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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon.
besorgte nicht unbillig, daß es schwer seyn würde, ei-
nen jungen Helden, der durch so seltene Talente und
Tugenden zu den edelsten Auftritten des geschäftigen
Lebens bestimmt schien, immer in den Blumen-Fesseln
der Liebe und eines wollüstigen Müssiggangs gefangen
zu halten. Nun schien zwar die Art seiner Erziehung,
der sonderbare Schwung, den seine Einbildungs-Kraft
dadurch erhalten, seine herrschende Neigung zur Unab-
hängigkeit und Ruhe des speculativen Lebens, welche
durch die Streiche, die ihm das Glük in einer so gros-
sen Jugend bereits gespielt, eine neue Stärke bekommen
hatte; und der Hang zum Vergnügen, welcher, im
Gleichmaß mit der ausserordentlichen Empfindlichkeit
seines Herzens, die Ruhm-Begierde und die Ambition
bey ihm nur zu subalternen Leidenschaften machte --
alles dieses schien ihr zwar in dem Vorhaben, ihn der
Welt zu rauben, und für sich selbst zu behalten, nicht wenig
beförderlich zu seyn; aber eben diese schwärmerische Einbil-
dungs-Kraft, eben diese Lebhaftigkeit der Empfindungen
schienen ihr, auf einer andern Seite betrachtet, mit einer
gewissen natürlichen Unbeständigkeit verbunden zu seyn,
von welcher sie alles zu befürchten hätte. Konnte sie, mit al-
ler Eitelkeit, wozu sie das Bewußtseyn ihrer selbst und der
allgemeine Beyfall berechtigte, sich selbst bereden, daß sie
diese idealische Vollkommenheit würklich besize, welche die
bezauberten Augen ihres enthustastischen Liebhabers an ihr
sahen? Und da nicht sie selbst, sondern diese idealische
Vollkommenheit der eigentliche Gegenstand seiner Liebe
war, auf was für einen unsichern Grund beruhete also

eine

Agathon.
beſorgte nicht unbillig, daß es ſchwer ſeyn wuͤrde, ei-
nen jungen Helden, der durch ſo ſeltene Talente und
Tugenden zu den edelſten Auftritten des geſchaͤftigen
Lebens beſtimmt ſchien, immer in den Blumen-Feſſeln
der Liebe und eines wolluͤſtigen Muͤſſiggangs gefangen
zu halten. Nun ſchien zwar die Art ſeiner Erziehung,
der ſonderbare Schwung, den ſeine Einbildungs-Kraft
dadurch erhalten, ſeine herrſchende Neigung zur Unab-
haͤngigkeit und Ruhe des ſpeculativen Lebens, welche
durch die Streiche, die ihm das Gluͤk in einer ſo groſ-
ſen Jugend bereits geſpielt, eine neue Staͤrke bekommen
hatte; und der Hang zum Vergnuͤgen, welcher, im
Gleichmaß mit der auſſerordentlichen Empfindlichkeit
ſeines Herzens, die Ruhm-Begierde und die Ambition
bey ihm nur zu ſubalternen Leidenſchaften machte —
alles dieſes ſchien ihr zwar in dem Vorhaben, ihn der
Welt zu rauben, und fuͤr ſich ſelbſt zu behalten, nicht wenig
befoͤrderlich zu ſeyn; aber eben dieſe ſchwaͤrmeriſche Einbil-
dungs-Kraft, eben dieſe Lebhaftigkeit der Empfindungen
ſchienen ihr, auf einer andern Seite betrachtet, mit einer
gewiſſen natuͤrlichen Unbeſtaͤndigkeit verbunden zu ſeyn,
von welcher ſie alles zu befuͤrchten haͤtte. Konnte ſie, mit al-
ler Eitelkeit, wozu ſie das Bewußtſeyn ihrer ſelbſt und der
allgemeine Beyfall berechtigte, ſich ſelbſt bereden, daß ſie
dieſe idealiſche Vollkommenheit wuͤrklich beſize, welche die
bezauberten Augen ihres enthuſtaſtiſchen Liebhabers an ihr
ſahen? Und da nicht ſie ſelbſt, ſondern dieſe idealiſche
Vollkommenheit der eigentliche Gegenſtand ſeiner Liebe
war, auf was fuͤr einen unſichern Grund beruhete alſo

eine
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[382/0404] Agathon. beſorgte nicht unbillig, daß es ſchwer ſeyn wuͤrde, ei- nen jungen Helden, der durch ſo ſeltene Talente und Tugenden zu den edelſten Auftritten des geſchaͤftigen Lebens beſtimmt ſchien, immer in den Blumen-Feſſeln der Liebe und eines wolluͤſtigen Muͤſſiggangs gefangen zu halten. Nun ſchien zwar die Art ſeiner Erziehung, der ſonderbare Schwung, den ſeine Einbildungs-Kraft dadurch erhalten, ſeine herrſchende Neigung zur Unab- haͤngigkeit und Ruhe des ſpeculativen Lebens, welche durch die Streiche, die ihm das Gluͤk in einer ſo groſ- ſen Jugend bereits geſpielt, eine neue Staͤrke bekommen hatte; und der Hang zum Vergnuͤgen, welcher, im Gleichmaß mit der auſſerordentlichen Empfindlichkeit ſeines Herzens, die Ruhm-Begierde und die Ambition bey ihm nur zu ſubalternen Leidenſchaften machte — alles dieſes ſchien ihr zwar in dem Vorhaben, ihn der Welt zu rauben, und fuͤr ſich ſelbſt zu behalten, nicht wenig befoͤrderlich zu ſeyn; aber eben dieſe ſchwaͤrmeriſche Einbil- dungs-Kraft, eben dieſe Lebhaftigkeit der Empfindungen ſchienen ihr, auf einer andern Seite betrachtet, mit einer gewiſſen natuͤrlichen Unbeſtaͤndigkeit verbunden zu ſeyn, von welcher ſie alles zu befuͤrchten haͤtte. Konnte ſie, mit al- ler Eitelkeit, wozu ſie das Bewußtſeyn ihrer ſelbſt und der allgemeine Beyfall berechtigte, ſich ſelbſt bereden, daß ſie dieſe idealiſche Vollkommenheit wuͤrklich beſize, welche die bezauberten Augen ihres enthuſtaſtiſchen Liebhabers an ihr ſahen? Und da nicht ſie ſelbſt, ſondern dieſe idealiſche Vollkommenheit der eigentliche Gegenſtand ſeiner Liebe war, auf was fuͤr einen unſichern Grund beruhete alſo eine

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/404>, abgerufen am 29.03.2024.