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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon,
schattete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzu-
bringen beschloß.

Wenn sich jemals ein Mensch in Umständen befun-
den hatte, die man unglüklich nennen kann, so war es
dieser Jüngling in denjenigen, worinn wir ihn das er-
stemal mit unsern Lesern bekannt machen. Vor weni-
gen Tagen noch ein Günstling des Glüks, und der Ge-
genstand des Neides seiner Mitbürger, befand er sich,
durch einen plözlichen Wechsel, seines Vermögens, seiner
Freunde, seines Vaterlands beraubt, allen Zufällen des
widrigen Glüks, und selbst der Ungewißheit ausgesezt,
wie er das nakte Leben, das ihm allein übrig gelassen
war, erhalten möchte. Allein ungeachtet so vieler Wi-
derwärtigkeiten, die sich vereinigten seinen Muth nie-
derzuschlagen, versichert uns doch die Geschichte, daß
derjenige, der ihn in diesem Augenblik gesehen hätte,
weder in seiner Mine noch in seinen Gebehrden einige
Spur von Verzweiflung, Ungeduld oder nur von Miß-
vergnügen hätte bemerken können.

Vielleicht erinnern sich einige hiebey an den Weisen
der Stoiker von welchem man ehmals versicherte,
daß er in dem glühenden Ochsen des Phalaris zum
wenigsten so glüklich sey, als ein Morgenländischer Bassa
in den weichen Armen einer jungen Circasserin. Da
sich aber in dem Lauf dieser Geschichte verschiedne Pro-
ben einer nicht geringen Ungleichheit unsers Helden mit

dem

Agathon,
ſchattete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzu-
bringen beſchloß.

Wenn ſich jemals ein Menſch in Umſtaͤnden befun-
den hatte, die man ungluͤklich nennen kann, ſo war es
dieſer Juͤngling in denjenigen, worinn wir ihn das er-
ſtemal mit unſern Leſern bekannt machen. Vor weni-
gen Tagen noch ein Guͤnſtling des Gluͤks, und der Ge-
genſtand des Neides ſeiner Mitbuͤrger, befand er ſich,
durch einen ploͤzlichen Wechſel, ſeines Vermoͤgens, ſeiner
Freunde, ſeines Vaterlands beraubt, allen Zufaͤllen des
widrigen Gluͤks, und ſelbſt der Ungewißheit ausgeſezt,
wie er das nakte Leben, das ihm allein uͤbrig gelaſſen
war, erhalten moͤchte. Allein ungeachtet ſo vieler Wi-
derwaͤrtigkeiten, die ſich vereinigten ſeinen Muth nie-
derzuſchlagen, verſichert uns doch die Geſchichte, daß
derjenige, der ihn in dieſem Augenblik geſehen haͤtte,
weder in ſeiner Mine noch in ſeinen Gebehrden einige
Spur von Verzweiflung, Ungeduld oder nur von Miß-
vergnuͤgen haͤtte bemerken koͤnnen.

Vielleicht erinnern ſich einige hiebey an den Weiſen
der Stoiker von welchem man ehmals verſicherte,
daß er in dem gluͤhenden Ochſen des Phalaris zum
wenigſten ſo gluͤklich ſey, als ein Morgenlaͤndiſcher Baſſa
in den weichen Armen einer jungen Circaſſerin. Da
ſich aber in dem Lauf dieſer Geſchichte verſchiedne Pro-
ben einer nicht geringen Ungleichheit unſers Helden mit

dem
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[4/0026] Agathon, ſchattete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzu- bringen beſchloß. Wenn ſich jemals ein Menſch in Umſtaͤnden befun- den hatte, die man ungluͤklich nennen kann, ſo war es dieſer Juͤngling in denjenigen, worinn wir ihn das er- ſtemal mit unſern Leſern bekannt machen. Vor weni- gen Tagen noch ein Guͤnſtling des Gluͤks, und der Ge- genſtand des Neides ſeiner Mitbuͤrger, befand er ſich, durch einen ploͤzlichen Wechſel, ſeines Vermoͤgens, ſeiner Freunde, ſeines Vaterlands beraubt, allen Zufaͤllen des widrigen Gluͤks, und ſelbſt der Ungewißheit ausgeſezt, wie er das nakte Leben, das ihm allein uͤbrig gelaſſen war, erhalten moͤchte. Allein ungeachtet ſo vieler Wi- derwaͤrtigkeiten, die ſich vereinigten ſeinen Muth nie- derzuſchlagen, verſichert uns doch die Geſchichte, daß derjenige, der ihn in dieſem Augenblik geſehen haͤtte, weder in ſeiner Mine noch in ſeinen Gebehrden einige Spur von Verzweiflung, Ungeduld oder nur von Miß- vergnuͤgen haͤtte bemerken koͤnnen. Vielleicht erinnern ſich einige hiebey an den Weiſen der Stoiker von welchem man ehmals verſicherte, daß er in dem gluͤhenden Ochſen des Phalaris zum wenigſten ſo gluͤklich ſey, als ein Morgenlaͤndiſcher Baſſa in den weichen Armen einer jungen Circaſſerin. Da ſich aber in dem Lauf dieſer Geſchichte verſchiedne Pro- ben einer nicht geringen Ungleichheit unſers Helden mit dem

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/26>, abgerufen am 29.03.2024.