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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
sellschaft ein Genüge gethan zu haben, und nun voll-
kommen berechtiget zu seyn, die natürliche Freyheit,
welche mir meine Verbannung wieder gab, zum Vor-
theil meiner eigenen Glükseligkeit anzuwenden. Jch
beschloß also den Vorsaz, welchen ich zu Delphi schon
gefaßt hatte, nunmehr ins Werk zu sezen, und die
Quellen der morgenländischen Weisheit, die Magier,
und die Gymnosophisten in Jndien zu besuchen, in
deren geheiligten Einöden ich die wahren Gottheiten
meiner Seele, die Weisheit und die Tugend, von de-
nen, wie ich glaubte, nur unwesentliche Phantomen
unter den übrigen Menschen herumschwärmten, zu fin-
den hoffte.

Aber eh ich auf die Zufälle komme, durch welche
ich an der Ausführung dieses Vorhabens gehintert,
und in Gestalt eines Sclaven nach Smyrna gebracht
wurde; muß ich mich meiner jungen Freundin wieder
erinnern, die wir seit meiner Versezung nach Athen
aus dem Gesichte verlohren haben.

Achtes Capitel.
Agathon endigt seine Erzählung.

Die Veränderung, welche mit mir vorgieng, da ich
aus den Haynen von Delphi auf den Schauplaz der
geschäftigen Welt, in das Getümmel einer volkreichen
Stadt, in die unruhige Bewegungen einer zwischen

der

Agathon.
ſellſchaft ein Genuͤge gethan zu haben, und nun voll-
kommen berechtiget zu ſeyn, die natuͤrliche Freyheit,
welche mir meine Verbannung wieder gab, zum Vor-
theil meiner eigenen Gluͤkſeligkeit anzuwenden. Jch
beſchloß alſo den Vorſaz, welchen ich zu Delphi ſchon
gefaßt hatte, nunmehr ins Werk zu ſezen, und die
Quellen der morgenlaͤndiſchen Weisheit, die Magier,
und die Gymnoſophiſten in Jndien zu beſuchen, in
deren geheiligten Einoͤden ich die wahren Gottheiten
meiner Seele, die Weisheit und die Tugend, von de-
nen, wie ich glaubte, nur unweſentliche Phantomen
unter den uͤbrigen Menſchen herumſchwaͤrmten, zu fin-
den hoffte.

Aber eh ich auf die Zufaͤlle komme, durch welche
ich an der Ausfuͤhrung dieſes Vorhabens gehintert,
und in Geſtalt eines Sclaven nach Smyrna gebracht
wurde; muß ich mich meiner jungen Freundin wieder
erinnern, die wir ſeit meiner Verſezung nach Athen
aus dem Geſichte verlohren haben.

Achtes Capitel.
Agathon endigt ſeine Erzaͤhlung.

Die Veraͤnderung, welche mit mir vorgieng, da ich
aus den Haynen von Delphi auf den Schauplaz der
geſchaͤftigen Welt, in das Getuͤmmel einer volkreichen
Stadt, in die unruhige Bewegungen einer zwiſchen

der
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[374/0396] Agathon. ſellſchaft ein Genuͤge gethan zu haben, und nun voll- kommen berechtiget zu ſeyn, die natuͤrliche Freyheit, welche mir meine Verbannung wieder gab, zum Vor- theil meiner eigenen Gluͤkſeligkeit anzuwenden. Jch beſchloß alſo den Vorſaz, welchen ich zu Delphi ſchon gefaßt hatte, nunmehr ins Werk zu ſezen, und die Quellen der morgenlaͤndiſchen Weisheit, die Magier, und die Gymnoſophiſten in Jndien zu beſuchen, in deren geheiligten Einoͤden ich die wahren Gottheiten meiner Seele, die Weisheit und die Tugend, von de- nen, wie ich glaubte, nur unweſentliche Phantomen unter den uͤbrigen Menſchen herumſchwaͤrmten, zu fin- den hoffte. Aber eh ich auf die Zufaͤlle komme, durch welche ich an der Ausfuͤhrung dieſes Vorhabens gehintert, und in Geſtalt eines Sclaven nach Smyrna gebracht wurde; muß ich mich meiner jungen Freundin wieder erinnern, die wir ſeit meiner Verſezung nach Athen aus dem Geſichte verlohren haben. Achtes Capitel. Agathon endigt ſeine Erzaͤhlung. Die Veraͤnderung, welche mit mir vorgieng, da ich aus den Haynen von Delphi auf den Schauplaz der geſchaͤftigen Welt, in das Getuͤmmel einer volkreichen Stadt, in die unruhige Bewegungen einer zwiſchen der

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/396>, abgerufen am 25.04.2024.