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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
gnügen, ohne einen Plato dazu nöthig zu haben, sich
mitten an seinem Hofe eine Academie für seinen eignen
Leib zu errichten, deren Vorsteher und Apollo er selbst
zu seyn würdigte, und in welcher über die Gerechtig-
keit, über die Grenzen des Guten und Bösen, über
die Quelle der Geseze, über das Schöne, über die Natur
der Seele, der Welt und der Götter, und andere solche
Materien, welche nach den gewöhnlichen Begriffen der
Weltleute zu nichts als zur Conversation gut sind, mit
so vieler Schwazhaftigkeit, mit so viel Subtilität und
so wenig gesunder Vernunft disputirt wurde, als es in
irgend einer Schule der Weisheit der damaligen Zeiten
zu geschehen pflegte. Er hatte das Vergnügen sich be-
wundern, und wegen einer Menge von Tugenden und
Helden-Eigeuschaften lobpreisen zu hören, die er sich
selbst niemals zugetrant hätte. Seine Philosophen
waren keine Leute, die, wie Plato, sich herausge-
nommen hätten, ihn hofmeistern, und lehren zu wol-
len, wie er zuerst sich selbst, und dann seinen Staat
regieren müsse. Der strengeste unter ihnen war zu höf-
lich, etwas an seiner Lebensart auszusezen, und alle
waren bereit es einem jeden Zweifler sonnenklar zu be-
weisen, daß ein Tyrann, der Zueignungs-Schriften,
und Lobgedichte so gut bezahlte, so gastfrey war, und
seine getreuen Unterthanen durch den Anblik so vieler
Feste und Lustbarkeiten glüklich machte, der würdigste
unter allen Königen seyn müsse.

Jn

Agathon.
gnuͤgen, ohne einen Plato dazu noͤthig zu haben, ſich
mitten an ſeinem Hofe eine Academie fuͤr ſeinen eignen
Leib zu errichten, deren Vorſteher und Apollo er ſelbſt
zu ſeyn wuͤrdigte, und in welcher uͤber die Gerechtig-
keit, uͤber die Grenzen des Guten und Boͤſen, uͤber
die Quelle der Geſeze, uͤber das Schoͤne, uͤber die Natur
der Seele, der Welt und der Goͤtter, und andere ſolche
Materien, welche nach den gewoͤhnlichen Begriffen der
Weltleute zu nichts als zur Converſation gut ſind, mit
ſo vieler Schwazhaftigkeit, mit ſo viel Subtilitaͤt und
ſo wenig geſunder Vernunft diſputirt wurde, als es in
irgend einer Schule der Weisheit der damaligen Zeiten
zu geſchehen pflegte. Er hatte das Vergnuͤgen ſich be-
wundern, und wegen einer Menge von Tugenden und
Helden-Eigeuſchaften lobpreiſen zu hoͤren, die er ſich
ſelbſt niemals zugetrant haͤtte. Seine Philoſophen
waren keine Leute, die, wie Plato, ſich herausge-
nommen haͤtten, ihn hofmeiſtern, und lehren zu wol-
len, wie er zuerſt ſich ſelbſt, und dann ſeinen Staat
regieren muͤſſe. Der ſtrengeſte unter ihnen war zu hoͤf-
lich, etwas an ſeiner Lebensart auszuſezen, und alle
waren bereit es einem jeden Zweifler ſonnenklar zu be-
weiſen, daß ein Tyrann, der Zueignungs-Schriften,
und Lobgedichte ſo gut bezahlte, ſo gaſtfrey war, und
ſeine getreuen Unterthanen durch den Anblik ſo vieler
Feſte und Luſtbarkeiten gluͤklich machte, der wuͤrdigſte
unter allen Koͤnigen ſeyn muͤſſe.

Jn
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[152/0154] Agathon. gnuͤgen, ohne einen Plato dazu noͤthig zu haben, ſich mitten an ſeinem Hofe eine Academie fuͤr ſeinen eignen Leib zu errichten, deren Vorſteher und Apollo er ſelbſt zu ſeyn wuͤrdigte, und in welcher uͤber die Gerechtig- keit, uͤber die Grenzen des Guten und Boͤſen, uͤber die Quelle der Geſeze, uͤber das Schoͤne, uͤber die Natur der Seele, der Welt und der Goͤtter, und andere ſolche Materien, welche nach den gewoͤhnlichen Begriffen der Weltleute zu nichts als zur Converſation gut ſind, mit ſo vieler Schwazhaftigkeit, mit ſo viel Subtilitaͤt und ſo wenig geſunder Vernunft diſputirt wurde, als es in irgend einer Schule der Weisheit der damaligen Zeiten zu geſchehen pflegte. Er hatte das Vergnuͤgen ſich be- wundern, und wegen einer Menge von Tugenden und Helden-Eigeuſchaften lobpreiſen zu hoͤren, die er ſich ſelbſt niemals zugetrant haͤtte. Seine Philoſophen waren keine Leute, die, wie Plato, ſich herausge- nommen haͤtten, ihn hofmeiſtern, und lehren zu wol- len, wie er zuerſt ſich ſelbſt, und dann ſeinen Staat regieren muͤſſe. Der ſtrengeſte unter ihnen war zu hoͤf- lich, etwas an ſeiner Lebensart auszuſezen, und alle waren bereit es einem jeden Zweifler ſonnenklar zu be- weiſen, daß ein Tyrann, der Zueignungs-Schriften, und Lobgedichte ſo gut bezahlte, ſo gaſtfrey war, und ſeine getreuen Unterthanen durch den Anblik ſo vieler Feſte und Luſtbarkeiten gluͤklich machte, der wuͤrdigſte unter allen Koͤnigen ſeyn muͤſſe. Jn

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/154>, abgerufen am 29.03.2024.