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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Neuntes Buch, drittes Capitel.
sey. Diesem nach hielt er sich seiner Verbesserung ver-
sichert, wenn er die beste Gesellschaft um ihn her ver-
sammeln, und ihm diese edle Wissensbegierde einflössen
könnte, welche bey denenjenigen, die von ihr begeistert
sind, die animalischen Triebe wo nicht gänzlich zu unter-
drüken, doch gewiß zu dämmen und zu mässigen pflegt.
Er ließ also keine Gelegenheit vorbey (und die unzäh-
lichen Fehler, welche täglich in der Staats-Verwaltung
gemacht wurden, gaben ihm Gelegenheit genug) dem
Tyrannen die Nothwendigkeit vorzustellen, Männer von
einem grossen Ruf der Weisheit um sich zu haben; und
er führte so viele Beweggründe an, daß er, unter einer
Menge sehr erhabener, die an einem Dionysius verloh-
ren giengen, endlich auch den einzigen traf, der seine
Eitelkeit interessierte. Doch selbst dieser schlüpfte nur
leicht an seinen Ohren hin, und ob er gleich dem Dion
immer Recht gab, und die besondern Unterredungen,
welche sie über dergleichen Materien hatten, allemal mit
der Versicherung beschloß, daß er nicht ermangeln werde,
von so gutem Rath, Gebrauch zu machen; so würde
doch schwerlich jemals mit Ernst daran gedacht worden
seyn, wenn nicht ein kleiner physicalischer Umstand dazu
gekommen wäre, der den Vorstellungen des weisen Dion
eine Stärke gab, die nicht ihre eigene war.

Dionysius hatte, man weiß nicht aus welcher Veran-
lassung, seinem Hof, der an Glanz und verschwenderi-
scher Ueppigkeit es mit den Asiatischen aufnehmen konnte,
ein Fest gegeben, welches, nach der Versicherung der

Geschicht-
G 4

Neuntes Buch, drittes Capitel.
ſey. Dieſem nach hielt er ſich ſeiner Verbeſſerung ver-
ſichert, wenn er die beſte Geſellſchaft um ihn her ver-
ſammeln, und ihm dieſe edle Wiſſensbegierde einfloͤſſen
koͤnnte, welche bey denenjenigen, die von ihr begeiſtert
ſind, die animaliſchen Triebe wo nicht gaͤnzlich zu unter-
druͤken, doch gewiß zu daͤmmen und zu maͤſſigen pflegt.
Er ließ alſo keine Gelegenheit vorbey (und die unzaͤh-
lichen Fehler, welche taͤglich in der Staats-Verwaltung
gemacht wurden, gaben ihm Gelegenheit genug) dem
Tyrannen die Nothwendigkeit vorzuſtellen, Maͤnner von
einem groſſen Ruf der Weisheit um ſich zu haben; und
er fuͤhrte ſo viele Beweggruͤnde an, daß er, unter einer
Menge ſehr erhabener, die an einem Dionyſius verloh-
ren giengen, endlich auch den einzigen traf, der ſeine
Eitelkeit intereſſierte. Doch ſelbſt dieſer ſchluͤpfte nur
leicht an ſeinen Ohren hin, und ob er gleich dem Dion
immer Recht gab, und die beſondern Unterredungen,
welche ſie uͤber dergleichen Materien hatten, allemal mit
der Verſicherung beſchloß, daß er nicht ermangeln werde,
von ſo gutem Rath, Gebrauch zu machen; ſo wuͤrde
doch ſchwerlich jemals mit Ernſt daran gedacht worden
ſeyn, wenn nicht ein kleiner phyſicaliſcher Umſtand dazu
gekommen waͤre, der den Vorſtellungen des weiſen Dion
eine Staͤrke gab, die nicht ihre eigene war.

Dionyſius hatte, man weiß nicht aus welcher Veran-
laſſung, ſeinem Hof, der an Glanz und verſchwenderi-
ſcher Ueppigkeit es mit den Aſiatiſchen aufnehmen konnte,
ein Feſt gegeben, welches, nach der Verſicherung der

Geſchicht-
G 4
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[103/0105] Neuntes Buch, drittes Capitel. ſey. Dieſem nach hielt er ſich ſeiner Verbeſſerung ver- ſichert, wenn er die beſte Geſellſchaft um ihn her ver- ſammeln, und ihm dieſe edle Wiſſensbegierde einfloͤſſen koͤnnte, welche bey denenjenigen, die von ihr begeiſtert ſind, die animaliſchen Triebe wo nicht gaͤnzlich zu unter- druͤken, doch gewiß zu daͤmmen und zu maͤſſigen pflegt. Er ließ alſo keine Gelegenheit vorbey (und die unzaͤh- lichen Fehler, welche taͤglich in der Staats-Verwaltung gemacht wurden, gaben ihm Gelegenheit genug) dem Tyrannen die Nothwendigkeit vorzuſtellen, Maͤnner von einem groſſen Ruf der Weisheit um ſich zu haben; und er fuͤhrte ſo viele Beweggruͤnde an, daß er, unter einer Menge ſehr erhabener, die an einem Dionyſius verloh- ren giengen, endlich auch den einzigen traf, der ſeine Eitelkeit intereſſierte. Doch ſelbſt dieſer ſchluͤpfte nur leicht an ſeinen Ohren hin, und ob er gleich dem Dion immer Recht gab, und die beſondern Unterredungen, welche ſie uͤber dergleichen Materien hatten, allemal mit der Verſicherung beſchloß, daß er nicht ermangeln werde, von ſo gutem Rath, Gebrauch zu machen; ſo wuͤrde doch ſchwerlich jemals mit Ernſt daran gedacht worden ſeyn, wenn nicht ein kleiner phyſicaliſcher Umſtand dazu gekommen waͤre, der den Vorſtellungen des weiſen Dion eine Staͤrke gab, die nicht ihre eigene war. Dionyſius hatte, man weiß nicht aus welcher Veran- laſſung, ſeinem Hof, der an Glanz und verſchwenderi- ſcher Ueppigkeit es mit den Aſiatiſchen aufnehmen konnte, ein Feſt gegeben, welches, nach der Verſicherung der Geſchicht- G 4

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/105>, abgerufen am 29.03.2024.