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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.

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Agathon,
plaz von unbekannten Schönheiten sich vor mir auf-
that; es war nur ein Augenblik, aber ein Augen-
blik, den ich um eines von den Jahren des Königs
von Persien nicht vertauschen wollte.
Hippias (lächelt.)
Agathon.
Dieses brachte mich hernach auf die Gedanken, wie
glüklich der Zustand der Geister sey, die den groben
thierischen Leib abgelegt haben, und im Anschauen
des wesentlichen Schönen, des Unvergänglichen, Ewi-
gen und Göttlichen, Jahrtausende durchleben, die ih-
nen nicht länger scheinen als mir dieser Augeublik;
und in den Betrachtungen, denen ich hierüber nach-
hieng, bin ich von dir überraschet worden.
Hippias.
Du schliefst doch nicht, Callias; du hast wie ich se-
he, mehr Talente als du nöthig hast; du kanst auch
wachend träumen?
Agathon.
Es giebt vielerley Arten von Träumen, und bey eini-
gen Menschen scheint ihr ganzes Leben Traum zu seyn;
wenn dieses Träume sind, so sind sie wenigstens an-
genehmer als alles, was ich in dieser Zeit wachend
hätte erfahren können.
Hippias.
Du gedenkest also vielleicht einer von diesen Geistern
zu werden, die du so glüklich preisest?
Agathon
Agathon,
plaz von unbekannten Schoͤnheiten ſich vor mir auf-
that; es war nur ein Augenblik, aber ein Augen-
blik, den ich um eines von den Jahren des Koͤnigs
von Perſien nicht vertauſchen wollte.
Hippias (laͤchelt.)
Agathon.
Dieſes brachte mich hernach auf die Gedanken, wie
gluͤklich der Zuſtand der Geiſter ſey, die den groben
thieriſchen Leib abgelegt haben, und im Anſchauen
des weſentlichen Schoͤnen, des Unvergaͤnglichen, Ewi-
gen und Goͤttlichen, Jahrtauſende durchleben, die ih-
nen nicht laͤnger ſcheinen als mir dieſer Augeublik;
und in den Betrachtungen, denen ich hieruͤber nach-
hieng, bin ich von dir uͤberraſchet worden.
Hippias.
Du ſchliefſt doch nicht, Callias; du haſt wie ich ſe-
he, mehr Talente als du noͤthig haſt; du kanſt auch
wachend traͤumen?
Agathon.
Es giebt vielerley Arten von Traͤumen, und bey eini-
gen Menſchen ſcheint ihr ganzes Leben Traum zu ſeyn;
wenn dieſes Traͤume ſind, ſo ſind ſie wenigſtens an-
genehmer als alles, was ich in dieſer Zeit wachend
haͤtte erfahren koͤnnen.
Hippias.
Du gedenkeſt alſo vielleicht einer von dieſen Geiſtern
zu werden, die du ſo gluͤklich preiſeſt?
Agathon
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[58/0080] Agathon, plaz von unbekannten Schoͤnheiten ſich vor mir auf- that; es war nur ein Augenblik, aber ein Augen- blik, den ich um eines von den Jahren des Koͤnigs von Perſien nicht vertauſchen wollte. Hippias (laͤchelt.) Agathon. Dieſes brachte mich hernach auf die Gedanken, wie gluͤklich der Zuſtand der Geiſter ſey, die den groben thieriſchen Leib abgelegt haben, und im Anſchauen des weſentlichen Schoͤnen, des Unvergaͤnglichen, Ewi- gen und Goͤttlichen, Jahrtauſende durchleben, die ih- nen nicht laͤnger ſcheinen als mir dieſer Augeublik; und in den Betrachtungen, denen ich hieruͤber nach- hieng, bin ich von dir uͤberraſchet worden. Hippias. Du ſchliefſt doch nicht, Callias; du haſt wie ich ſe- he, mehr Talente als du noͤthig haſt; du kanſt auch wachend traͤumen? Agathon. Es giebt vielerley Arten von Traͤumen, und bey eini- gen Menſchen ſcheint ihr ganzes Leben Traum zu ſeyn; wenn dieſes Traͤume ſind, ſo ſind ſie wenigſtens an- genehmer als alles, was ich in dieſer Zeit wachend haͤtte erfahren koͤnnen. Hippias. Du gedenkeſt alſo vielleicht einer von dieſen Geiſtern zu werden, die du ſo gluͤklich preiſeſt? Agathon

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon01_1766/80>, abgerufen am 16.04.2024.