besorgen; und die Art, wie ich dieses Amt verwal- tete, erwarb mir ihre Gunst so sehr, daß sie mich beynahe so viel liebte, als ihren Schooßhund. Jn diesem Zustand hielt ich mich für so glüklich, als ich es ohne deine Gegenwart in einem jeden andern hät- te seyn können, bis die Ankunft des Sohnes meiner Gebieterin die Scene veränderte.
Siebentes Capitel. Fortsezung der Erzählung der Psyche.
Narcissus, so hieß dieser junge Herr, war von sei- ner Mutter nach Athen geschikt worden, die Weisen daselbst zu hören, und die feinen Sitten der Athenienser an sich zu nehmen. Allein er hatte keine Zeit gefun- den, weder das eine noch das andre zu thun. Einige junge Leute, die er seine Freunde nannte, machten je- den Tag eine neue Lustbarkeit ausfündig, die ihn ver- hinderte, die schwermüthigen Spaziergänge der Philo- sophen zu besuchen. Ueberdas hatten ihm die artig- sten Sträussermädchen von Athen gesagt, daß er ein sehr liebenswürdiger junger Herr wäre; er hatte es ihnen geglaubt, und sich also keine Mühe gegeben, erst zu wer- den, was er nach einem so vollgültigen Zeugniß, schon war. Er hatte sich also mit nichts beschäftiget, als sei- ne Person in das gehörige Licht zu setzen; niemand in Athen konnte sich rühmen lächerlicher gepuzt zu seyn,
weisser
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Erſtes Buch, ſiebentes Capitel.
beſorgen; und die Art, wie ich dieſes Amt verwal- tete, erwarb mir ihre Gunſt ſo ſehr, daß ſie mich beynahe ſo viel liebte, als ihren Schooßhund. Jn dieſem Zuſtand hielt ich mich fuͤr ſo gluͤklich, als ich es ohne deine Gegenwart in einem jeden andern haͤt- te ſeyn koͤnnen, bis die Ankunft des Sohnes meiner Gebieterin die Scene veraͤnderte.
Siebentes Capitel. Fortſezung der Erzaͤhlung der Pſyche.
Narciſſus, ſo hieß dieſer junge Herr, war von ſei- ner Mutter nach Athen geſchikt worden, die Weiſen daſelbſt zu hoͤren, und die feinen Sitten der Athenienſer an ſich zu nehmen. Allein er hatte keine Zeit gefun- den, weder das eine noch das andre zu thun. Einige junge Leute, die er ſeine Freunde nannte, machten je- den Tag eine neue Luſtbarkeit ausfuͤndig, die ihn ver- hinderte, die ſchwermuͤthigen Spaziergaͤnge der Philo- ſophen zu beſuchen. Ueberdas hatten ihm die artig- ſten Straͤuſſermaͤdchen von Athen geſagt, daß er ein ſehr liebenswuͤrdiger junger Herr waͤre; er hatte es ihnen geglaubt, und ſich alſo keine Muͤhe gegeben, erſt zu wer- den, was er nach einem ſo vollguͤltigen Zeugniß, ſchon war. Er hatte ſich alſo mit nichts beſchaͤftiget, als ſei- ne Perſon in das gehoͤrige Licht zu ſetzen; niemand in Athen konnte ſich ruͤhmen laͤcherlicher gepuzt zu ſeyn,
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Erſtes Buch, ſiebentes Capitel.
beſorgen; und die Art, wie ich dieſes Amt verwal-
tete, erwarb mir ihre Gunſt ſo ſehr, daß ſie mich
beynahe ſo viel liebte, als ihren Schooßhund. Jn
dieſem Zuſtand hielt ich mich fuͤr ſo gluͤklich, als ich
es ohne deine Gegenwart in einem jeden andern haͤt-
te ſeyn koͤnnen, bis die Ankunft des Sohnes meiner
Gebieterin die Scene veraͤnderte.
Siebentes Capitel.
Fortſezung der Erzaͤhlung der Pſyche.
Narciſſus, ſo hieß dieſer junge Herr, war von ſei-
ner Mutter nach Athen geſchikt worden, die Weiſen
daſelbſt zu hoͤren, und die feinen Sitten der Athenienſer
an ſich zu nehmen. Allein er hatte keine Zeit gefun-
den, weder das eine noch das andre zu thun. Einige
junge Leute, die er ſeine Freunde nannte, machten je-
den Tag eine neue Luſtbarkeit ausfuͤndig, die ihn ver-
hinderte, die ſchwermuͤthigen Spaziergaͤnge der Philo-
ſophen zu beſuchen. Ueberdas hatten ihm die artig-
ſten Straͤuſſermaͤdchen von Athen geſagt, daß er ein ſehr
liebenswuͤrdiger junger Herr waͤre; er hatte es ihnen
geglaubt, und ſich alſo keine Muͤhe gegeben, erſt zu wer-
den, was er nach einem ſo vollguͤltigen Zeugniß, ſchon
war. Er hatte ſich alſo mit nichts beſchaͤftiget, als ſei-
ne Perſon in das gehoͤrige Licht zu ſetzen; niemand in
Athen konnte ſich ruͤhmen laͤcherlicher gepuzt zu ſeyn,
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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/41>, abgerufen am 23.04.2021.
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