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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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69.
Ein dumpfes murren begann im tiefen saal zu wittern.
Bey Sankt Georg (sprach einer von den Rittern
Der auf der Lanzelot und Tristan rauher bahn
Manch abentheur mit ehren abgethan)
Sonst pfleg ich auch nicht leicht vor einem ding zu zittern;
Setz einer seinen kopf, ich setz ihm meinem dran:
Doch was der Kayser da dem Hüon angesonnen
Hätt auch, so brav er war, Herr Gawin nicht begonnen!
70.
Was sag ich viel? Es war zu offenbar
Daß Karl durch dies gebot mir nach dem leben trachte.
Doch, wie es kam, ob es verzweiflung war,
Ob ahnung, oder trotz, was mich so tollkühn machte,
Genug, ich trat vor ihn und sprach mit zuversicht:
Was du befohlen, herr, kann meinen muth nicht beugen.
Ich bin ein Frank! Unmöglich oder nicht,
Ich unternehm's, und seyd ihr alle zeugen!
71.
Und nun, kraft dieses worts, mein guter Scherasmin,
Siehst du mich hier, nach Babylon zu reisen
Entschlossen. Willst du mir dahin
Den nächsten weg aus diesen bergen weisen,
So habe dank; wo nicht, so mach ich's wie ich kann.
Mein bester herr, versezt der Felsenmann,
Indem die zähren ihm am bart herunter beben,
Ihr ruft wie aus dem grab mich in ein neues leben!
72. Hier
69.
Ein dumpfes murren begann im tiefen ſaal zu wittern.
Bey Sankt Georg (ſprach einer von den Rittern
Der auf der Lanzelot und Triſtan rauher bahn
Manch abentheur mit ehren abgethan)
Sonſt pfleg ich auch nicht leicht vor einem ding zu zittern;
Setz einer ſeinen kopf, ich ſetz ihm meinem dran:
Doch was der Kayſer da dem Huͤon angeſonnen
Haͤtt auch, ſo brav er war, Herr Gawin nicht begonnen!
70.
Was ſag ich viel? Es war zu offenbar
Daß Karl durch dies gebot mir nach dem leben trachte.
Doch, wie es kam, ob es verzweiflung war,
Ob ahnung, oder trotz, was mich ſo tollkuͤhn machte,
Genug, ich trat vor ihn und ſprach mit zuverſicht:
Was du befohlen, herr, kann meinen muth nicht beugen.
Ich bin ein Frank! Unmoͤglich oder nicht,
Ich unternehm's, und ſeyd ihr alle zeugen!
71.
Und nun, kraft dieſes worts, mein guter Scherasmin,
Siehſt du mich hier, nach Babylon zu reiſen
Entſchloſſen. Willſt du mir dahin
Den naͤchſten weg aus dieſen bergen weiſen,
So habe dank; wo nicht, ſo mach ich's wie ich kann.
Mein beſter herr, verſezt der Felſenmann,
Indem die zaͤhren ihm am bart herunter beben,
Ihr ruft wie aus dem grab mich in ein neues leben!
72. Hier
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[0032] 69. Ein dumpfes murren begann im tiefen ſaal zu wittern. Bey Sankt Georg (ſprach einer von den Rittern Der auf der Lanzelot und Triſtan rauher bahn Manch abentheur mit ehren abgethan) Sonſt pfleg ich auch nicht leicht vor einem ding zu zittern; Setz einer ſeinen kopf, ich ſetz ihm meinem dran: Doch was der Kayſer da dem Huͤon angeſonnen Haͤtt auch, ſo brav er war, Herr Gawin nicht begonnen! 70. Was ſag ich viel? Es war zu offenbar Daß Karl durch dies gebot mir nach dem leben trachte. Doch, wie es kam, ob es verzweiflung war, Ob ahnung, oder trotz, was mich ſo tollkuͤhn machte, Genug, ich trat vor ihn und ſprach mit zuverſicht: Was du befohlen, herr, kann meinen muth nicht beugen. Ich bin ein Frank! Unmoͤglich oder nicht, Ich unternehm's, und ſeyd ihr alle zeugen! 71. Und nun, kraft dieſes worts, mein guter Scherasmin, Siehſt du mich hier, nach Babylon zu reiſen Entſchloſſen. Willſt du mir dahin Den naͤchſten weg aus dieſen bergen weiſen, So habe dank; wo nicht, ſo mach ich's wie ich kann. Mein beſter herr, verſezt der Felſenmann, Indem die zaͤhren ihm am bart herunter beben, Ihr ruft wie aus dem grab mich in ein neues leben! 72. Hier

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/32>, abgerufen am 18.04.2024.