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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Siebentes Buch, sechstes Capitel.
ge und zuvor nie erhörte Belohnungen vorzuschlagen,
welche das Volk in dem Feuer seiner schwärmerischen
Zuneigung gutherziger Weise bewilligte, ohne daran zu
denken, daß mir diese Ausschweifungen seiner Hochach-
tung in kurzem von ihm selbst zu eben so vielen Verbre-
chen gemacht werden würden.

Da ich sahe, daß alle meine Bescheidenheit nicht
zureichend war, dem überfliessenden Strom der popu-
laren Dankbarkeit Einhalt zu thun; so glaubte ich am
besten zu thun, wenn ich mich eine Zeitlang von Athen
entfernte, und bis die Atheniensische Lebhaftigkeit durch
irgend eine neue Comödie, einen fremden Gaukler,
oder eine frisch angekommene Tänzerin einen andern
Schwung bekommen haben würde, auf meinem Landgut
zu Corinth in Gesellschaft der Musen und Grazien ei-
ner Musse zu geniessen, welche ich durch die Arbeiten
eines ganzen Jahres verdient zu haben glaubte. Jch
dachte wenig daran, daß ich in einer Stadt, deren
Liebling ich zu seyn schien, Feinde habe, die indessen,
daß ich mich mit aller Sorglosigkeit der Unschuld den
Vergnügungen des Landlebens, und der geselligen Frey-
heit überließ, einen eben so boshaften als wolausgeson-
nenen Plan zu meinem Untergang anzulegen beschäfti-
get seyen.

Alles, womit ich mir bey der schärfsten Prüfung
meines öffentlichen und Privatlebens in Athen, bewußt
bin, mein Unglük, wo nicht verdient, doch befödert

zu

Siebentes Buch, ſechstes Capitel.
ge und zuvor nie erhoͤrte Belohnungen vorzuſchlagen,
welche das Volk in dem Feuer ſeiner ſchwaͤrmeriſchen
Zuneigung gutherziger Weiſe bewilligte, ohne daran zu
denken, daß mir dieſe Ausſchweifungen ſeiner Hochach-
tung in kurzem von ihm ſelbſt zu eben ſo vielen Verbre-
chen gemacht werden wuͤrden.

Da ich ſahe, daß alle meine Beſcheidenheit nicht
zureichend war, dem uͤberflieſſenden Strom der popu-
laren Dankbarkeit Einhalt zu thun; ſo glaubte ich am
beſten zu thun, wenn ich mich eine Zeitlang von Athen
entfernte, und bis die Athenienſiſche Lebhaftigkeit durch
irgend eine neue Comoͤdie, einen fremden Gaukler,
oder eine friſch angekommene Taͤnzerin einen andern
Schwung bekommen haben wuͤrde, auf meinem Landgut
zu Corinth in Geſellſchaft der Muſen und Grazien ei-
ner Muſſe zu genieſſen, welche ich durch die Arbeiten
eines ganzen Jahres verdient zu haben glaubte. Jch
dachte wenig daran, daß ich in einer Stadt, deren
Liebling ich zu ſeyn ſchien, Feinde habe, die indeſſen,
daß ich mich mit aller Sorgloſigkeit der Unſchuld den
Vergnuͤgungen des Landlebens, und der geſelligen Frey-
heit uͤberließ, einen eben ſo boshaften als wolausgeſon-
nenen Plan zu meinem Untergang anzulegen beſchaͤfti-
get ſeyen.

Alles, womit ich mir bey der ſchaͤrfſten Pruͤfung
meines oͤffentlichen und Privatlebens in Athen, bewußt
bin, mein Ungluͤk, wo nicht verdient, doch befoͤdert

zu
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[349/0371] Siebentes Buch, ſechstes Capitel. ge und zuvor nie erhoͤrte Belohnungen vorzuſchlagen, welche das Volk in dem Feuer ſeiner ſchwaͤrmeriſchen Zuneigung gutherziger Weiſe bewilligte, ohne daran zu denken, daß mir dieſe Ausſchweifungen ſeiner Hochach- tung in kurzem von ihm ſelbſt zu eben ſo vielen Verbre- chen gemacht werden wuͤrden. Da ich ſahe, daß alle meine Beſcheidenheit nicht zureichend war, dem uͤberflieſſenden Strom der popu- laren Dankbarkeit Einhalt zu thun; ſo glaubte ich am beſten zu thun, wenn ich mich eine Zeitlang von Athen entfernte, und bis die Athenienſiſche Lebhaftigkeit durch irgend eine neue Comoͤdie, einen fremden Gaukler, oder eine friſch angekommene Taͤnzerin einen andern Schwung bekommen haben wuͤrde, auf meinem Landgut zu Corinth in Geſellſchaft der Muſen und Grazien ei- ner Muſſe zu genieſſen, welche ich durch die Arbeiten eines ganzen Jahres verdient zu haben glaubte. Jch dachte wenig daran, daß ich in einer Stadt, deren Liebling ich zu ſeyn ſchien, Feinde habe, die indeſſen, daß ich mich mit aller Sorgloſigkeit der Unſchuld den Vergnuͤgungen des Landlebens, und der geſelligen Frey- heit uͤberließ, einen eben ſo boshaften als wolausgeſon- nenen Plan zu meinem Untergang anzulegen beſchaͤfti- get ſeyen. Alles, womit ich mir bey der ſchaͤrfſten Pruͤfung meines oͤffentlichen und Privatlebens in Athen, bewußt bin, mein Ungluͤk, wo nicht verdient, doch befoͤdert zu

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/371>, abgerufen am 28.03.2024.