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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Achtes Buch, drittes Capitel.
welche ihm damals ganz gleichgültig gewesen waren,
schienen ihm izt eine geheime Bedeutung gehabt zu haben.
Er besann sich, er verglich und combinierte so lange, bis
es ihm ganz glaublich vorkam, daß alles was bey dem er-
sten Besuche den er ihr mit Hippias gemacht, bis zu seinem
Uebergang in ihre Dienste vorgegangen, die Folgen eines
zwischen ihr und dem Sophisten abgeredeten Plans ge-
wesen seyen. Wie sehr vergiftete dieser Gedanke alles
was sie für ihn gethan hatte! wie gänzlich benahm er
ihren Handlungen diese Schönheit und Grazie, die ihn
so sehr bezaubert hatte! Er sah nun in diesem vermeyn-
ten Urbild einer jeden idealen Vollkommenheit nichts mehr
als eine schlaue Buhlerin, welche von einer grossen Fer-
tigkeit in der Kunst die Herzen zu bestriken den Vortheil
über seine Unschuld erhalten hatte! Wie verächtlich kamen
ihm izt diese Gunstbezeugungen vor, welche ihm so kost-
bar gewesen waren, so lang er sie für Ergiessungen eines
für ihn allein empfindlichen Herzens angesehen hatte!
Wie verächtlich diese Freuden, die ihn in jenem glük-
lichen Stande der Bezauberung den Göttern gleich ge-
macht! Wie zürnte er izt über sich selbst, daß er thöricht
genug hatte seyn können, in ein so sichtbares, so hand-
greifliches Nez sich verwikeln zu lassen!

Das Bild der liebenswürdigen Psyche konnte sich ihm
zu keiner ungelegnern Zeit für Danae darstellen als izt.
Aber es war natürlich, daß es sich darstellte; und wie
blendend war das Licht, worinn sie ihm izt erschien!

Wie

Achtes Buch, drittes Capitel.
welche ihm damals ganz gleichguͤltig geweſen waren,
ſchienen ihm izt eine geheime Bedeutung gehabt zu haben.
Er beſann ſich, er verglich und combinierte ſo lange, bis
es ihm ganz glaublich vorkam, daß alles was bey dem er-
ſten Beſuche den er ihr mit Hippias gemacht, bis zu ſeinem
Uebergang in ihre Dienſte vorgegangen, die Folgen eines
zwiſchen ihr und dem Sophiſten abgeredeten Plans ge-
weſen ſeyen. Wie ſehr vergiftete dieſer Gedanke alles
was ſie fuͤr ihn gethan hatte! wie gaͤnzlich benahm er
ihren Handlungen dieſe Schoͤnheit und Grazie, die ihn
ſo ſehr bezaubert hatte! Er ſah nun in dieſem vermeyn-
ten Urbild einer jeden idealen Vollkommenheit nichts mehr
als eine ſchlaue Buhlerin, welche von einer groſſen Fer-
tigkeit in der Kunſt die Herzen zu beſtriken den Vortheil
uͤber ſeine Unſchuld erhalten hatte! Wie veraͤchtlich kamen
ihm izt dieſe Gunſtbezeugungen vor, welche ihm ſo koſt-
bar geweſen waren, ſo lang er ſie fuͤr Ergieſſungen eines
fuͤr ihn allein empfindlichen Herzens angeſehen hatte!
Wie veraͤchtlich dieſe Freuden, die ihn in jenem gluͤk-
lichen Stande der Bezauberung den Goͤttern gleich ge-
macht! Wie zuͤrnte er izt uͤber ſich ſelbſt, daß er thoͤricht
genug hatte ſeyn koͤnnen, in ein ſo ſichtbares, ſo hand-
greifliches Nez ſich verwikeln zu laſſen!

Das Bild der liebenswuͤrdigen Pſyche konnte ſich ihm
zu keiner ungelegnern Zeit fuͤr Danae darſtellen als izt.
Aber es war natuͤrlich, daß es ſich darſtellte; und wie
blendend war das Licht, worinn ſie ihm izt erſchien!

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[27/0029] Achtes Buch, drittes Capitel. welche ihm damals ganz gleichguͤltig geweſen waren, ſchienen ihm izt eine geheime Bedeutung gehabt zu haben. Er beſann ſich, er verglich und combinierte ſo lange, bis es ihm ganz glaublich vorkam, daß alles was bey dem er- ſten Beſuche den er ihr mit Hippias gemacht, bis zu ſeinem Uebergang in ihre Dienſte vorgegangen, die Folgen eines zwiſchen ihr und dem Sophiſten abgeredeten Plans ge- weſen ſeyen. Wie ſehr vergiftete dieſer Gedanke alles was ſie fuͤr ihn gethan hatte! wie gaͤnzlich benahm er ihren Handlungen dieſe Schoͤnheit und Grazie, die ihn ſo ſehr bezaubert hatte! Er ſah nun in dieſem vermeyn- ten Urbild einer jeden idealen Vollkommenheit nichts mehr als eine ſchlaue Buhlerin, welche von einer groſſen Fer- tigkeit in der Kunſt die Herzen zu beſtriken den Vortheil uͤber ſeine Unſchuld erhalten hatte! Wie veraͤchtlich kamen ihm izt dieſe Gunſtbezeugungen vor, welche ihm ſo koſt- bar geweſen waren, ſo lang er ſie fuͤr Ergieſſungen eines fuͤr ihn allein empfindlichen Herzens angeſehen hatte! Wie veraͤchtlich dieſe Freuden, die ihn in jenem gluͤk- lichen Stande der Bezauberung den Goͤttern gleich ge- macht! Wie zuͤrnte er izt uͤber ſich ſelbſt, daß er thoͤricht genug hatte ſeyn koͤnnen, in ein ſo ſichtbares, ſo hand- greifliches Nez ſich verwikeln zu laſſen! Das Bild der liebenswuͤrdigen Pſyche konnte ſich ihm zu keiner ungelegnern Zeit fuͤr Danae darſtellen als izt. Aber es war natuͤrlich, daß es ſich darſtellte; und wie blendend war das Licht, worinn ſie ihm izt erſchien! Wie

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/29>, abgerufen am 29.03.2024.