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Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767.

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Agathon.
die er besaß, furchtbar und des Projects verdächtig
machen konnte, sich entweder an seine Stelle zu sezen,
oder die republicanische Verfassung wiederherzustellen.
Wenn wir den Geschichtschreibern, insonderheit dem
tugendhaften und gutherzigen Plutarch einen unum-
schränkten Glauben schuldig wären, so würden wir den
Dion unter die wenigen Helden und Champions der
Tugend zählen müssen, welche sich, (um dem Plato
einen Ausdruk abzuborgen) zu der Würde und Grösse
guter Dämonen, oder Beschüzender Genien und Wohl-
thäter des Menschen-Geschlechts emporgeschwungen ha-
ben --- welche fähig sind, aus dem erhabenen Beweg-
grunde einer reinen Liebe der sittlichen Ordnung und
des allgemeinen Besten zu handeln, und über dem Be-
streben, andere glüklich zu machen, sich selbst aufzuopfern,
weil sie unter dieser in die Sinne fallenden sterblichen
Hülle ein edleres Selbst tragen, welches seine ange-
bohrne Vollkommenheit desto herrlicher entfaltet, je
mehr jenes animalische Selbst unterdrükt wird --- welche
im Glük und im Unglük gleich groß, durch dieses nicht
verdunkelt werden, und von jenem keinen Glanz entleh-
nen, sondern immer sich selbst genugsam, Herren ihrer
Leidenschaften, und über die Bedürfnisse gemeiner See-
len erhaben, eine Art von sublunarischen Göttern sind.
Ein solcher Character fällt allerdings gut in die Augen,
ergözt den moralischen Sinn (wenn wir anders dieses
Wort gebrauchen dürfen, ohne mit Hutchinson zu glau-
ben, daß die Seele ein besonderes geistiges Werkzeug,
die moralische Dinge zu empfinden habe) und erwekt

den

Agathon.
die er beſaß, furchtbar und des Projects verdaͤchtig
machen konnte, ſich entweder an ſeine Stelle zu ſezen,
oder die republicaniſche Verfaſſung wiederherzuſtellen.
Wenn wir den Geſchichtſchreibern, inſonderheit dem
tugendhaften und gutherzigen Plutarch einen unum-
ſchraͤnkten Glauben ſchuldig waͤren, ſo wuͤrden wir den
Dion unter die wenigen Helden und Champions der
Tugend zaͤhlen muͤſſen, welche ſich, (um dem Plato
einen Ausdruk abzuborgen) zu der Wuͤrde und Groͤſſe
guter Daͤmonen, oder Beſchuͤzender Genien und Wohl-
thaͤter des Menſchen-Geſchlechts emporgeſchwungen ha-
ben ‒‒‒ welche faͤhig ſind, aus dem erhabenen Beweg-
grunde einer reinen Liebe der ſittlichen Ordnung und
des allgemeinen Beſten zu handeln, und uͤber dem Be-
ſtreben, andere gluͤklich zu machen, ſich ſelbſt aufzuopfern,
weil ſie unter dieſer in die Sinne fallenden ſterblichen
Huͤlle ein edleres Selbſt tragen, welches ſeine ange-
bohrne Vollkommenheit deſto herrlicher entfaltet, je
mehr jenes animaliſche Selbſt unterdruͤkt wird ‒‒‒ welche
im Gluͤk und im Ungluͤk gleich groß, durch dieſes nicht
verdunkelt werden, und von jenem keinen Glanz entleh-
nen, ſondern immer ſich ſelbſt genugſam, Herren ihrer
Leidenſchaften, und uͤber die Beduͤrfniſſe gemeiner See-
len erhaben, eine Art von ſublunariſchen Goͤttern ſind.
Ein ſolcher Character faͤllt allerdings gut in die Augen,
ergoͤzt den moraliſchen Sinn (wenn wir anders dieſes
Wort gebrauchen duͤrfen, ohne mit Hutchinſon zu glau-
ben, daß die Seele ein beſonderes geiſtiges Werkzeug,
die moraliſche Dinge zu empfinden habe) und erwekt

den
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[92/0094] Agathon. die er beſaß, furchtbar und des Projects verdaͤchtig machen konnte, ſich entweder an ſeine Stelle zu ſezen, oder die republicaniſche Verfaſſung wiederherzuſtellen. Wenn wir den Geſchichtſchreibern, inſonderheit dem tugendhaften und gutherzigen Plutarch einen unum- ſchraͤnkten Glauben ſchuldig waͤren, ſo wuͤrden wir den Dion unter die wenigen Helden und Champions der Tugend zaͤhlen muͤſſen, welche ſich, (um dem Plato einen Ausdruk abzuborgen) zu der Wuͤrde und Groͤſſe guter Daͤmonen, oder Beſchuͤzender Genien und Wohl- thaͤter des Menſchen-Geſchlechts emporgeſchwungen ha- ben ‒‒‒ welche faͤhig ſind, aus dem erhabenen Beweg- grunde einer reinen Liebe der ſittlichen Ordnung und des allgemeinen Beſten zu handeln, und uͤber dem Be- ſtreben, andere gluͤklich zu machen, ſich ſelbſt aufzuopfern, weil ſie unter dieſer in die Sinne fallenden ſterblichen Huͤlle ein edleres Selbſt tragen, welches ſeine ange- bohrne Vollkommenheit deſto herrlicher entfaltet, je mehr jenes animaliſche Selbſt unterdruͤkt wird ‒‒‒ welche im Gluͤk und im Ungluͤk gleich groß, durch dieſes nicht verdunkelt werden, und von jenem keinen Glanz entleh- nen, ſondern immer ſich ſelbſt genugſam, Herren ihrer Leidenſchaften, und uͤber die Beduͤrfniſſe gemeiner See- len erhaben, eine Art von ſublunariſchen Goͤttern ſind. Ein ſolcher Character faͤllt allerdings gut in die Augen, ergoͤzt den moraliſchen Sinn (wenn wir anders dieſes Wort gebrauchen duͤrfen, ohne mit Hutchinſon zu glau- ben, daß die Seele ein beſonderes geiſtiges Werkzeug, die moraliſche Dinge zu empfinden habe) und erwekt den

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1767, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_agathon02_1767/94>, abgerufen am 28.03.2024.