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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
die Leiber seiner Sclaven geherrschet, als dieser ehr-
würdige Greis über die Herzen eines freyen Volkes;
niemals ist der beste Vater von seinen Kindern zärtli-
cher geliebt worden. Glükliches Volk! welches von
einem Archytas geregiert wurde, und den ganzen Werth
dieses Glüks so wol zu schäzen wußte! -- Und glüklicher
Agathon, der in einem solchen Mann einen Beschüzer,
einen Freund, und einen zweyten Vater fand.

Drittes Capitel.
Eine unverhofte Entdekung.

Archytas hatte zwey Söhne, deren wetteifernde Tu-
gend die seltene und verdiente Glükseligkeit seines Alters
vollkommen machte. Diese liebenswürdige Familie lebte
in einer Harmonie beysammen, deren Anblik unsern
Helden in die selige Einfalt und Unschuld des goldnen
Alters versezte. Niemals hatte er eine so schöne Ord-
nung, eine so vollkommne Eintracht, ein so regelmäs-
siges und schönes Ganzes gesehen, als das Haus des
weisen Archytas darstellte. Alle Hausgenossen, bis auf
die unterste Classe der Bedienten, waren eines solchen
Hausvaters würdig. Jedes schien für den Plaz, den
es einnahm, ausdrüklich gemacht zu seyn. Archytas
hatte keine Sclaven; der freye, aber sittsame Anstand
seiner Bedienten, die Munterkeit, die Genauigkeit, der
Wetteifer, womit sie ihre Pflichten erfüllten, das Ver-

trauen,

Agathon.
die Leiber ſeiner Sclaven geherrſchet, als dieſer ehr-
wuͤrdige Greis uͤber die Herzen eines freyen Volkes;
niemals iſt der beſte Vater von ſeinen Kindern zaͤrtli-
cher geliebt worden. Gluͤkliches Volk! welches von
einem Archytas geregiert wurde, und den ganzen Werth
dieſes Gluͤks ſo wol zu ſchaͤzen wußte! ‒‒ Und gluͤklicher
Agathon, der in einem ſolchen Mann einen Beſchuͤzer,
einen Freund, und einen zweyten Vater fand.

Drittes Capitel.
Eine unverhofte Entdekung.

Archytas hatte zwey Soͤhne, deren wetteifernde Tu-
gend die ſeltene und verdiente Gluͤkſeligkeit ſeines Alters
vollkommen machte. Dieſe liebenswuͤrdige Familie lebte
in einer Harmonie beyſammen, deren Anblik unſern
Helden in die ſelige Einfalt und Unſchuld des goldnen
Alters verſezte. Niemals hatte er eine ſo ſchoͤne Ord-
nung, eine ſo vollkommne Eintracht, ein ſo regelmaͤſ-
ſiges und ſchoͤnes Ganzes geſehen, als das Haus des
weiſen Archytas darſtellte. Alle Hausgenoſſen, bis auf
die unterſte Claſſe der Bedienten, waren eines ſolchen
Hausvaters wuͤrdig. Jedes ſchien fuͤr den Plaz, den
es einnahm, ausdruͤklich gemacht zu ſeyn. Archytas
hatte keine Sclaven; der freye, aber ſittſame Anſtand
ſeiner Bedienten, die Munterkeit, die Genauigkeit, der
Wetteifer, womit ſie ihre Pflichten erfuͤllten, das Ver-

trauen,
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[312/0314] Agathon. die Leiber ſeiner Sclaven geherrſchet, als dieſer ehr- wuͤrdige Greis uͤber die Herzen eines freyen Volkes; niemals iſt der beſte Vater von ſeinen Kindern zaͤrtli- cher geliebt worden. Gluͤkliches Volk! welches von einem Archytas geregiert wurde, und den ganzen Werth dieſes Gluͤks ſo wol zu ſchaͤzen wußte! ‒‒ Und gluͤklicher Agathon, der in einem ſolchen Mann einen Beſchuͤzer, einen Freund, und einen zweyten Vater fand. Drittes Capitel. Eine unverhofte Entdekung. Archytas hatte zwey Soͤhne, deren wetteifernde Tu- gend die ſeltene und verdiente Gluͤkſeligkeit ſeines Alters vollkommen machte. Dieſe liebenswuͤrdige Familie lebte in einer Harmonie beyſammen, deren Anblik unſern Helden in die ſelige Einfalt und Unſchuld des goldnen Alters verſezte. Niemals hatte er eine ſo ſchoͤne Ord- nung, eine ſo vollkommne Eintracht, ein ſo regelmaͤſ- ſiges und ſchoͤnes Ganzes geſehen, als das Haus des weiſen Archytas darſtellte. Alle Hausgenoſſen, bis auf die unterſte Claſſe der Bedienten, waren eines ſolchen Hausvaters wuͤrdig. Jedes ſchien fuͤr den Plaz, den es einnahm, ausdruͤklich gemacht zu ſeyn. Archytas hatte keine Sclaven; der freye, aber ſittſame Anſtand ſeiner Bedienten, die Munterkeit, die Genauigkeit, der Wetteifer, womit ſie ihre Pflichten erfuͤllten, das Ver- trauen,

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/314>, abgerufen am 29.03.2024.