Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

Bild:
<< vorherige Seite
Agathon.

Und so endigte sich also die Liebes-Geschichte des
Agathon und der schönen Danae; und so, meine schöne
Leserinneu, so haben sich noch alle Liebes-Geschichten
geendigt, und so werden sich auch künftig alle endigen,
welche so angefangen haben.

Sechstes Capitel.
Betrachtungen, Schlüsse und Vorsäze.

Wer aus den Fehlern, welche von andern vor ihm
gemacht worden, oder noch täglich um ihn her gemacht
werden, die Kunst lernte selbst keine zu machen; würde
unstreitig den Namen des Weisesten unter den Menschen
mit grösserm Recht verdienen als Confucius, Socrates
oder König Salomon, welcher lezte, wider den gewöhn-
lichen Lauff der Natur, seine grössesten Thorheiten in dem
Alter begieng, wo die meisten von den ihrigen zurük-
kommen. Unterdessen bis diese Kunst erfunden seyn
wird, däucht uns, man könne denjenigen immer für
weise gelten lassen, der die wenigsten Fehler macht,
am bäldesten davon zurükkommt, und sich gewisse Caute-
len für zukünftige Fälle darauszieht, mittelst deren er
hoffen kan, künftig weniger zu fehlen.

Ob und in wie fern Agathon dieses Prädicat ver-
diene, mögen unsre Leser zu seiner Zeit selbst entschei-

den;
Agathon.

Und ſo endigte ſich alſo die Liebes-Geſchichte des
Agathon und der ſchoͤnen Danae; und ſo, meine ſchoͤne
Leſerinneu, ſo haben ſich noch alle Liebes-Geſchichten
geendigt, und ſo werden ſich auch kuͤnftig alle endigen,
welche ſo angefangen haben.

Sechstes Capitel.
Betrachtungen, Schluͤſſe und Vorſaͤze.

Wer aus den Fehlern, welche von andern vor ihm
gemacht worden, oder noch taͤglich um ihn her gemacht
werden, die Kunſt lernte ſelbſt keine zu machen; wuͤrde
unſtreitig den Namen des Weiſeſten unter den Menſchen
mit groͤſſerm Recht verdienen als Confucius, Socrates
oder Koͤnig Salomon, welcher lezte, wider den gewoͤhn-
lichen Lauff der Natur, ſeine groͤſſeſten Thorheiten in dem
Alter begieng, wo die meiſten von den ihrigen zuruͤk-
kommen. Unterdeſſen bis dieſe Kunſt erfunden ſeyn
wird, daͤucht uns, man koͤnne denjenigen immer fuͤr
weiſe gelten laſſen, der die wenigſten Fehler macht,
am baͤldeſten davon zuruͤkkommt, und ſich gewiſſe Caute-
len fuͤr zukuͤnftige Faͤlle darauszieht, mittelſt deren er
hoffen kan, kuͤnftig weniger zu fehlen.

Ob und in wie fern Agathon dieſes Praͤdicat ver-
diene, moͤgen unſre Leſer zu ſeiner Zeit ſelbſt entſchei-

den;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0058" n="56"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Agathon.</hi> </hi> </fw><lb/>
            <p>Und &#x017F;o endigte &#x017F;ich al&#x017F;o die Liebes-Ge&#x017F;chichte des<lb/>
Agathon und der &#x017F;cho&#x0364;nen Danae; und &#x017F;o, meine &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Le&#x017F;erinneu, &#x017F;o haben &#x017F;ich noch alle Liebes-Ge&#x017F;chichten<lb/>
geendigt, und &#x017F;o werden &#x017F;ich auch ku&#x0364;nftig alle endigen,<lb/>
welche &#x017F;o angefangen haben.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Sechstes Capitel.</hi><lb/>
Betrachtungen, Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und Vor&#x017F;a&#x0364;ze.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>er aus den Fehlern, welche von andern vor ihm<lb/>
gemacht worden, oder noch ta&#x0364;glich um ihn her gemacht<lb/>
werden, die Kun&#x017F;t lernte &#x017F;elb&#x017F;t keine zu machen; wu&#x0364;rde<lb/>
un&#x017F;treitig den Namen des Wei&#x017F;e&#x017F;ten unter den Men&#x017F;chen<lb/>
mit gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erm Recht verdienen als Confucius, Socrates<lb/>
oder Ko&#x0364;nig Salomon, welcher lezte, wider den gewo&#x0364;hn-<lb/>
lichen Lauff der Natur, &#x017F;eine gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Thorheiten in dem<lb/>
Alter begieng, wo die mei&#x017F;ten von den ihrigen zuru&#x0364;k-<lb/>
kommen. Unterde&#x017F;&#x017F;en bis die&#x017F;e Kun&#x017F;t erfunden &#x017F;eyn<lb/>
wird, da&#x0364;ucht uns, man ko&#x0364;nne denjenigen immer fu&#x0364;r<lb/>
wei&#x017F;e gelten la&#x017F;&#x017F;en, der die wenig&#x017F;ten Fehler macht,<lb/>
am ba&#x0364;lde&#x017F;ten davon zuru&#x0364;kkommt, und &#x017F;ich gewi&#x017F;&#x017F;e Caute-<lb/>
len fu&#x0364;r zuku&#x0364;nftige Fa&#x0364;lle darauszieht, mittel&#x017F;t deren er<lb/>
hoffen kan, ku&#x0364;nftig weniger zu fehlen.</p><lb/>
            <p>Ob und in wie fern Agathon die&#x017F;es Pra&#x0364;dicat ver-<lb/>
diene, mo&#x0364;gen un&#x017F;re Le&#x017F;er zu &#x017F;einer Zeit &#x017F;elb&#x017F;t ent&#x017F;chei-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den;</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0058] Agathon. Und ſo endigte ſich alſo die Liebes-Geſchichte des Agathon und der ſchoͤnen Danae; und ſo, meine ſchoͤne Leſerinneu, ſo haben ſich noch alle Liebes-Geſchichten geendigt, und ſo werden ſich auch kuͤnftig alle endigen, welche ſo angefangen haben. Sechstes Capitel. Betrachtungen, Schluͤſſe und Vorſaͤze. Wer aus den Fehlern, welche von andern vor ihm gemacht worden, oder noch taͤglich um ihn her gemacht werden, die Kunſt lernte ſelbſt keine zu machen; wuͤrde unſtreitig den Namen des Weiſeſten unter den Menſchen mit groͤſſerm Recht verdienen als Confucius, Socrates oder Koͤnig Salomon, welcher lezte, wider den gewoͤhn- lichen Lauff der Natur, ſeine groͤſſeſten Thorheiten in dem Alter begieng, wo die meiſten von den ihrigen zuruͤk- kommen. Unterdeſſen bis dieſe Kunſt erfunden ſeyn wird, daͤucht uns, man koͤnne denjenigen immer fuͤr weiſe gelten laſſen, der die wenigſten Fehler macht, am baͤldeſten davon zuruͤkkommt, und ſich gewiſſe Caute- len fuͤr zukuͤnftige Faͤlle darauszieht, mittelſt deren er hoffen kan, kuͤnftig weniger zu fehlen. Ob und in wie fern Agathon dieſes Praͤdicat ver- diene, moͤgen unſre Leſer zu ſeiner Zeit ſelbſt entſchei- den;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/58
Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/58>, abgerufen am 28.03.2024.