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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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8.
DIE ATTHIS.

Unsere untersuchung hat gleich damit begonnen, das chrono-
logische gerippe der aristotelischen erzählung auf die attische chronik
zurückzuführen, und in jedem capitel ist nach ausscheidung eines be-
stimmten autors, dem wir gerade nachgiengen, ein rest geblieben, der
jedesmal wieder derselben chronik zufiel. sie hat also wirklich dem
Aristoteles den grundstock seiner erzählung geliefert. die ganze älteste
zeit, ausschliesslich der verfassung Drakons, die sachlich bedeutendsten
stücke über Solon (6, 1. 7--10), die erzählung der jahre 594--80
(13) und 507--480 (22), die den trocknen stil des jahrbuches an sich
trägt, sind ihr ganz zugefallen; später freilich ausser einer kurzen ein-
lage (26, 2--4) mit sicherheit kaum noch etwas über die chronologie
hinaus. anders stellte es sich in der geschichte der Peisistratiden und
des Kleisthenes, wo zwar eine anzahl wertvoller tatsachen aus ihr nach-
getragen sind, aber sie den einschlag bildet, Herodotos den zettel. und
einiges, namentlich in der geschichte des Peisistratos haben wir oben
(s. 30) mit absicht auf diesen platz aufgespart. diese reste sollen zu-
nächst erledigt werden, dann wollen wir uns diese hauptquelle des Aristo-
teles selbst ansehn, in wie weit sie eine einheit ist: die hoffnung, dass
wir einen autornamen finden werden, bitte ich jedoch den leser von
vorn herein fern zu halten.

Peisistratos
und Solon.
Wir beginnen also mit der erzählung, wie Peisistratos erst eine
leibwache, dann die herrschaft sich verschafft (14, 1. 2). zu grunde
liegt Herodotos (I 59), aber Aristoteles übertrifft ihn erstens durch die
genauen zeitangaben: die zeugen genugsam für ihre herkunft; sodann durch
den namen des antragstellers Aristion. dieser mitsamt der ganzen ge-
schichte kehrt in Plutarchs Solon wieder (30), mit der minderwertigen
variante Ariston. Plutarch ist schon deshalb von Aristoteles unabhängig,
weil er die stärke der leibwache auf fünfzig knüttelträger angibt, sehr

8.
DIE ATTHIS.

Unsere untersuchung hat gleich damit begonnen, das chrono-
logische gerippe der aristotelischen erzählung auf die attische chronik
zurückzuführen, und in jedem capitel ist nach ausscheidung eines be-
stimmten autors, dem wir gerade nachgiengen, ein rest geblieben, der
jedesmal wieder derselben chronik zufiel. sie hat also wirklich dem
Aristoteles den grundstock seiner erzählung geliefert. die ganze älteste
zeit, ausschlieſslich der verfassung Drakons, die sachlich bedeutendsten
stücke über Solon (6, 1. 7—10), die erzählung der jahre 594—80
(13) und 507—480 (22), die den trocknen stil des jahrbuches an sich
trägt, sind ihr ganz zugefallen; später freilich auſser einer kurzen ein-
lage (26, 2—4) mit sicherheit kaum noch etwas über die chronologie
hinaus. anders stellte es sich in der geschichte der Peisistratiden und
des Kleisthenes, wo zwar eine anzahl wertvoller tatsachen aus ihr nach-
getragen sind, aber sie den einschlag bildet, Herodotos den zettel. und
einiges, namentlich in der geschichte des Peisistratos haben wir oben
(s. 30) mit absicht auf diesen platz aufgespart. diese reste sollen zu-
nächst erledigt werden, dann wollen wir uns diese hauptquelle des Aristo-
teles selbst ansehn, in wie weit sie eine einheit ist: die hoffnung, daſs
wir einen autornamen finden werden, bitte ich jedoch den leser von
vorn herein fern zu halten.

Peisistratos
und Solon.
Wir beginnen also mit der erzählung, wie Peisistratos erst eine
leibwache, dann die herrschaft sich verschafft (14, 1. 2). zu grunde
liegt Herodotos (I 59), aber Aristoteles übertrifft ihn erstens durch die
genauen zeitangaben: die zeugen genugsam für ihre herkunft; sodann durch
den namen des antragstellers Aristion. dieser mitsamt der ganzen ge-
schichte kehrt in Plutarchs Solon wieder (30), mit der minderwertigen
variante Ariston. Plutarch ist schon deshalb von Aristoteles unabhängig,
weil er die stärke der leibwache auf fünfzig knüttelträger angibt, sehr

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[[260]/0274] 8. DIE ATTHIS. Unsere untersuchung hat gleich damit begonnen, das chrono- logische gerippe der aristotelischen erzählung auf die attische chronik zurückzuführen, und in jedem capitel ist nach ausscheidung eines be- stimmten autors, dem wir gerade nachgiengen, ein rest geblieben, der jedesmal wieder derselben chronik zufiel. sie hat also wirklich dem Aristoteles den grundstock seiner erzählung geliefert. die ganze älteste zeit, ausschlieſslich der verfassung Drakons, die sachlich bedeutendsten stücke über Solon (6, 1. 7—10), die erzählung der jahre 594—80 (13) und 507—480 (22), die den trocknen stil des jahrbuches an sich trägt, sind ihr ganz zugefallen; später freilich auſser einer kurzen ein- lage (26, 2—4) mit sicherheit kaum noch etwas über die chronologie hinaus. anders stellte es sich in der geschichte der Peisistratiden und des Kleisthenes, wo zwar eine anzahl wertvoller tatsachen aus ihr nach- getragen sind, aber sie den einschlag bildet, Herodotos den zettel. und einiges, namentlich in der geschichte des Peisistratos haben wir oben (s. 30) mit absicht auf diesen platz aufgespart. diese reste sollen zu- nächst erledigt werden, dann wollen wir uns diese hauptquelle des Aristo- teles selbst ansehn, in wie weit sie eine einheit ist: die hoffnung, daſs wir einen autornamen finden werden, bitte ich jedoch den leser von vorn herein fern zu halten. Wir beginnen also mit der erzählung, wie Peisistratos erst eine leibwache, dann die herrschaft sich verschafft (14, 1. 2). zu grunde liegt Herodotos (I 59), aber Aristoteles übertrifft ihn erstens durch die genauen zeitangaben: die zeugen genugsam für ihre herkunft; sodann durch den namen des antragstellers Aristion. dieser mitsamt der ganzen ge- schichte kehrt in Plutarchs Solon wieder (30), mit der minderwertigen variante Ariston. Plutarch ist schon deshalb von Aristoteles unabhängig, weil er die stärke der leibwache auf fünfzig knüttelträger angibt, sehr Peisistratos und Solon.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. [260]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/274>, abgerufen am 19.04.2024.