, welche eine ein-
zige kleine Unvorsichtigkeit in Erfüllung dieser schönen
Bestimmung so leicht in Gefahr sezen kan, durch die
schäzbarste eurer Eigenschaften, durch das was die An-
lage zu jeder Tugend ist, durch die Zärtlichkeit eures
Herzens selbst, unglüklich zu werden: Euch allein
wünschten wir überreden zu können, wie gefährlich jene
Einbildung ist, womit euch das Bewußtseyn eurer Un-
schuld schmeichelt, daß es allezeit in eurer Macht stehe,
der Liebe und ihren Forderungen Grenzen zu sezen.
Möchten die Unsterblichen (wenn anders, wie wir
hoffen, die Unschuld und die Güte des Herzens himm-
lische Beschüzer hat,) möchten sie über die eurige wa-
chen! Möchten sie euch zu rechter Zeit warnen, euch
einer Zärtlichkeit nicht zu vertrauen, welche, bezaubert
von dem großmüthigen Vergnügen, den Gegenstand

ihrer

Agathon.
niemand jemals verſucht geweſen iſt, auf die Probe zu
ſtellen. Wir zweifeln mit gutem Grunde ſehr daran,
daß diejenigen, welche von einer Danae am unbarm-
herzigſten urtheilen, an ihrem Plaz einem viel weni-
ger gefaͤhrlichen Verſucher als Agathon war, die
Augen auskrazen wuͤrden: Und wenn ſie es auch thaͤ-
ten, ſo wuͤrden wir vielleicht anſtehen, ihrer Tugend
beyzumeſſen, was eben ſowohl die mechaniſche Wuͤr-
kung unreizbarer Sinnen, und eines unzaͤrtlichen Her-
zens, haͤtte geweſen ſeyn koͤnnen. Unſer Augenmerk iſt
bloß auf euch gerichtet, ihr liebreizenden Geſchoͤpfe,
denen die Natur die ſchoͤnſte ihrer Gaben, die Gabe
zu gefallen, geſchenkt — ihr, welche ſie beſtimmt
hat, uns gluͤklich zu machen; aber, welche eine ein-
zige kleine Unvorſichtigkeit in Erfuͤllung dieſer ſchoͤnen
Beſtimmung ſo leicht in Gefahr ſezen kan, durch die
ſchaͤzbarſte eurer Eigenſchaften, durch das was die An-
lage zu jeder Tugend iſt, durch die Zaͤrtlichkeit eures
Herzens ſelbſt, ungluͤklich zu werden: Euch allein
wuͤnſchten wir uͤberreden zu koͤnnen, wie gefaͤhrlich jene
Einbildung iſt, womit euch das Bewußtſeyn eurer Un-
ſchuld ſchmeichelt, daß es allezeit in eurer Macht ſtehe,
der Liebe und ihren Forderungen Grenzen zu ſezen.
Moͤchten die Unſterblichen (wenn anders, wie wir
hoffen, die Unſchuld und die Guͤte des Herzens himm-
liſche Beſchuͤzer hat,) moͤchten ſie uͤber die eurige wa-
chen! Moͤchten ſie euch zu rechter Zeit warnen, euch
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von dem großmuͤthigen Vergnuͤgen, den Gegenſtand

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[210/0232] Agathon. niemand jemals verſucht geweſen iſt, auf die Probe zu ſtellen. Wir zweifeln mit gutem Grunde ſehr daran, daß diejenigen, welche von einer Danae am unbarm- herzigſten urtheilen, an ihrem Plaz einem viel weni- ger gefaͤhrlichen Verſucher als Agathon war, die Augen auskrazen wuͤrden: Und wenn ſie es auch thaͤ- ten, ſo wuͤrden wir vielleicht anſtehen, ihrer Tugend beyzumeſſen, was eben ſowohl die mechaniſche Wuͤr- kung unreizbarer Sinnen, und eines unzaͤrtlichen Her- zens, haͤtte geweſen ſeyn koͤnnen. Unſer Augenmerk iſt bloß auf euch gerichtet, ihr liebreizenden Geſchoͤpfe, denen die Natur die ſchoͤnſte ihrer Gaben, die Gabe zu gefallen, geſchenkt — ihr, welche ſie beſtimmt hat, uns gluͤklich zu machen; aber, welche eine ein- zige kleine Unvorſichtigkeit in Erfuͤllung dieſer ſchoͤnen Beſtimmung ſo leicht in Gefahr ſezen kan, durch die ſchaͤzbarſte eurer Eigenſchaften, durch das was die An- lage zu jeder Tugend iſt, durch die Zaͤrtlichkeit eures Herzens ſelbſt, ungluͤklich zu werden: Euch allein wuͤnſchten wir uͤberreden zu koͤnnen, wie gefaͤhrlich jene Einbildung iſt, womit euch das Bewußtſeyn eurer Un- ſchuld ſchmeichelt, daß es allezeit in eurer Macht ſtehe, der Liebe und ihren Forderungen Grenzen zu ſezen. Moͤchten die Unſterblichen (wenn anders, wie wir hoffen, die Unſchuld und die Guͤte des Herzens himm- liſche Beſchuͤzer hat,) moͤchten ſie uͤber die eurige wa- chen! Moͤchten ſie euch zu rechter Zeit warnen, euch einer Zaͤrtlichkeit nicht zu vertrauen, welche, bezaubert von dem großmuͤthigen Vergnuͤgen, den Gegenſtand ihrer

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/232>, abgerufen am 18.04.2024.