Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Agathon.
so nah als möglich an die Platonische Republik gränzte --
und verfehlte darüber, zu seinem eignen Untergang,
die Mittel, ihr diejenige zu geben, deren sie fähig war.
Brutus half den Grössesten der Sterblichen, den Fähig-
sten, eine ganze Welt zu regieren, der jemals geboh-
ren worden ist, ermorden; weil ihm, in Rüksicht auf
die Mittel wodurch er zur höchsten Gewalt gelanget
war, die Definition eines Tyrannen zukam. Brutus
wollte die Republik wiederherstellen. Noch einen Dolch
für den Marcus Antonius, (wie es der nicht so erha-
ben aber richtiger denkende Cassius verlangte) so wären
Ströme von Blut, so wäre das edelste Blut von Rom,
das kostbare Leben der besten Bürger gesparet worden,
und der glükliche Ausgang der ganzen Unternehmung
versichert gewesen. Hätte sich derjenige, der dem ver-
meynten allgemeinen Besten seines Vaterlandes ein so
grosses Opfer gebracht hatte als Cäsar war, ein Be-
denken machen sollen, seinem majestätischen Schatten
einen Antonius nachzuschiken? --- Um eine That,
welche, ohne Succeß wie sie blieb, in den Augen sei-
ner Zeitgenossen ein verabscheuungswürdiger Meuchel-
mord war, und der unpartheyischern Nachwelt im ge-
lindesten Lichte betrachtet, wahnsinniger Enthusiasmus
scheinen muß, zu einer so glorreichen Unternehmung
zu machen, als jemals die grosse Seele eines Römers
geschwellt hatte. Aber Brutus hatte Bedenklichkeiten,
welche ihm eine unzeitige Güte eingab; sein Ausehen
entschied; Antonius bedankte sich für sein Leben, und
begrub den Platonischen Brutus unter den Trümmern,

der

Agathon.
ſo nah als moͤglich an die Platoniſche Republik graͤnzte —
und verfehlte daruͤber, zu ſeinem eignen Untergang,
die Mittel, ihr diejenige zu geben, deren ſie faͤhig war.
Brutus half den Groͤſſeſten der Sterblichen, den Faͤhig-
ſten, eine ganze Welt zu regieren, der jemals geboh-
ren worden iſt, ermorden; weil ihm, in Ruͤkſicht auf
die Mittel wodurch er zur hoͤchſten Gewalt gelanget
war, die Definition eines Tyrannen zukam. Brutus
wollte die Republik wiederherſtellen. Noch einen Dolch
fuͤr den Marcus Antonius, (wie es der nicht ſo erha-
ben aber richtiger denkende Caſſius verlangte) ſo waͤren
Stroͤme von Blut, ſo waͤre das edelſte Blut von Rom,
das koſtbare Leben der beſten Buͤrger geſparet worden,
und der gluͤkliche Ausgang der ganzen Unternehmung
verſichert geweſen. Haͤtte ſich derjenige, der dem ver-
meynten allgemeinen Beſten ſeines Vaterlandes ein ſo
groſſes Opfer gebracht hatte als Caͤſar war, ein Be-
denken machen ſollen, ſeinem majeſtaͤtiſchen Schatten
einen Antonius nachzuſchiken? ‒‒‒ Um eine That,
welche, ohne Succeß wie ſie blieb, in den Augen ſei-
ner Zeitgenoſſen ein verabſcheuungswuͤrdiger Meuchel-
mord war, und der unpartheyiſchern Nachwelt im ge-
lindeſten Lichte betrachtet, wahnſinniger Enthuſiasmus
ſcheinen muß, zu einer ſo glorreichen Unternehmung
zu machen, als jemals die groſſe Seele eines Roͤmers
geſchwellt hatte. Aber Brutus hatte Bedenklichkeiten,
welche ihm eine unzeitige Guͤte eingab; ſein Auſehen
entſchied; Antonius bedankte ſich fuͤr ſein Leben, und
begrub den Platoniſchen Brutus unter den Truͤmmern,

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="98"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Agathon.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;o nah als mo&#x0364;glich an die Platoni&#x017F;che Republik gra&#x0364;nzte &#x2014;<lb/>
und verfehlte daru&#x0364;ber, zu &#x017F;einem eignen Untergang,<lb/>
die Mittel, ihr diejenige zu geben, deren &#x017F;ie fa&#x0364;hig war.<lb/>
Brutus half den Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten der Sterblichen, den Fa&#x0364;hig-<lb/>
&#x017F;ten, eine ganze Welt zu regieren, der jemals geboh-<lb/>
ren worden i&#x017F;t, ermorden; weil ihm, in Ru&#x0364;k&#x017F;icht auf<lb/>
die Mittel wodurch er zur ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt gelanget<lb/>
war, die Definition eines Tyrannen zukam. Brutus<lb/>
wollte die Republik wiederher&#x017F;tellen. Noch einen Dolch<lb/>
fu&#x0364;r den Marcus Antonius, (wie es der nicht &#x017F;o erha-<lb/>
ben aber richtiger denkende Ca&#x017F;&#x017F;ius verlangte) &#x017F;o wa&#x0364;ren<lb/>
Stro&#x0364;me von Blut, &#x017F;o wa&#x0364;re das edel&#x017F;te Blut von Rom,<lb/>
das ko&#x017F;tbare Leben der be&#x017F;ten Bu&#x0364;rger ge&#x017F;paret worden,<lb/>
und der glu&#x0364;kliche Ausgang der ganzen Unternehmung<lb/>
ver&#x017F;ichert gewe&#x017F;en. Ha&#x0364;tte &#x017F;ich derjenige, der dem ver-<lb/>
meynten allgemeinen Be&#x017F;ten &#x017F;eines Vaterlandes ein &#x017F;o<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;es Opfer gebracht hatte als Ca&#x0364;&#x017F;ar war, ein Be-<lb/>
denken machen &#x017F;ollen, &#x017F;einem maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;chen Schatten<lb/>
einen Antonius nachzu&#x017F;chiken? &#x2012;&#x2012;&#x2012; Um eine That,<lb/>
welche, ohne Succeß wie &#x017F;ie blieb, in den Augen &#x017F;ei-<lb/>
ner Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en ein verab&#x017F;cheuungswu&#x0364;rdiger Meuchel-<lb/>
mord war, und der unpartheyi&#x017F;chern Nachwelt im ge-<lb/>
linde&#x017F;ten Lichte betrachtet, wahn&#x017F;inniger Enthu&#x017F;iasmus<lb/>
&#x017F;cheinen muß, zu einer &#x017F;o glorreichen Unternehmung<lb/>
zu machen, als jemals die gro&#x017F;&#x017F;e Seele eines Ro&#x0364;mers<lb/>
ge&#x017F;chwellt hatte. Aber Brutus hatte Bedenklichkeiten,<lb/>
welche ihm eine unzeitige Gu&#x0364;te eingab; &#x017F;ein Au&#x017F;ehen<lb/>
ent&#x017F;chied; Antonius bedankte &#x017F;ich fu&#x0364;r &#x017F;ein Leben, und<lb/>
begrub den Platoni&#x017F;chen Brutus unter den Tru&#x0364;mmern,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0100] Agathon. ſo nah als moͤglich an die Platoniſche Republik graͤnzte — und verfehlte daruͤber, zu ſeinem eignen Untergang, die Mittel, ihr diejenige zu geben, deren ſie faͤhig war. Brutus half den Groͤſſeſten der Sterblichen, den Faͤhig- ſten, eine ganze Welt zu regieren, der jemals geboh- ren worden iſt, ermorden; weil ihm, in Ruͤkſicht auf die Mittel wodurch er zur hoͤchſten Gewalt gelanget war, die Definition eines Tyrannen zukam. Brutus wollte die Republik wiederherſtellen. Noch einen Dolch fuͤr den Marcus Antonius, (wie es der nicht ſo erha- ben aber richtiger denkende Caſſius verlangte) ſo waͤren Stroͤme von Blut, ſo waͤre das edelſte Blut von Rom, das koſtbare Leben der beſten Buͤrger geſparet worden, und der gluͤkliche Ausgang der ganzen Unternehmung verſichert geweſen. Haͤtte ſich derjenige, der dem ver- meynten allgemeinen Beſten ſeines Vaterlandes ein ſo groſſes Opfer gebracht hatte als Caͤſar war, ein Be- denken machen ſollen, ſeinem majeſtaͤtiſchen Schatten einen Antonius nachzuſchiken? ‒‒‒ Um eine That, welche, ohne Succeß wie ſie blieb, in den Augen ſei- ner Zeitgenoſſen ein verabſcheuungswuͤrdiger Meuchel- mord war, und der unpartheyiſchern Nachwelt im ge- lindeſten Lichte betrachtet, wahnſinniger Enthuſiasmus ſcheinen muß, zu einer ſo glorreichen Unternehmung zu machen, als jemals die groſſe Seele eines Roͤmers geſchwellt hatte. Aber Brutus hatte Bedenklichkeiten, welche ihm eine unzeitige Guͤte eingab; ſein Auſehen entſchied; Antonius bedankte ſich fuͤr ſein Leben, und begrub den Platoniſchen Brutus unter den Truͤmmern, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/100
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/100>, abgerufen am 23.04.2024.