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Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780.

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42.
Wär nicht dies klostervolk ein heuchlerisch gezücht,
Belög ihr keuscher blick, ihr leiser bußton nicht
Ein heimlich strafbares gewissen,
Sie stünden, trotz dem horn, wie du auf ihren füßen.
Auch Scherasmin, für den sein redlich auge spricht,
Muß seiner zunge frefel büßen.
Sie alle tanzen nicht weil sie der kitzel sticht,
Die armen tanzen weil sie müssen.
43.
Indem beginnt ein neuer wirbelwind
Den Faunentanz noch schneller umzuwälzen;
Sie springen so hoch, und drehn sich so geschwind,
Daß sie in eigner glut wie schnee am thauwind schmelzen,
Und jedes zappelnde herz bis an die kehle schlägt.
Des Ritters menschlichkeit erträgt
Den anblick länger nicht; er denkt, es wäre schade
Um all das junge blut, und fleht für sie um gnade.
44.
Der schöne Zwerg schwingt seinen lilienstab,
Und stracks zerrinnt der dicke zauberschwindel;
Versteinert stehn sankt Antons fette mündel,
Und jedes Nönnchen, bleich als stieg es aus dem grab,
Eilt, schleyer, rock und was sich sonst im springen
Verschoben hat, in ordnung schnell zu bringen.
Nur Scherasmin, zu alt für solchen scherz,
Sinkt kraftlos um, und glaubt izt berstet ihm das herz.
45. Ach!
42.
Waͤr nicht dies kloſtervolk ein heuchleriſch gezuͤcht,
Beloͤg ihr keuſcher blick, ihr leiſer bußton nicht
Ein heimlich ſtrafbares gewiſſen,
Sie ſtuͤnden, trotz dem horn, wie du auf ihren fuͤßen.
Auch Scherasmin, fuͤr den ſein redlich auge ſpricht,
Muß ſeiner zunge frefel buͤßen.
Sie alle tanzen nicht weil ſie der kitzel ſticht,
Die armen tanzen weil ſie muͤſſen.
43.
Indem beginnt ein neuer wirbelwind
Den Faunentanz noch ſchneller umzuwaͤlzen;
Sie ſpringen ſo hoch, und drehn ſich ſo geſchwind,
Daß ſie in eigner glut wie ſchnee am thauwind ſchmelzen,
Und jedes zappelnde herz bis an die kehle ſchlaͤgt.
Des Ritters menſchlichkeit ertraͤgt
Den anblick laͤnger nicht; er denkt, es waͤre ſchade
Um all das junge blut, und fleht fuͤr ſie um gnade.
44.
Der ſchoͤne Zwerg ſchwingt ſeinen lilienſtab,
Und ſtracks zerrinnt der dicke zauberſchwindel;
Verſteinert ſtehn ſankt Antons fette muͤndel,
Und jedes Noͤnnchen, bleich als ſtieg es aus dem grab,
Eilt, ſchleyer, rock und was ſich ſonſt im ſpringen
Verſchoben hat, in ordnung ſchnell zu bringen.
Nur Scherasmin, zu alt fuͤr ſolchen ſcherz,
Sinkt kraftlos um, und glaubt izt berſtet ihm das herz.
45. Ach!
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[0048] 42. Waͤr nicht dies kloſtervolk ein heuchleriſch gezuͤcht, Beloͤg ihr keuſcher blick, ihr leiſer bußton nicht Ein heimlich ſtrafbares gewiſſen, Sie ſtuͤnden, trotz dem horn, wie du auf ihren fuͤßen. Auch Scherasmin, fuͤr den ſein redlich auge ſpricht, Muß ſeiner zunge frefel buͤßen. Sie alle tanzen nicht weil ſie der kitzel ſticht, Die armen tanzen weil ſie muͤſſen. 43. Indem beginnt ein neuer wirbelwind Den Faunentanz noch ſchneller umzuwaͤlzen; Sie ſpringen ſo hoch, und drehn ſich ſo geſchwind, Daß ſie in eigner glut wie ſchnee am thauwind ſchmelzen, Und jedes zappelnde herz bis an die kehle ſchlaͤgt. Des Ritters menſchlichkeit ertraͤgt Den anblick laͤnger nicht; er denkt, es waͤre ſchade Um all das junge blut, und fleht fuͤr ſie um gnade. 44. Der ſchoͤne Zwerg ſchwingt ſeinen lilienſtab, Und ſtracks zerrinnt der dicke zauberſchwindel; Verſteinert ſtehn ſankt Antons fette muͤndel, Und jedes Noͤnnchen, bleich als ſtieg es aus dem grab, Eilt, ſchleyer, rock und was ſich ſonſt im ſpringen Verſchoben hat, in ordnung ſchnell zu bringen. Nur Scherasmin, zu alt fuͤr ſolchen ſcherz, Sinkt kraftlos um, und glaubt izt berſtet ihm das herz. 45. Ach!

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Zitationshilfe: Wieland, Christoph Martin: Oberon. Weimar, 1780, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wieland_oberon_1780/48>, abgerufen am 25.04.2024.