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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, zweytes Capitel.
sich leer, weil sie allzuvoll war; er schrieb dieses der Ab-
wesenheit seiner Freundin zu; er fühlte daß sie ihm man-
gelte, und dachte nicht daran, daß er sie weniger ver-
mißt haben würde, wenn die Nerven seines Geistes
durch die Gewohnheit einer wollüstigen Passivität nicht
eingeschläfert worden wären. Die ersten Tage schlichen
für ihn in einer Art von zärtlicher Melancholie vorbey,
welche nicht ohne Anmuth war. Danae war beynahe
der einzige Gegenstand, womit seine in sich selbst zurükge-
zogene Seele sich beschäftigte; oder wenn seine Erinne-
rung in vorhergehende Zeiten zurük gieng, wenn sie ihm
das Bild seiner Psyche, oder die schimmernden Auf-
tritte seines Republicanischen Lebens vorhielt, so war
es nur, um den Werth der unvergleichlichen Danae und
die ruhige Glükseligkeit eines allein der Liebe, der Freund-
schaft, den Musen, und den Göttinnen der Freude ge-
weyhten Privatlebens in ein höheres Licht zu sezen.
Seine Liebe belebte sich aufs neue. Sie verbreitete wie-
der diese begeisterude Wärme durch sein Wesen, welche
die Triebfedern des Herzens und der Einbildungs-Kraft
so harmonisch zusammenspielen macht. Er entwarf sich
die Jdee einer Lebens-Art, welche (Dank seiner
dichterischen Phantasie!) mehr das Leben eines Gottes,
als eines Sterblichen schien. Danae glänzte darinn
aus einem Himmel von lachenden Bildern der Freude
und Glükseligkeit hervor. Entzükt von diesen angeneh-
men Träumen, beschloß er bey sich selbst, sein Schik-
sal auf immer mit dem ihrigen zu vereinigen. Er hielt

sie

Achtes Buch, zweytes Capitel.
ſich leer, weil ſie allzuvoll war; er ſchrieb dieſes der Ab-
weſenheit ſeiner Freundin zu; er fuͤhlte daß ſie ihm man-
gelte, und dachte nicht daran, daß er ſie weniger ver-
mißt haben wuͤrde, wenn die Nerven ſeines Geiſtes
durch die Gewohnheit einer wolluͤſtigen Paſſivitaͤt nicht
eingeſchlaͤfert worden waͤren. Die erſten Tage ſchlichen
fuͤr ihn in einer Art von zaͤrtlicher Melancholie vorbey,
welche nicht ohne Anmuth war. Danae war beynahe
der einzige Gegenſtand, womit ſeine in ſich ſelbſt zuruͤkge-
zogene Seele ſich beſchaͤftigte; oder wenn ſeine Erinne-
rung in vorhergehende Zeiten zuruͤk gieng, wenn ſie ihm
das Bild ſeiner Pſyche, oder die ſchimmernden Auf-
tritte ſeines Republicaniſchen Lebens vorhielt, ſo war
es nur, um den Werth der unvergleichlichen Danae und
die ruhige Gluͤkſeligkeit eines allein der Liebe, der Freund-
ſchaft, den Muſen, und den Goͤttinnen der Freude ge-
weyhten Privatlebens in ein hoͤheres Licht zu ſezen.
Seine Liebe belebte ſich aufs neue. Sie verbreitete wie-
der dieſe begeiſterude Waͤrme durch ſein Weſen, welche
die Triebfedern des Herzens und der Einbildungs-Kraft
ſo harmoniſch zuſammenſpielen macht. Er entwarf ſich
die Jdee einer Lebens-Art, welche (Dank ſeiner
dichteriſchen Phantaſie!) mehr das Leben eines Gottes,
als eines Sterblichen ſchien. Danae glaͤnzte darinn
aus einem Himmel von lachenden Bildern der Freude
und Gluͤkſeligkeit hervor. Entzuͤkt von dieſen angeneh-
men Traͤumen, beſchloß er bey ſich ſelbſt, ſein Schik-
ſal auf immer mit dem ihrigen zu vereinigen. Er hielt

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[15/0017] Achtes Buch, zweytes Capitel. ſich leer, weil ſie allzuvoll war; er ſchrieb dieſes der Ab- weſenheit ſeiner Freundin zu; er fuͤhlte daß ſie ihm man- gelte, und dachte nicht daran, daß er ſie weniger ver- mißt haben wuͤrde, wenn die Nerven ſeines Geiſtes durch die Gewohnheit einer wolluͤſtigen Paſſivitaͤt nicht eingeſchlaͤfert worden waͤren. Die erſten Tage ſchlichen fuͤr ihn in einer Art von zaͤrtlicher Melancholie vorbey, welche nicht ohne Anmuth war. Danae war beynahe der einzige Gegenſtand, womit ſeine in ſich ſelbſt zuruͤkge- zogene Seele ſich beſchaͤftigte; oder wenn ſeine Erinne- rung in vorhergehende Zeiten zuruͤk gieng, wenn ſie ihm das Bild ſeiner Pſyche, oder die ſchimmernden Auf- tritte ſeines Republicaniſchen Lebens vorhielt, ſo war es nur, um den Werth der unvergleichlichen Danae und die ruhige Gluͤkſeligkeit eines allein der Liebe, der Freund- ſchaft, den Muſen, und den Goͤttinnen der Freude ge- weyhten Privatlebens in ein hoͤheres Licht zu ſezen. Seine Liebe belebte ſich aufs neue. Sie verbreitete wie- der dieſe begeiſterude Waͤrme durch ſein Weſen, welche die Triebfedern des Herzens und der Einbildungs-Kraft ſo harmoniſch zuſammenſpielen macht. Er entwarf ſich die Jdee einer Lebens-Art, welche (Dank ſeiner dichteriſchen Phantaſie!) mehr das Leben eines Gottes, als eines Sterblichen ſchien. Danae glaͤnzte darinn aus einem Himmel von lachenden Bildern der Freude und Gluͤkſeligkeit hervor. Entzuͤkt von dieſen angeneh- men Traͤumen, beſchloß er bey ſich ſelbſt, ſein Schik- ſal auf immer mit dem ihrigen zu vereinigen. Er hielt ſie

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/17>, abgerufen am 29.03.2024.