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Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893.

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Wege und ziele der griechischen historie.
war. das römische vorbild wird der forschung auch zu hilfe kommen;
schon ertönen die angstrufe, dass man die römische folgerichtigkeit in
Hellas verlange, weil es dann mit den irrlichteliren aus ist. aber der
unterschied muss allerdings bleiben: was für Rom die logik des rechtes,
das ist für Hellas die der philosophie; die juristische speculation der
sophistenzeit hat nun einmal diese wege eingeschlagen. wer in grie-
chischer geschichte zu hause sein will, der muss, was die alte zeit an-
langt, in Homer und Pindar, was die spätere anlangt, in Platon und
Aristoteles zu hause sein: bei denen lernt er denken und empfinden
wie die leute, deren staat und geschichte er verstehn soll. die nächsten
aufgaben stellen sich von selbst: die verfassungsgeschichte von 403--322
vermittelst der logik, die Aristoteles lehrt, aus den inschriften und rednern
gewinnen, die übrigen Politien, so gut es mit allen mitteln geht,
restituiren, und von ihnen vorwärts, von der Römerzeit rückwärts
schliessend die verfassung und verwaltung der hellenistischen königreiche
wenigstens in den umrissen feststellen. dazu kann Aristoteles nicht sehr
viel helfen; aber die gräber und schutthalden Aegyptens und die trümmer-
stätten Asiens liefern auch dazu die documente; die römische forschung,
auch die des rechtes, wie das schöne werk von Mitteis zeigt, reicht die
fördernde hand: wenn sie nur die arbeit daransetzt und den kairos
bei der locke fasst, so kann's der griechischen historie nicht fehlen:
eine neue epoche muss beginnen. eine epoche vorbereitender arbeit
wird es immer noch sein: der geschichtsschreiber der Hellenen, der
dann erst mit dem römischen prinzipate aufhören wird, kann noch nicht
wol geboren sein. wir die wir ihm die werksteine brechen und be-
hauen müssen uns bescheiden zu arbeiten im anschlusse und in der
weise der aristotelischen Politien, die auch keine geschichte gewesen
sind. mögen wir an Aristoteles lernen was mehr ist als der blosse stoff,
zu denken und zu urteilen. unsere poulumathie hat sein buch nicht
befriedigt, aber noon phuei: dazu wollen wir's gebrauchen.


Wege und ziele der griechischen historie.
war. das römische vorbild wird der forschung auch zu hilfe kommen;
schon ertönen die angstrufe, daſs man die römische folgerichtigkeit in
Hellas verlange, weil es dann mit den irrlichteliren aus ist. aber der
unterschied muſs allerdings bleiben: was für Rom die logik des rechtes,
das ist für Hellas die der philosophie; die juristische speculation der
sophistenzeit hat nun einmal diese wege eingeschlagen. wer in grie-
chischer geschichte zu hause sein will, der muſs, was die alte zeit an-
langt, in Homer und Pindar, was die spätere anlangt, in Platon und
Aristoteles zu hause sein: bei denen lernt er denken und empfinden
wie die leute, deren staat und geschichte er verstehn soll. die nächsten
aufgaben stellen sich von selbst: die verfassungsgeschichte von 403—322
vermittelst der logik, die Aristoteles lehrt, aus den inschriften und rednern
gewinnen, die übrigen Politien, so gut es mit allen mitteln geht,
restituiren, und von ihnen vorwärts, von der Römerzeit rückwärts
schlieſsend die verfassung und verwaltung der hellenistischen königreiche
wenigstens in den umrissen feststellen. dazu kann Aristoteles nicht sehr
viel helfen; aber die gräber und schutthalden Aegyptens und die trümmer-
stätten Asiens liefern auch dazu die documente; die römische forschung,
auch die des rechtes, wie das schöne werk von Mitteis zeigt, reicht die
fördernde hand: wenn sie nur die arbeit daransetzt und den καιϱός
bei der locke faſst, so kann’s der griechischen historie nicht fehlen:
eine neue epoche muſs beginnen. eine epoche vorbereitender arbeit
wird es immer noch sein: der geschichtsschreiber der Hellenen, der
dann erst mit dem römischen prinzipate aufhören wird, kann noch nicht
wol geboren sein. wir die wir ihm die werksteine brechen und be-
hauen müssen uns bescheiden zu arbeiten im anschlusse und in der
weise der aristotelischen Politien, die auch keine geschichte gewesen
sind. mögen wir an Aristoteles lernen was mehr ist als der bloſse stoff,
zu denken und zu urteilen. unsere πουλυμαϑίη hat sein buch nicht
befriedigt, aber νόον φύει: dazu wollen wir’s gebrauchen.


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[381/0395] Wege und ziele der griechischen historie. war. das römische vorbild wird der forschung auch zu hilfe kommen; schon ertönen die angstrufe, daſs man die römische folgerichtigkeit in Hellas verlange, weil es dann mit den irrlichteliren aus ist. aber der unterschied muſs allerdings bleiben: was für Rom die logik des rechtes, das ist für Hellas die der philosophie; die juristische speculation der sophistenzeit hat nun einmal diese wege eingeschlagen. wer in grie- chischer geschichte zu hause sein will, der muſs, was die alte zeit an- langt, in Homer und Pindar, was die spätere anlangt, in Platon und Aristoteles zu hause sein: bei denen lernt er denken und empfinden wie die leute, deren staat und geschichte er verstehn soll. die nächsten aufgaben stellen sich von selbst: die verfassungsgeschichte von 403—322 vermittelst der logik, die Aristoteles lehrt, aus den inschriften und rednern gewinnen, die übrigen Politien, so gut es mit allen mitteln geht, restituiren, und von ihnen vorwärts, von der Römerzeit rückwärts schlieſsend die verfassung und verwaltung der hellenistischen königreiche wenigstens in den umrissen feststellen. dazu kann Aristoteles nicht sehr viel helfen; aber die gräber und schutthalden Aegyptens und die trümmer- stätten Asiens liefern auch dazu die documente; die römische forschung, auch die des rechtes, wie das schöne werk von Mitteis zeigt, reicht die fördernde hand: wenn sie nur die arbeit daransetzt und den καιϱός bei der locke faſst, so kann’s der griechischen historie nicht fehlen: eine neue epoche muſs beginnen. eine epoche vorbereitender arbeit wird es immer noch sein: der geschichtsschreiber der Hellenen, der dann erst mit dem römischen prinzipate aufhören wird, kann noch nicht wol geboren sein. wir die wir ihm die werksteine brechen und be- hauen müssen uns bescheiden zu arbeiten im anschlusse und in der weise der aristotelischen Politien, die auch keine geschichte gewesen sind. mögen wir an Aristoteles lernen was mehr ist als der bloſse stoff, zu denken und zu urteilen. unsere πουλυμαϑίη hat sein buch nicht befriedigt, aber νόον φύει: dazu wollen wir’s gebrauchen.

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Zitationshilfe: Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von: Aristoteles und Athen. Bd. 1. Berlin, 1893, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wilamowitz_aristoteles01_1893/395>, abgerufen am 20.04.2024.