Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lehrten und unter dieser saftlosen und hochmüthigen
Klasse hatte sich eine solche Verachtung der ur¬
sprünglichen und angebornen geistigen Gaben und
namentlich des Witzes eingenistet, daß es um den
Ruf eines jungen Mannes unwiderbringlich gesche¬
hen war, wenn ihm das Malheur passirte, in
seinen Schriften und Vorträgen eine geistreiche,
blühende und witzige Sprache zu führen. Die
deutschen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als
wären sie Aussätzige, und wirklich nannte der
Schweizer Bodmer den Witz eine Krätze des
Geistes, die nicht eher Ruhe läßt, als bis sie sich
durchjuckt. Allmählig aber sind den Deutschen die
Augen, wie über viele Dinge, so auch über den
Witz aufgegangen. Die Nothwendigkeit deutscher
witziger Kultur vertheidigt Jean Paul mit folgen¬
den Worten: es gibt nicht blos Entschuldigungen
der Kultur des Witzes, sondern sogar Aufforde¬
rungen dazu, welche sich auf die deutsche Natur
gründen. Alle Nationen bemerken an der deut¬
schen, daß unsere Ideen wand-, band-, niet- und
nagelfest sind und daß mehr der deutsche Kopf
und die deutschen Länder zum Mobiliarvermögen
gehören, als der Inhalt von beiden (nämlich die
Gedanken und die Menschen). Wie Wedekind
den Wasserscheuen beide Aermel aneinander näht

lehrten und unter dieſer ſaftloſen und hochmuͤthigen
Klaſſe hatte ſich eine ſolche Verachtung der ur¬
ſpruͤnglichen und angebornen geiſtigen Gaben und
namentlich des Witzes eingeniſtet, daß es um den
Ruf eines jungen Mannes unwiderbringlich geſche¬
hen war, wenn ihm das Malheur paſſirte, in
ſeinen Schriften und Vortraͤgen eine geiſtreiche,
bluͤhende und witzige Sprache zu fuͤhren. Die
deutſchen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als
waͤren ſie Ausſaͤtzige, und wirklich nannte der
Schweizer Bodmer den Witz eine Kraͤtze des
Geiſtes, die nicht eher Ruhe laͤßt, als bis ſie ſich
durchjuckt. Allmaͤhlig aber ſind den Deutſchen die
Augen, wie uͤber viele Dinge, ſo auch uͤber den
Witz aufgegangen. Die Nothwendigkeit deutſcher
witziger Kultur vertheidigt Jean Paul mit folgen¬
den Worten: es gibt nicht blos Entſchuldigungen
der Kultur des Witzes, ſondern ſogar Aufforde¬
rungen dazu, welche ſich auf die deutſche Natur
gruͤnden. Alle Nationen bemerken an der deut¬
ſchen, daß unſere Ideen wand-, band-, niet- und
nagelfeſt ſind und daß mehr der deutſche Kopf
und die deutſchen Laͤnder zum Mobiliarvermoͤgen
gehoͤren, als der Inhalt von beiden (naͤmlich die
Gedanken und die Menſchen). Wie Wedekind
den Waſſerſcheuen beide Aermel aneinander naͤht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0315" n="301"/>
lehrten und unter die&#x017F;er &#x017F;aftlo&#x017F;en und hochmu&#x0364;thigen<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e hatte &#x017F;ich eine &#x017F;olche Verachtung der ur¬<lb/>
&#x017F;pru&#x0364;nglichen und angebornen gei&#x017F;tigen Gaben und<lb/>
namentlich des Witzes eingeni&#x017F;tet, daß es um den<lb/>
Ruf eines jungen Mannes unwiderbringlich ge&#x017F;che¬<lb/>
hen war, wenn ihm das Malheur pa&#x017F;&#x017F;irte, in<lb/>
&#x017F;einen Schriften und Vortra&#x0364;gen eine gei&#x017F;treiche,<lb/>
blu&#x0364;hende und witzige Sprache zu fu&#x0364;hren. Die<lb/>
deut&#x017F;chen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als<lb/>
wa&#x0364;ren &#x017F;ie Aus&#x017F;a&#x0364;tzige, und wirklich nannte der<lb/>
Schweizer Bodmer <hi rendition="#g">den Witz</hi> eine Kra&#x0364;tze des<lb/>
Gei&#x017F;tes, die nicht eher Ruhe la&#x0364;ßt, als bis &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
durchjuckt. Allma&#x0364;hlig aber &#x017F;ind den Deut&#x017F;chen die<lb/>
Augen, wie u&#x0364;ber viele Dinge, &#x017F;o auch u&#x0364;ber den<lb/>
Witz aufgegangen. Die Nothwendigkeit deut&#x017F;cher<lb/>
witziger Kultur vertheidigt Jean Paul mit folgen¬<lb/>
den Worten: es gibt nicht blos Ent&#x017F;chuldigungen<lb/>
der Kultur des Witzes, &#x017F;ondern &#x017F;ogar Aufforde¬<lb/>
rungen dazu, welche &#x017F;ich auf die deut&#x017F;che Natur<lb/>
gru&#x0364;nden. Alle Nationen bemerken an der deut¬<lb/>
&#x017F;chen, daß un&#x017F;ere Ideen wand-, band-, niet- und<lb/>
nagelfe&#x017F;t &#x017F;ind und daß mehr der deut&#x017F;che Kopf<lb/>
und die deut&#x017F;chen La&#x0364;nder zum Mobiliarvermo&#x0364;gen<lb/>
geho&#x0364;ren, als der Inhalt von beiden (na&#x0364;mlich die<lb/>
Gedanken und die Men&#x017F;chen). Wie Wedekind<lb/>
den Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;cheuen beide Aermel aneinander na&#x0364;ht<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0315] lehrten und unter dieſer ſaftloſen und hochmuͤthigen Klaſſe hatte ſich eine ſolche Verachtung der ur¬ ſpruͤnglichen und angebornen geiſtigen Gaben und namentlich des Witzes eingeniſtet, daß es um den Ruf eines jungen Mannes unwiderbringlich geſche¬ hen war, wenn ihm das Malheur paſſirte, in ſeinen Schriften und Vortraͤgen eine geiſtreiche, bluͤhende und witzige Sprache zu fuͤhren. Die deutſchen Gelehrten mieden die witzigen Leute, als waͤren ſie Ausſaͤtzige, und wirklich nannte der Schweizer Bodmer den Witz eine Kraͤtze des Geiſtes, die nicht eher Ruhe laͤßt, als bis ſie ſich durchjuckt. Allmaͤhlig aber ſind den Deutſchen die Augen, wie uͤber viele Dinge, ſo auch uͤber den Witz aufgegangen. Die Nothwendigkeit deutſcher witziger Kultur vertheidigt Jean Paul mit folgen¬ den Worten: es gibt nicht blos Entſchuldigungen der Kultur des Witzes, ſondern ſogar Aufforde¬ rungen dazu, welche ſich auf die deutſche Natur gruͤnden. Alle Nationen bemerken an der deut¬ ſchen, daß unſere Ideen wand-, band-, niet- und nagelfeſt ſind und daß mehr der deutſche Kopf und die deutſchen Laͤnder zum Mobiliarvermoͤgen gehoͤren, als der Inhalt von beiden (naͤmlich die Gedanken und die Menſchen). Wie Wedekind den Waſſerſcheuen beide Aermel aneinander naͤht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/315
Zitationshilfe: Wienbarg, Ludolf: Aesthetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet. Hamburg, 1834, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wienbarg_feldzuege_1834/315>, abgerufen am 29.03.2024.